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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hilfskassengesetze
sichtigte ("anerkannte") und freie Vereine zu scheiden.
Von erstern zählte man 1885: 204,1888: 297, von
lehtern 1885: 65, 1886: 445. Die Leistungen be-
schränken sich meist auf Krankenversorgung, die
finanziellen Grundlagen werden bemängelt.
Vgl. Handwörterbuch der Staatswissenschaften,
Bd. 1 (Jena 1890), S. 499 fg. und Bd. 4 (ebd. 1892),
S. 673 fg.; Schönberg, .Handbuch der polit. Öko-
nomie, Bd. 2 (Tüb. 1891), S. 748 fg.
Hilfskassengesetze bezwecken die Regelung der
freien Hilfskassen (s. d.), während das Krankenver-
sicherungsgesetz (s. d.) die Verpflichtung zur Kran-
kenversicherung und die hierauf beruhenden Anstal-
ten und Kassen (Zwangskassen) behandelt.
In Deutschland bedurften in früherer Zeit die
Krankenkassen, soweit sie nicht auf Beitrittspflicht
beruhten, gleich den übrigen Versicherungsanstalten
und Kassen, meist der staatlichen Konzession, jedoch
bestanden auch Tausende sreier Kassen ohne solche.
Nachdem durch die Gelverbeordnung von 1869 zu-
erst zugelassen war, daß die Gesellen und Arbeiter
dem ortsstatutarifchen Versicherungszwang auch
durch die Mitgliedschaft einer freien Kasse genügen
konnten und die letztern besonders in Verbindung
mit den deutschen Gewerkvereinen (s. d.) einen er-
höhten Aufschwung nahmen, stellte sich immer mehr
das Bedürfnis eines Neichsnormativgesetzes heraus,
welches denn auch als "Gesetz über die eingeschriebe-
nen Hilfskassen" vom 7. April 1876 erlassen wurde.
Dieses Gesetz sollte ursprünglich für alle Kranken-
kassen, au<H für die Zwangskassen, maßgebend sein.
Nachdem aber 1883 für diefe das Krankenversiche-
rungsgesetz erlassen worden, wurde der Bereich des
Hilfskassengesetzes vermittelst der Novelle vom
1. Huni 1884 ausschließlich auf freie Kassen be-
schränkt und dasselbe auch sonst in wesentlichen
Punkten abgeändert. Nach Inkrafttreten der No-
velle ist sein hauptsächlicher Inhalt nunmehr folgen-
der: Durch Erfüllung der vorgefchriebenen Bedin-
gungen erhalten Krankenkassen die Rechte einer "ein-
geschriebenen Hilfskasse", sie können dann insbeson-
dere unter ihrem Namen Rechte erwerben und Ver-
bindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen u. s.w.;
für alle Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern nur
das Vermögen der Kasse. Um diese Rechte zu er-
langen, hat eine Kasse vor allem ein Statut mit den
erforderlichen Bestimmungen über die Rechte und
Pflichten der Mitglieder, die Bildung und Befug-
nisse des Vorstandes u. s. w. zu errichten und dem
Vorstand der Gemeinde, in deren Bezirk die Kasse
ihren Sitz nimmt, einzureichen; über die Zulassung
der Kasse entscheidet die höhere Verwaltungsbe-
hörde; gegen einen versagenden Bescheid steht der
Rekurs an die nächstvorgesetzte Behörde gemäß
§§. 20 und 21 der Gewerbeordnung, bez. in Preußen
Klage im Verwaltungsstreitverfahren zu. Das
Recht auf Unterstützung aus der Kasse beginnt für
sämtliche Mitglieder spätestens mit dem Ablauf der
dreizehnten auf den Veitritt folgenden Woche. Nach
Maßgabe des Gefchlechts, des Gesund heitszustan-
des, des Lebensalters, der Beschäftigung oder des
Beschästigungsortes der Mitglieder darf die Höhe
der Verträge verschieden bemessen werden, auch ist
die Einrichtung von Mitgliedermassen mit verschie-
denen Beitrags- und Unterstützungssätzen zulässig;
im übrigen müssen die Beiträge und Unterstützun-
gen für alle Mitglieder nach gleichen Grundsätzen
abgemessen sein. An Krankenunterstützung können
den Mitgliedern Krankengeld, ärztliche Behandlung,
Arznei und andere Heilmittel, Krankenhaus- und
Rekonvalescentenpflege gewährt werden; auch Wüch-
nerinnenunterstützung und Gewährung ärztlicher
Behandlung an Familienangehörige der Mitglieder
ist zulässig; den Hinterbliebenen verstorbener Mit-
glieder kann eine Beihilfe gewährt werden, welche
das Zehnfache der wöchentlichen Unterstützungen,
auf welche das verstorbene Mitglied Anspruch hatte,
nicht überschreitet. Zu andern Zwecken als den vor-
bezeichneten Unterstützungen und zur Deckung der
Verwaltungskosten dürfen Beiträge weder erhoben
werden, noch Verwendungen aus dem Kassenver-
mögen erfolgen. Dem Vorstand, durch welchen die
Kasse gerichtlich und außergerichtlich vertreten wird,
kann zur Überwachung der Geschäftsleitung ein
Ausfchuh zur Seite gesetzt werden. Die General-
versammlung, welcher jedenfalls die Wahl des Vor-
standes und Ausschusses und die Beschlußfassung
über alle Statutenänderungen zusteht, kann auch
aus Abgeordneten gebildet werden. Die Kassen
sind befugt, in allen Teilen des Reichs örtliche
Verwaltungsstellen mit einer Reihe wichtiger, durch
das Gesetz umgrenzter Befugnisse zu errichten. Die
Kassen sind verpflichtet, einen Reservefonds im Min-
destbetrage der durchschnittlichen Jahresausgabe der
letzten fünf Rechnungsjahre anzusammeln und bis
zur Erreichung dieses Betrags dem Fonds mindestens
ein Zehntel des Jahresbetrags der Beiträge zuzu-
führen, fowie, falls die Einnahmen zur Deckung der
gesamten Ausgaben nicht hinreichen, eine Erhöhung
der Beiträge oder eine Minderung der Kassen-
leistungen vorzunehmen. Die Aussicht über die
Kassen und ihre örtlichen Verwaltungsstellen steht
den von den Landesregierungen zu bestimmenden
Behörden zu, welche auch Geldstrafen verhängen
und die Kassen in bestimmten Fällen schließen können.
Die Aufnahme als Mitglied kann von der Zu-
gehörigkeit zu einem andern Verein (z.B. einem
Gewerkverein) abhängig gemacht werden; doch darf
der Austritt oder Ausschluß aus letzterm den Ver-
lust der Kassenmitgliedschaft nur nach sich ziehen,
sofern diese noch nicht zwei Jahre dauert. Auch die
Vereinigung mehrerer Hilfstassen zu Verbänden be-
hufs gegenseitiger Aushilfe ist statthaft.
Besondere Vorschriften gelten nach dem Kranken"
versicherungsgesetz für diejenigen Hilfskassen, deren
Mitgliedschaft von der Beitrittspflicht zu einer
Versicherungspflichtige gehört, im Krankheitsfalle
mindestens diejenigen Leistungen gewähren, welche
derselbe sonst von der Gemeindekrankenversicherung
seines Beschäftigungsortes zu beanspruchen hätte.
Arztliche Behandlung und Arznei sind hierbei nach
der Novelle vom 10. April 1892 in nawra zu ge-
währen, nur im Fall der Doppelversicherung bei
einer Hilfskasse und zugleich einer Zwangskasse kann
statt jener Leistungen ein erhöhtes Krankengeld ge-
zahlt werden. Diese Bestimmungen beziehen sich
sowohl auf die eingeschriebenen Hilfskassen, als auch
aus diejenigen, die auf Grund landesrechtlicher Vor-
schriften errichtet sind, sofern ihr Statut von einer
Staatsbehörde genehmigt ist und die Bildung eines
Reservefonds, nach Analogie der Zwangskassen,
angeordnet ist.
Dem deutschen Hilfskassengesetz nachgebildet ist
das österreichische Hilfskassengesetz vom 16. Juli
1892. Schon vor diesem hatten sich zahlreiche freie