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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hygieine

gungen verursacht. Bei der Bedeutung derartiger Maßregeln strebt man nach einer internationalen Regelung. Eine solche wurde für die Cholera bereits angebahnt auf den Kongressen zu Paris 1851, Konstantinopel 1866, Wien 1874, Washington 1881, Rom 1885, Venedig 1892; im Frühjahr 1893 wurde neuerdings, und wie es scheint mit Erfolg, durch den internationalen Kongreß in Dresden die Bekämpfung der Cholera mittelst einheitlicher Maßregeln beraten; namentlich wurden die Normen für die Überwachung des Verkehrs festgestellt. Für andere Krankheitsformen werden in der Zukunft wohl die gleichen Schritte zu thun sein. Sie werden zum Teil schon vorbereitet auf den alle vier Jahre stattfindenden internationalen Kongressen für H. und Demographie, deren letzter 1891 in London tagte. Je nach der eigentümlichen Natur des Ansteckungsstoffs bei den verschiedenen kontagiösen Krankheiten (Cholera, Typhus, Pest, Gelbes Fieber, Pocken u. s. w.) kommen teils vorbereitende, teils beim Ausbruche der Krankheit im Orte zu treffende Maßregeln in Betracht: Anordnungen über sofortige Anzeige jedes Erkrankungsfalls, Beseitigung der die Luft und den Boden verunreinigenden Ausdünstungen und Abflüsse, des Inhalts fauler Gruben und Gräben, zweckmäßige Anlage der Begräbnisplätze, Reinigung, eventuell Räumung unreiner Lokalitäten in Armenhäusern, Gefängnissen, Schulen und Wohnungen, allgemeine Desinfektion (s. d.) der Abtritte, Kanäle und Schlachthäuser, Beschaffung guten Trinkwassers, Absperrung verunreinigter Brunnen u. s. w. Ausführlich handelt hierüber das im Stadium der Vorbereitung befindliche Seuchengesetz für das Deutsche Reich. Auch ist es Sache der öffentlichen H., das Publikum beim Ausbruch einer Epidemie in geeigneter Weise darüber zu belehren, durch welche Verhaltungsmaßregeln sich der Einzelne vor der drohenden Gefahr der Ansteckung schützen kann. Gegen gewisse Krankheiten giebt es ganz besondere Vorkehrungen, z. B. gegen die Blattern die Impfung der Kuhpocken (Vaccination). Hierbei entstand denn die Frage, ob die Regierung den in der polizeilichen Impfung (Impfzwang) liegenden Eingriff in die individuelle Freiheit zu machen berechtigt sei, oder ob sie bei der bloßen Empfehlung der Impfung stehen bleiben soll. Mit dem 1. April 1875 wurde für das Deutsche Reich diese Frage endgültig entschieden und der Impfzwang gesetzlich eingeführt. Eine Reihe umfänglicher Maßregeln werden gegen die Verbreitung einer andern ansteckenden Krankheit, der Syphilis, getroffen, namentlich durch die sanitätspolizeiliche Beaufsichtigung der Prostitution in den großen Städten als Hauptherd der Infektion. Die Übertragbarkeit von Tierkrankheiten auf den Menschen (Milzbrand, Rotz, Wut) erfordert schnelle Beseitigung der erkrankten Tiere, Anordnung, daß alle Hunde Maulkörbe tragen müssen u. dgl.

Mit dem Bauwesen hat es die H. insofern zu thun, als sie die öffentliche Gesundheit gegen die in Bau und Anlage der Wohnungen liegende Gefahr zu schützen und namentlich die Wohnungsverhältnisse der niedern Klasse als die Herde der Krankheiten zu verbessern hat. (S. Baupolizei, Bauordnung, Baurecht.) Seit 1830 zeigte sich in Europa eine regere Bewegung für diese Aufgabe. Für England liegt sogar der Schwerpunkt aller Gesundheitspolizei in der strengern Baupolizei, in der Städtereinigung, Kanalisation u. dgl., durch welche viele engl. Städte ihre Mortalitätsziffer bedeutend verringert haben. Vor allem muß die Bauordnung ihr Augenmerk in hygieinischer Hinsicht auf Bauplan und Einrichtung der Privatwohnungen, auf die Latrinen, Kloaken, Abzugskanäle und Dungbehälter richten. In neuerer Zeit steht denn auch die brennende Frage auf der Tagesordnung, ob die Städte mittels der nach engl. System zu bauenden Schwemmkanäle (in Verbindung mit Wasserleitung und Wasserklosetts) oder mittels eines der mannigfachen Abfuhrsysteme gereinigt werden sollen. (S. Städtereinigung.) Kellerräume dürften als Wohn- oder Schlafräume für Menschen schlechterdings nicht benutzt werden; in Mietwohnungen und Schlafstellen, in denen sich eine bestimmte Anzahl von Menschen aufhält, soll einem jeden Individuum ein bestimmtes ausreichendes Volumen von Luft (mindestens 20 cbm für den Erwachsenen) gewährt werden, wenn nicht die Luftverschlechterung durch die Atmung die Gesundheit schädigen soll.

Nächstdem sind speciell die gesundheitlichen Verhältnisse der Fabriken, Kasernen, Gefängnisse und anderer öffentlicher Gebäude, vor allem aber die der Schulen (s. Schulhygiene) zu beaufsichtigen. Hier fällt vor allem die Frage nach der zweckmäßigsten Art der Ventilation (s. d.) und der Heizung (s. d.) in das Gewicht. Die Sorge für gesunde Speisen und Getränke legt dem Sanitätswesen die Pflicht auf, eine vorsichtige Nahrungspolizei herzustellen, die nicht bloß als hygieinische Marktpolizei Brot, Fleisch, Milch und andere Getränke, Gewürze u. s. w. beaufsichtigt und beispielsweise auf mutterkornhaltiges Brot, auf finniges, trichinöses oder verdorbenes Fleisch (Fleischbeschau), auf saures oder mit schädlichen Stoffen versetztes Bier fahndet, sondern die auch die Brunnenwässer und ihre sanitäre Beschaffenheit im Auge behält. Namentlich bei ausbrechenden Epidemien ist auf diese Untersuchungen im Interesse der ärmern Bevölkerungsklassen ganz besondere Sorgfalt zu verwenden. (S. Nahrungsmittel und Verfälschungen.) Hieran reiht sich der Schutz gegen den gefährlichen Verkehr mit Giften, die Beaufsichtigung des Gifthandels (s. Giftverkehr), die Verwendung giftiger Farben, die Benutzung schädlicher Gerätschaften, indem je nach Umständen solche aus Eisen, Kupfer, Zinn, Neusilber, Blei u. s. w. der Gesundheit nachteilig sein können; Kleiderstoffe, Spielwaren, Tapeten, Konditoreiwaren, Schnupf- und Rauchtabak u. s. w. können ferner mit mannigfachen metallischen oder vegetabilischen Giften versetzt sein. In Deutschland ist im Strafgesetzbuch die Gefährdung anderer durch giftige Gegenstände sowie der Handel mit Giften gesetzlich vorgesehen und beschränkt und überdies durch ein eigenes Gesetz die Verfälschung der Nahrungs- und Genußmittel mit erheblichen Strafen bedroht. Bei vielen Gewerben sind die Arbeiter gesundheitswidrigen Einflüssen ausgesetzt; die Fabrik- und Gewerbehygieine muß deshalb für einen die Gesundheit möglichst wenig schädigenden Betrieb sorgen. Zunächst kommen beim Gewerbebetrieb chem. Schädlichkeiten vor: durch Blei, Quecksilber, Arsenik, Kupfer, Phosphor, irrespirable und giftige Gase u. s. w. (S. Gewerbekrankheiten und Gasinhalationskrankheiten.) Hier sind als Vorkehrungsmittel Ventilation, strenge Diät, Isolierung des Arbeiters, Schwämme vor Mund und Nase in Anwendung. Andererseits giebt es Schädlichkeiten, die bei manchem Kunst- und Gewerbebetrieb auf die