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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hessen (Großherzogtum; Geschichte)
Verwaltung, die Errichtung einer Oberrechnungs-
kammer, die Aufhebung der Leibeigenschaft, der
Fronen und anderer Privilegien, die Verwandlung
der Zehnten, der Abkauf der fiskalischen Grund-
renten, die Verkündigung einer neuen Gemeinde-
ordnung u. s. w. Auf dem im Aug. 1823 zusammen-
berufenen zweiten Landtage wurden Gesetze über die
Ministerverantwortlichkeit und die Dienstpragmatik
der Civilstaatsdiener vereinbart. Der dritte Land-
tag 1826-27 äußerte bereits einige laute Wünsche
bezüglich des zu hohen Budgets und der Nicht-
abnahme der Staatsschuld, die sich auf dem vierten
Landtage, der 1829 eröffnet wurde, mehr und mehr
zu Befchwerden gestalteten, namentlich als nach
dem 6. April 1830 erfolgten Tode Ludwigs 1. und
dem Regierungsantritt seines Sohnes Ludwig 11.
(f. d., gest. 1848) von feiten der Stände Verminde-
rung an der Civilliste, von feiten der Regierung
dagegen die Übernahme von 2 Mill. Fl. Privat-
schulden des neuen Großherzogs dringend gewünscht
wurden. Während endlich eine Einigung über die
Civilliste erfolgte, wurde die Übernahme der Privat-
fchulden des Regenten bestimmt abgelehnt. Im
Nov. 1830 erfolgte die Verabschiedung des Land-
tags, und nun trat die Regierung gegen die als
Nachwirkungen der franz. Iulirevolution entstan-
denen Unruhen und Ausregungen mit großer Heftig-
keit auf, fodaß auf dem im Dez. 1832 zufammen-
berufenen Landtage eine immer größere Spaltung
zwifchen Regierung und Ständen eintrat. Es er-
folgte eine Auflöfung des Landtags und zugleich
die Pensionierung verfchiedener Staatsdiener, dar-
unter Geh. Staatsrat Iaup, Regierungsrat von
Gagern u. a. Trotz aller Maßregelungen kam eine
noc^ stärkere Opposition in die Zweite Kammer des
sechsten Landtags, der 26. April 1834 eröffnet und
nach heftigen Debatten bei der Beratung über die
Rechenfchaftsablegungdervorherigen Finanzperiode
sowie über die Unabhängigkeit des Richteramtes
schon im Oktober desselben Jahres wieder aufgelöst
wurde. Für den im Frühjahr 1835 eröffneten sieben-
ten Landtag erlangte die Negierung die Majorität,
und so gingen die vorgelegten Entwürfe fast sämt-
lich durch. Das dem zehnten Landtag (1844-47)
vorgelegte Civilgesetzbuch erweckte die Unzufrieden-
heit der Provinz Nheinhessen, welche darin eine
Vernichtung ihrer seitherigen Institutionen erblicken
wollte; doch billigten die Kammern den Entwurf
des Civilgefetzbuches fowie den eines Polizeistraf-
gefetzes. Bei der im Dez. 1847 erfolgten Eröffnung
des elften Landtags befand sich die Opposition wie-
der im Besitz der Majorität. Nach einer kurzen
Vertagung trat der Landtag 28. Febr. 1848 wieder
zusammen. Ludwig II. ernannte seinen Sohn, den
Erbgrohherzog Ludwig, zum Mitregenten. Dieser
entließ das bisherige Ministerium du Thil und
berief Heinr. von Gagern (5. März) zum Minister,
der in dem Edikt vom 6. März von der Zwecklosig-
keit der deutfchen Bundesverfammlung fprach, Frei-
heit der Presse, Volksbewaffnung, Herstellung des
Petitions- und Uersammlungsrechts, Beeidigung
des Heers auf die Verfassung, freie Religionsübung,
Zurücknahme des Polizeistrafgefetzbuches, Garantie
der rheinhess. Institutionen, Einführung der Schwur-
gerichte und Nationalvertretung zufagte. Als Ga-
gern infolge seiner Erwählung zum Präsidenten
der Deutschen Nationalversammlung sein Minister-
amt (Ende Mai) niederlegte, übernahm zunächst
Zimmermann vrovisorisch den Vorsitz im Ministe-
rium, bis Mitte Juli Iaup an Gagcrns stelle be-
rufen wurde. Nnter Ludwigs II. Sohn und Nach-
folger (feit 16. Juni 1848), Ludwig III. (s. d., gest.
1877), vereinbarte das Ministerium mit den Stän-
den ein neues Wahlgesetz, wonach in Zukunst die
Zweite Kammer nach allgemeinem Stimmrecht ge-
bildet und für die Erste Kammer nur ein mäßiger
Census gefordert werden follte. Darauf erfolgte
24. Mai 1849 der Schluß des Landtags. InWischen
widerstanden an der bad. Grenze die Hess. Truppen
der vom Süden her kommenden Revolution. Im
Juni 1849 trat H. dem von Preußen vorgeschlage-
nen Dreikönigsbündnis bei. Der auf Ende Dez.
1849 nach dem neuen Wahlgesetz einberufene Land-
tag wurde schon im Jan. 1850 wieder aufgelöst.
hm 1.1850 zeigten sich die Anfänge der Restau-
rattonspolitik auch im Großherzogtum H., dessen
Regierung allmählich größere Hinneigung zur österr.
Politik zeigte. Das Ministerium Iaup nahm im
Juni 1850 seine Entlassung und Freiherr von Dal-
wigk (s. d.) trat als Vorstand des Ministeriums des
Innern ein, wozu er später noch den Vorsitz im Ge-
samtministerium und das Ministerium des Äußern
übertragen erhielt. Die erste Wirksamkeit des neuen
Ministeriums war der Rücktritt von der Union und
die Beschickung des bald nachher in Frankfurt wie-
der zusammentretenden Bundestags. Eine Ver-
ordnung vom 9. Okt. setzte an Stelle des zugleich
außer Kraft erklärten Wahlgesetzes von 1849 eine
neue Wahlordnung, auf Grund welcher eine außer-
ordentliche, aus zwei Kammern bestehende Stände-
verfammlung zufammenberufen wurde, die vorzugs-
weife ein neues Wahlgefetz beraten follte. Dieser
außerordentliche Landtag beriet außer andern reak-
tionären Gesetzen ein neues Wahlgesetz, welches im
wesentlichen die alten Wahlbestimmungen der Ver-
fassungsurkunde mit wenigen Modifikationen ent-
hielt. Hierauf erfolgte 16.Okt.1856derSchluß dieses
Landtags. Noch in demselben Jahre trat auf Grund
des neuen Wahlgesetzes der 15. Landtag (eröffnet im
Dez. 1856, geschlossen 2. Juli 1858) zusammen.
Auf dem 1859 eröffneten Landtage kam die von
der Regierung mit dem bifchöfl. Stuhle zu Mainz
bereits^22. Aug. 1854 abgeschlossene, aber erst 26.
Okt. 1860 zur öffentlichen Kenntnis gebrachte "Vor-
läufige Übereinknnft in betreff der Regelung der
Verhältnisse des Staates zur kath. Kirche" oder die
sog. Mainz-Darmstädter Konvention zur Sprache.
Ein sehr strenges Preßgesetz vergrößerte die Unzu-
friedenheit im Lande, und als der neue Landtag
10. Nov. 1862 eröffnet wurde, gehörte die große
Majorität desfelben der Hess. Fortschrittspartei an,
die sich kurz vorher auf Grund des sog. "Landsbergs-
Programms" in Frankfurt a. M. gebildet hatte und
vorzugsweise sich auf das im März 1848 erlassene
Edikt, dessen Versprechungen noch immer unerfüllt
feien, stützte. Der Landtag begann sosort mit der
Annahme einer Adresse, welche Aufhebung des
Prehgesetzes und anderer reaktionärer Maßregeln
forderte. Doch war, außer der Annahme des preuß.-
franz. Handelsvertrags, das einzige Resultat des
Landtags die im Herbst 1864 erfolgte Einigung
über das Budget, das wesentliche Ersparnisse mit
sich brachte. Nach dem Tode des letzten Landgrafen
von Hessen-Hombnrg (24. März 1866) fiel dessen
Land an das Großherzogtum H. Letzteres stellte sich
in dem ausbrechenden Konflikt zwischen Preußen und
Osterreich auf die Heite Österreichs, nahm auch am
Deutschen Kriege von 1866 teil und mußte in dcm