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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Ideell; Ideenassociation; Ideenflucht

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Ideell - Ideenflucht

sein wird), also das sittliche Ideal. Der heutige Gebrauch des Wortes schwankt zwischen diesen beiden ganz verschiedenen Bedeutungen. Man versteht darunter zumeist wohl etwas, was man im Gedanken und etwa bei irgend einem Werk als Muster vor Augen hat, dem aber die wirkliche Ausführung nur mehr oder minder unvollkommen entspricht. So spricht man von der I. eines Kunstwerks u. s. w. - Über die Fixe Idee s. d.

Ideell, nur in der Idee oder Vorstellung bestehend. Gegensatz: reell. (S. Ideal, Idealität.)

Ideenassociation, in der Psychologie die Grundthatsache, daß Vorstellungen sich miteinander derartig vergesellschaften und zu Gruppen oder zu Reihenbildungen verknüpfen, daß die erneuerte Bewußtwerdung der einen auch die der andern mit sich führt. Nicht nur der unwillkürliche Vorstellungsverlauf (z. B. die Traumvorstellungen) steht unter der Herrschaft der I., sondern auch die absichtlichen Denkbewegungen, die willkürliche Erinnerung und das Nachdenken, können ihr Ziel nur dadurch erreichen, daß sie Prozesse der Reproduktion vermöge der Associationen auslösen. Auf die Bedeutung dieser Thatsache aufmerksam geworden zu sein, ist das Verdienst der von Locke angeregten psychol. Betrachtung der Engländer des 18. Jahrh., und soweit in der Erklärung derselben Hartley und Priestley, die sog. Associationspsychologen, andererseits Reid und in noch anderer Weise Hume auseinander gehen mochten, so waren sie doch einig in der Aufstellung von vier Grundgesetzen, nach denen sich die Vorstellungen verbinden sollten: 1) im Verhältnis ihrer Ähnlichkeit, 2) auf Grund ihres Kontrastes, 3) infolge ihrer zeitlichen oder räumlichen Berührung, 4) infolge von begrifflichen Beziehungen, z. B. der Kausalität, der Inhärenz u. s. w.

Die Psychologie des 19. Jahrh. hat diesem Gegenstande besonderes Interesse zugewendet, und namentlich haben die Untersuchungen von Stuart Mill, Herbart, Lotze und Wundt viel neues Licht darüber verbreitet. Man muß zunächst zwischen Association und Reproduktion unterscheiden, nicht nur als zwei besondern Prozessen, sondern auch weil beide nicht notwendig voneinander abhängen. Es giebt nämlich einerseits sog. freisteigende Vorstellungen, bei denen also nicht ein vorausgehender oder gleichzeitig gegebener Inhalt reproduzierend gewirkt hat, und es werden Vorstellungen durch die letztern hervorgerufen, die noch nie mit ihnen associiert waren. Im Hinblick auf die letztere Thatsache scheint ein besonderes Gesetz formuliert werden zu müssen: Ähnliche Inhalte reproduzieren denselben Inhalt. So wird das einen Klassenbegriff reproduzierende Wort (z. B. blau) durch jeden neuen unter denselben subsumierbaren Inhalt (z. B. eine neue blaue Farbennuance) sofort reproduziert. Während sich hier eine Association erst auf Grund einer Reproduktion bildet, kommen andererseits auch Associationen zwischen ursprünglichen Inhalten vor und ist die Thatsache einer Association nicht notwendige Veranlassung einer Reproduktion des entsprechenden Gliedes. Unter den Associationen aber sind die unbestimmten und die bestimmten zu unterscheiden. Jene sind dadurch charakterisiert, daß eine größere Anzahl von Inhalten mit einem und demselben Inhalt in Verbindung stehen, wie etwa dasselbe Lustgefühl mit Eindrücken verschiedener Sinne oder dasselbe Wort mit einer Reihe von Vorstellungen; diese enthalten eine eindeutige Association bestimmter Inhalte miteinander, wie z. B. die Vorstellung eines gewissen Objekts und eines ihm eigentümlichen Merkmals. Ferner hat man zu unterscheiden zwischen der Verschmelzung und der Verknüpfung von Inhalten. Erstere macht die einzelnen Inhalte zu Gliedern eines Ganzen von einheitlicher Bedeutung und Wirkung, letztere läßt die verbundenen Inhalte als selbständige Größen bestehen. Die Verschmelzung tritt überall da ein, wo die Empfindungen oder Gefühle räumlich und zeitlich ungesondert auftreten, während wir eine Verknüpfung gerade im entgegengesetzten Halle konstatieren. Dem gegenüber ist die Association nur eine Bedingung der Reproduktion, die dadurch zu stande kommt, daß gewisse Inhalte im Bewußtsein zusammentreffen (Association nach Gleichzeitigkeit und Succession). Die Festigkeit der Association ist abhängig von der Art des Zusammenhangs ihrer Glieder, von den Eigenschaften der letztern, von der Häufigkeit ihrer Verbindung, von der Aufmerksamkeit, der Übung u. a. Die Untersuchung aller dieser Bedingungen ergiebt eine Anzahl von Gesetzen, die an die Stelle der nur der Klassifikation dienenden alten Aristotelischen "Gesetze" zu treten haben. Sodann muß noch aus die wichtige Thatsache hingewiesen werden, daß zwei Vorstellungen, die, gleichviel auf welche Weise, mit einer dritten verbunden sind, dann auch miteinander in eine derartige direkte Verbindung treten können, daß sie einander ohne Bewußtwerdung der vermittelnden Vorstellung zu reproduzieren vermögen (Gesetz der Ausschaltung). Die allgemeine Richtung der Vorstellungsbewegung endlich wird durch das Gefühlsleben und den Willen in hervorragendem Maße bestimmt, so wird eine traurige Stimmung vorzugsweise solche Vorstellungen reproduzieren, die die herrschende Stimmung zu begründen oder zu erhalten fähig sind. So wichtig aber dieser Vorgang der Association für die elementaren Prozesse des Seelenlebens ist, so verfehlt war die Neigung des 18. Jahrh., alle psychischen Erscheinungen aus Associationen abzuleiten, und so richtig war die Leibnizsche Lehre, daß der Association die Apperception (s. d.) als eine eigenartige und noch viel wichtigere Funktion gegenübersteht. Aus dem Prozeß der Apperception freilich ergeben sich dann durch die begrifflichen Beziehungen neue und zwar die besten und festesten Associationen. (S. Gedächtnis.)

Ideenflucht, die krankhafte Beschleunigung des Verlaufes (des Wechsels und der Dauer) der Vorstellungen (Ideen). In den mildern Formen hängen letztere noch inhaltlich (logisch) zusammen, es werden formell richtige Sätze (Urteile) gebildet, doch kommt der Kranke vom Hundertsten ins Tausendste, ein Gedanke jagt den andern. In den höhern Graden wird jeder logische Zusammenhang der aufeinander folgenden Vorstellungen vermißt; der Kranke reiht z. B. Wort an Wort, ohne daß eine wirkliche Satzbildung hervortritt. Meist beherrschen hier die sog. Associationsgesetze die Aufeinanderfolge; z. B. ähnlich klingende Worte treten rasch hintereinander auf (Reimereien ohne tiefern Sinn). Schließlich spricht der Kranke nicht einmal in ganzen Wörtern, sondern nur Bruchstücke solcher werden aneinander gereiht. In diesen höchsten Graden, welche immer eine schwere (wenn auch nicht unheilbare) Reizung des Gehirns andeuten, besteht ein völliger Wirrwarr der Gedanken (ideenflüchtige Verworrenheit). Kranke mit I. sind meist unruhig, schwatz-^[folgende Seite]