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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Herder (Siegmund Aug. Wolfgang)
dem Kurfürsten von Bayern in den Adelstand erhoben. So wirkte er, bis 18. Dez. 1803 der Tod seine in den letzten Jahren oft durch trübe und gereizte Stimmung gelähmte Wirksamkeit unterbrach.
H.s Originaldichtungen sind mit einzelnen Ausnahmen (wozu die meisten seiner "Legenden" gehören) von keiner großen Bedeutung. Glänzend aber zeigt sich seine dichterische Begabung in den Nach- und Umdichtungen fremdländischer Poesie, so vor allem in seinen "Volksliedern" ("Stimmen der Völker in Liedern", 1778) und in dem nach seinem Tode erschienenen "Eid" (1805; neu hg. von Julian Schmidt in der "Bibliothek der deutschen Nationallitteratur", Lpz. 1868; mit Randzeichnungen von Neureuther, 4. Aufl., Stuttg. 1877; mit Zeichnungen von A. von Werner, Berl. 1875; vgl. R. Köhler, H.s Cid und seine franz. Quelle, Lpz. 1867; Vögelin, H.s Cid, die franz. und die span. Quelle zusammengestellt, Heilbr. 1879). Als Theolog erwarb er sich, zwischen mystischen und rationalistischen Neigungen schwankend, durch die Betonung des Gefühlslebens großes Verdienst um eine geistige, von dem Buchstaben des Dogmas freie Auffassung des Christentums; der Heiligen Schrift widmete er litterarhistor. und histor.-antiquarische Studien, die sie aus ihrer Zeit und ihrem Volke verstehen lehrten; namentlich ist in dieser Beziehung sein "Geist der ebräischen Poesie" (Dessau 1782-83; 3. Aufl., von Justi, 2 Bde., Lpz. 1825) hervorzuheben. Als Philosoph, wenn nicht der Schule, doch des Lebens, hinterließ H. einen Schatz bewährter Natur-, Menschen- und Weltbeobachtungen. Ein Bewunderer des klassischen Altertums strebte er die harmonische Bildung des Menschen durch die Muster Griechenlands zu fördern. Ein begeisterter Weltbürger, der für Kunst und Wissenschaft das allgemein Menschliche zum Ziel fetzte, war er nicht minder ein leidenschaftlicher Verfechter des Nationalen; auf manches Vergessene und Verkannte der vaterländischen Vorzeit machte er aufmerksam und erweckte den Sinn für das echt Volkstümliche der Poesie; Volkslied, Legende, Ossian, Shakespeare, die Poesie des Südens, die griech. Anthologie und vieles andere wurde durch ihn uns näher gebracht. Schon darin offenbarte er den wunderbaren anschauenden histor. Sinn, der H.s Genie ausmacht. Er trägt zumal H.s Hauptwerk, die unvollendeten "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (4 Bde., Riga 1784-91; 4. Aufl., mit Ludens Einleitung, 2 Bde., Lpz. 1841; neu hg. von Julian Schmidt in der "Bibliothek der deutschen Nationallitteratur", ebd. 1868; vgl. Haussen, H. in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Borna 1890). Sein Ziel dabei war, die ganze Geschichte der Menschheit als eine große, zusammenhängende, einem höhern Ziele zustrebende Reihe des Geschehens darzustellen. Das Ziel und den Endpunkt der Menschennatur und alles ihres Strebens bezeichnete er am liebsten durch das Wort Humanität. (Vgl. Vesterling, H.s Humanitätsprincip. Dissertation, Berl. 1890.) H. gehört zu den Geistern, die nach den verschiedensten Richtungen hin anregend, weckend und befruchtend wirken und die eben deshalb leichter als minder reiche in den Hintergrund gedrängt werden, weil sie versäumen, ihren eigenen Werken den Stempel der absoluten Vollendung zu geben. H.s Leistungen im Gebiete der Theologie, der Litteratur, der Kritik und der Philosophie sind vielfach berichtigt und selbst übertroffen worden; manches einzelne, z. B. seine Polemik gegen Kant, war sogar verfehlt; aber sein Verdienst ist darum nicht geringer. Der ganze Kulturzustand Deutschlands hat von ihm einen mächtigen, weithin sich verbreitenden Impuls erhalten, und an warmer, tiefer Begeisterung für alles echt Menschliche, an dem feinfühligen Verständnis für das Weben der Geschichte, für die naiven Regungen des Volksgeistes hat ihn keiner überragt. Ein unvergängliches Denkmal stiftete er sich selbst in seinen "Sämtlichen Werken" (45 Bde., Stuttg. 1805-20; Taschenausgabe, 60 Bde., ebd. 1827-30; 40 Bde., ebd. 1852-54; von Düntzer besorgt in Hempels "Nationalbibliothek deutscher Klassiker", 24 Tle., Berl. 1869-79; eine ausgezeichnete kritische Ausgabe von Suphan und Redlich, in 32 Bdn., ebd. 1877-89; ausgewählte Werke in 4 Bdn., hg. von Kurz in der "Bibliothek der deutschen Nationallitteratur", Hildburgh. 1871-72). Der Großherzog von Sachsen-Weimar, Karl August, ließ 1819 eine Gedächtnistafel mit der Inschrift "Licht, Liebe, Leben" auf sein Grab legen, und 25. Aug. 1850 wurde ihm in Weimar ein ehernes Standbild (von L. Schaller) errichtet. - Ein schönes Denkmal setzte ihm seine Witwe Maria Karoline, geborene
Flachsland, geb. 1750, gest. 1809, in ihren "Erinnerungen aus dem Leben Joh. Gottfr. von H.s", die I. G. Müller (2 Bde., Stuttg. 1820) herausgab. H.s inhaltreicher brieflicher Nachlaß ist enthalten in: "H.s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel" (hg. von seinem Sohne Emil Gottfr. von Herder, 3 Bde., Erlangen 1846-48), "Aus H.s Nachlaß. Ungedruckte Briefe von H. und dessen Gattin" (hg. von Düntzer und F. G. von Herder, 3 Bde., 2. Aufl., Verl. 1858), "H.s Reife nach Italien. H.s Briefwechsel mit seiner Gattin von Aug. 1788 bis Juli 1789" (hg. von Düntzer und F. G. von Herder, Gieß. 1859), "Von und an H. Ungedruckte Briefe aus H.s Nachlaß" (hg. von Düntzer und F. G. von Herder, 3 Bde., Lpz. 1861-62), "Briefe des Herzogs Karl August an Knebel und H." (hg. von Düntzer, ebd. 1883); H.s Briefwechsel mit Nicolai (Berl. 1887) und seine Briefe an J. G. Hamann (ebd. 1889) gab O. Hoffmann heraus. - Eine ausgezeichnete Biographie giebt Haym, H. nach seinem Leben und seinen Werken dargestellt (2 Bde., Berl. 1877-85). Vgl. noch Werner, H. als Theolog (ebd. 1871); Joret, H. et la renaissance littéraire (Par. 1875); Baerenbach, I. G. von H. (im "Neuen Plutarch", Bd. 6, Lpz. 1879).
Herder, Siegmund Aug. Wolfgang, Freiherr von, Bergbeamter, Sohn des vorigen, geb. 18. Aug. 1776 zu Bückeburg, begann, nachdem er die Universitäten zu Jena und Göttingen besucht, 1797 in Freiberg seine berg- und hüttenmännischen Studien; seit 1800 studierte er noch in Wittenberg die Rechte. Nach seiner Rückkehr nach Freiberg wurde er 1802 Bergamtsassessor, 1803 Assessor im Bergamte Schneeberg und 1804 Oberbergamtsassessor und Bergkommissionsrat in Freiberg; 1806 erhielt H. die Aufsicht über das Blaufarbenwesen. Insbesondere wurde seine Thätigkeit seit 1809 in betreff des Eisenhüttenwerks Panki und der Salzwerke von Wieliczka im Großherzogtum Warschau in Anspruch genommen, weshalb er mehrere Jahre teils in Warschau, teils in Wien verweilte. Der König von Sachsen erhob ihn in den Freiherrenstand. Unter dem russ. Gouvernement kam H. in das Geh. Finanzkollegium nach Dresden; 1818 wurde er Viceberghauptmann, 1821 Berghauptmann und 1826 Oberberghauptmann. 1835