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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Jüdische Litteratur

Bibel, die sog. Septuaginta, war, von dessen sonstigen Werken aber neben den Apokryphen des Alten Testaments sowie neben Philo und Josephus nur Trümmer erhalten sind. Im ganzen umfassen sie die Zeit vom 3. Jahrh. v. Chr. bis Ende des 2. Jahrh. n. Chr. (also über diese erste Periode hinausreichend). (Vgl. J.^[Jakob] Freudenthal, Hellenistische Studien, Heft 1 u. 2, Bresl. 1875; C. Siegfried, Der jüd. Hellenismus, in Hilgenfelds "Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie", Lpz. 1875, Heft 4.) Der Charakter dieser Litteratur ist Nachbildung, sei es des Alten Testaments im griech. Sprachgewande, sei es der griech. Historiker, Dichter und Philosophen durch Übertragung von deren Formen auf Stoffe des Alten Testaments.

II. Periode. Auf die Periode der Soferim, die für die Gesetzeslehre die eigentlich produktive gewesen war, folgte als zweite die der Tannajim, von Ende des 1. Jahrh. n. Chr. bis Anfang des 3. Jahrh., welche die Gesetze auslegten und behufs ihrer Anwendung auf den einzelnen Fall näher bestimmten, überhaupt die Gesetzgebung weiter entwickelten. Es geschah dies in einer doppelten Form. Man kann einem Gesetze eine bestimmte neue Formulierung geben oder aus ihm neue maßgebende Bestimmungen zur Nachachtung entwickeln. Eine solche Gesetzesnovelle nannte man Halacha (s. d.). Man kann aber über ein Gesetz auch bloß seine jurist. Ansicht vortragen. Ein solcher Vortrag hieß Hagadah (s. d.).

Der Begriff Hagadah erweiterte sich naturgemäß leicht vom jurist. Vortrag zum Vortrag überhaupt. Derselbe konnte dann eine Predigt, Sittenlehre, Exegese, ein Gedicht, eine Parabel, Erzählung, kurz ein Vortrag über alles Mögliche werden, das sich an die Thora oder an eine Stelle derselben anschließen ließ. Unter den Tannajim ragten als Schulhäupter hervor: Hillel, der Erfinder der 7 Regeln (middoth) der Auslegung, und sein Gegner Schammai. Schüler des erstern waren Jochanan ben Sakkai, der nach der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. durch die Gründung des Bethauses von Jabne (Jamnia) gewissermaßen der Retter des Judentums wurde (vgl. Spitz, Rabbi Jochanan ben Sakkai, Lpz. 1884) und dort hervorragende Schüler, Elieser ben Hyrkanos, Josua ben Chananja und vor allem den Rabbi Akiba zog, der den immer massenhafter anschwellenden, nur mündlich überlieferten Traditionsstoff durch systematische Ordnung behaltbarer machte, die Auslegungsregeln des Hillel bis zur Spitzfindigkeit erweiterte und durch den Märtyrertod in der Hadrianischen Verfolgung sich ein dauerndes Andenken bei seinem Volke sicherte. Der Fortsetzer seines Werkes war vorzugsweise Rabbi Meir; demnächst sind zu nennen: Rabbi Simon ben Jochai und der Sammler und Aufzeichner der bisher nur mündlich überlieferten Halachoth in dem corpus juris der Mischna: Rabbi Jehuda hannasi, das Haupt des damals zu Sepphoris befindlichen Synedriums etwa 219 n. Chr. (Vgl. M. Braunschweiger, Die Lehrer der Mischna, Frankf. a. M. 1890.) Die Sprache der Mischna ist das oben erwähnte Neuhebräische. Deutsche Übersetzungen sind von Rabe, Jost, Samter. Speciell für diese Periode vgl. Bacher, Die Agada der Tannaiten (Bd. 1, Straßb. 1884; Bd. 2, ebd. 1890).

III. Periode. Die dritte Periode ist die des Talmuds und seiner Lehrer (Amorajim, d. i. Redner, Erläuterer, nämlich der Mischna) von Anfang des 3. bis Ende des 5. Jahrh. Nach der Vernichtung aller nationalen Hoffnungen der Juden im Hadrianischen Krieg 135 n. Chr. sank die Bedeutung des palästinischen Stammlandes. Die babylon. Gelehrtenschulen fingen an die palästinischen zu überflügeln, die mit der Zeit ganz ausstarben. Besonders blühten in Babylon die Schulen von Nahardea, Sura und Pumpeditha. Die Entscheidungen der palästinischen Lehrer wurden um 380 im sog. jerusalemischen Talmud, die der babylonischen um 500 im babylonischen Talmud gesammelt. Die Autorität des letztern blieb die überwiegende. Talmud (Lehre) ist späthebr. Sprachgebrauch für Thora. Die neuen Entscheidungen, Gemara ("Vervollständigung") genannt, knüpfen zunächst an die Mischna an, die also in das corpus des Talmuds mit aufgenommen wurde. Die Sprache der beiden Talmude ist aramäisch. Daneben her gingen halachische Auslegungen (Midraschim) einzelner Lehrer, wie der Kommentar Sifrë zum 4. und 5. Buch Mose, vielleicht von Simon ben Jochai, Sifra zum 3. Buch Mose, Mechilta zum 2. Buch Mose, die Pesiqta des Rab Kahana (hg. von Buber, 1868), Tanchuma (hg. von Buber, 1885) u. a. Vgl. Strack, Einleitung in den Talmud (Lpz. 1887). Zur Hagadah dieser Periode vgl. Wünsche, Der babylon. Talmud in seinen hagadischen Bestandteilen (Lpz. 1886-89); W. Bacher, Die Agada der palästinensischen Amoräer (Bd. 1, Straßb. 1892).

IV. Periode. Die vierte Periode vom Anfang des 6. bis Mitte des 8. Jahrh. brachte für das talmudische Wissen nur die Nachträge der Saburajim ("Meinende") und Geonim (s. Gaon) genannten Lehrer. Sonst beschränkte man sich auf Sammeln und Vergleichen der talmudischen Halachoth. Nebenher gingen Sammlungen der Hagadoth. So gehören vielleicht dieser Zeit an die ältesten Teile des Pentateuchkommentars Midrasch rabba, die Pesiqta rabbati u. a. (Vgl. Wünsche, Bibliotheca rabbinica, Lpz. 1880 fg.; Ferd. Weber, System der altsynagogalen palästinischen Theologie, ebd. 1880.) Viele dieser Hagadoth fanden auch Aufnahme in die während dieser Zeit niedergeschriebenen aramäischen Paraphrasen der Bibel (Targumim, d. i. Dolmetschungen). Von bleibendem Wert waren die in die Zeit vom 6. bis 8. Jahrh. fallenden Studien zum Bibeltexte (Masora), die die Vokalisation und Accentuation des hebr. Textes regelten. (Vgl. Blau, Masoretische Untersuchungen, Straßb. 1891.) Die früher schon vereinzelt betriebene Geheimlehre, die kosmogonische Spekulation (ma‘ase bereschit), an 1 Mose 1 anschließend, und die theosophische (ma‘ase merkaba), an Kap. 1 des Ezechiel anknüpfend, fand in den Pirke di Rabbi Elieser ihren ersten schriftstellerischen Ausdruck. Von größerer Bedeutung ist das im 7. oder 8. Jahrh. entstandene "Buch der Schöpfung" (Jezira, s. d.).

V. Periode. Einen neuen Aufschwung erhielt die J. L. durch die Berührung mit den maur. Arabern in Afrika und Spanien. Dieser Aufschwung füllte die fünfte Periode von 750 bis etwa 1200 aus. Der durch die Aristotelisch-arab. Philosophie beeinflußte Saadja Gaon (gest. 942) aus Fajum in Ägypten, der Übersetzer des Alten Testaments in das Arabische und der Kommentator desselben, ward an die Spitze der Akademie von Sura in Babylonien berufen und rettete das dortige Talmudstudium vor gänzlicher Verkümmerung. Er verteidigte die talmudische Richtung gegen die Angriffe der Karäer (s. d.), welche die Tradition verwarfen.