Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Hindui; Hinduismus

192

Hindui - Hinduismus

als eine überflüssige Person, die sich von Rechts wegen mit der Leiche ihres Gatten hätte verbrennen sollen (s. Satī). Nur den Brāhmos oder andern toleranten Sekten der Zukunft und dem stetig wachsenden Einflusse der engl. Kultur kann es gelingen, in diesen trostlosen Verhältnissen nach und nach Wandel zu schaffen. Verschiedene Vereine (so die von Kēschab Chander Sēn 1870 in Kalkutta gegründete Reform Association, seit 1889 in Sikandarābād die Social Reform Association u. s. w.) und jährliche Konferenzen befassen sich mit diesen und andern socialen Fragen; die 1890 in Bombay tagende Socialkonferenz z. B. behandelte hauptsächlich die Frage der Witwenehen, für deren Zulässigkeit sie mit aller Macht eintrat. Schon jetzt zeigt sich ein Erfolg dieser Bestrebungen dadurch, daß sich besondere Vereine zur Förderung der Witwenehen gebildet haben (z. B. die Widow Marriage Aiding Society in Lahaur). - Von einer socialen Arbeiterfrage in Indien kann man, bei der eigenartigen Natur des Kastenwesens, nur in Bezug auf die ländlichen Arbeiter bez. Kleinbauern und -Pächter (Ra'ījat, engl. verderbt ryot) reden, deren Lage in Bezug auf rechtliche Stellung und Steuerzahlung in den verschiedenen Präsidentschaften u. s. w. verschieden, aber fast überall (infolge teils dieser besondern Grundbesitz- und Steuerverhältnisse, teils des Kastenwesens, hauptsächlich aber wegen ihrer, abgesehen vom Landbau, grenzenlosen Unwissenheit) überaus gedrückt und elend ist, entweder dem Samīndār bez. Ta'alluqadār (dem Grundherrn) oder dem Mahādschan (dem dörflichen Geldverleiher) gegenüber. Seit die staatliche Herrschaft Englands an Stelle derjenigen der Ostindischen Compagnie trat (1858), ist, hauptsächlich durch die Initiative der Regierung bez. durch Gesetze, die Lage der ländlichen Arbeiter um vieles besser geworden, aber vieles bleibt noch zu thun übrig. Es sei hier nur an das nicht beneidenswerte Los der Arbeiter in den Indigopflanzungen erinnert, deren Behandlung der 1829 geborene "Shakespeare Bengalens", Dīnā Bāndhu Mitra, in seinem Schauspiele "Nīl-darpan" (d. h. Indigospiegel) 1873 derart geißelte, daß er dadurch zur Besserung des Schicksals jener Unglücklichen wesentlich beigetragen hat.

Die jetzigen politischen Bestrebungen, die sich vor allem in der Schöpfung des indischen Nationalkongresses krystallisiert haben, stammen erst aus allerneuester Zeit, aus dem Anfang der siebziger Jahre (von dem Aufstande von 1857 und seinen Gründen ist hier ganz abzusehen). Die hierbei den Hindu, Mohammedanern, Sikh, Pārßī u. s. w. (soweit sie sich überhaupt beteiligen) gemeinsamen Ziele sind vor allem: Zahlreichere Zulassung der Eingeborenen auch zu den höhern und wichtigern Stellen im Verwaltungs- und Justizdienste (diese Zulassung findet schon jetzt in solchem Maßstabe statt, daß die Engländer sich darüber zu beschweren beginnen), überhaupt vollständige sociale und polit. Gleichstellung mit den Engländern; dann Schaffung eines nationalen ind. Parlaments, als dessen Vorläufer, wenigstens von den betreffenden Indern, der National Congress angesehen wird. Seit 1885 tagt dieser Kongreß jährlich einmal je drei bis vier Tage in einer der Haupt- bez. größern Städte Indiens, wobei aus allen Teilen des Landes etwa 1000 Delegierte zusammenkommen und gelegentlich auch engl. Parlamentarier sich beteiligen; die Zahl der Abgeordneten soll übrigens allmählich verringert werden. Gegenstände der Beratung sind u. a.: Vermehrung der Mitglieder des Council (d. h. des dem Gouverneur zur Seite stehenden Rates für Gesetzgebung und Verwaltung) in den verschiedenen Präsidentschaften u. s. w. und zwar durch Eingeborene, sowie Verstärkung des Einflusses der Mitglieder der verschiedenen Councils auf die Festsetzung des Budgets, Regelung der ind. Anleihen, Zölle und Steuern, Regelung bez. Trennung des richterlichen und des Verwaltungsdienstes, Einführung bez. Vermehrung von Schwurgerichten, Verbesserung des Polizeiwesens, Förderung des öffentlichen Unterrichtswesens, Militaria in Bezug auf rein ind. Regimenter, Silberwährungsfrage, Einführung von Gewerbeenqueten u. s. w. Die Ziele dieses Nationalkongresses suchen, zum Teil wenigstens, auch die in England lebenden Inder durch ihre National Indian Association in London zu fördern.

Obwohl man in engl. Kreisen behauptet, daß die Kongreßpartei sich meist aus Mißvergnügten und Fanatikern zusammensetze, und obwohl thatsächlich die Hindu der höhern Kasten sowie die besser situierten Mohammedaner sich dieser Bewegung großenteils nicht, oder noch nicht anschließen, so steht doch die brit. Regierung dem ind. Nationalkongreß insofern nicht ganz ablehnend gegenüber, als diese nur beratende Körperschaft ihr in den verschiedensten Fragen schätzbares Material an die Hand giebt und sie über die Stimmung in den weitesten Kreisen der Eingeborenen unterrichtet. Möglicher-(aber wohl kaum wahrscheinlicher-)weise wird sich in absehbarer Zukunft aus dem Nationalkongreß ein allgemeines ind. Parlament für die unter unmittelbarer brit. Herrschaft stehenden Landesteile entwickeln; weiter werden die Bestrebungen auch der "nationalsten", mindestens der besonnenen ind. Politiker nicht gehen. Ein ind. Gesamtstaat kann ohne eine unparteiische fremdländische Herrschaft nicht bestehen, da das Hindutum und der Mohammedanismus sich zu schroff gegenüberstehen. Würde die engl. Regierung in Indien heute beseitigt, ohne daß eine andere fremde Macht an ihre Stelle träte, so wäre es nur eine Frage der allernächsten Zeit, daß Hindu und Mohammedaner im ganzen Lande übereinander herfallen würden, so wie sie dies im kleinen überall bei jedem Anlaß schon jetzt thun. Die vielfachen Gegensätze zwischen den Hindu und den Mohammedanern kommen auch auf den Nationalkongressen bei allen wichtigen Fragen zur Geltung. - Auch andere, radikale bez. fanatische polit. Bestrebungen werden in neuester Zeit bei einer Partei sichtbar, die es auf die vollständige Verdrängung der Europäer abgesehen hat und zu diesem Behufe selbst vor der Schürung des religiösen Fanatismus bei den breiten Volksmassen nicht zurückschrickt. Doch sind über die Organisation dieser zum Teil durch vorgeblich rein religiöse Vereine wirkenden Partei nur wenig sichere Nachrichten bekannt.

Hindui nannte Trumpp ("Sindhi Grammar", 1872) die Hindidialekte, die zu toten Sprachen geworden sind.

Hinduismus, die dritte Phase der brahmanischen Religion, welche auf die vedische Religion und den Brahmanismus folgt und charakterisiert wird durch die Ausbildung der Gottheiten Çiva und Wischnu und einen aus dem unpersönlichen brahman entwickelten Gott Brahman (s. Brahma). Der H. ist die Religion der Inder, wie sie in den