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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kanalisation

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Kanalisation'

richtig gewürdigt worden. Babylon, Karthago, Jerusalem, zahlreiche ägypt. Städte besaßen bedeutende derartige Anlagen. In Babylon bestanden nach Layard große Straßenkanäle, in die sich die Häuser durch kleine Seitenkanäle entwässerten. In Jerusalem wurden die Abwässer durch ein Kanalnetz in große Teiche geleitet; der Bodensatz in denselben wurde als Dünger verkauft und das Wasser der Teiche zur Bewässerung der Gärten im Thale Kidron verwendet. Die bedeutendste K. des Altertums war die von Rom. Bereits Tarquinius Priscus (600 v. Chr.) erbaute einen großen Sammelkanal, die Cloaca maxima, der heute noch besteht und eine Höhe von 5,3 m und eine Breite von 4,4 m besitzt. Er diente allerdings zunächst nur zur Drainage des sumpfigen Bodens, nahm aber später alle Hauswässer auf. Infolge zu geringen Gefälles und ungenügender Spülung mußte er 400 Jahre nach seiner Herstellung mit einem Kostenaufwand von 1000 Talenten (fast 5 Mill. M.) gereinigt werden. Unter Kaiser Augustus wurde eine regelmäßige Spülung der Kanäle von den Wasserleitungen aus eingerichtet. Im Mittelalter ist wenig für K. geschehen, Regenwasser und Abwässer mit und ohne Exkremente liefen entweder in natürlichen Rinnen oder in offenen, nicht einmal undurchlässigen Gräben ab; vielerorts sind diese und ähnliche Zustände bis in die Neuzeit bestehen geblieben, in manchen kleinern Städten Frankreichs existieren sie heute noch. Einige rühmliche Ausnahmen sind jedoch zu erwähnen. So sind in Bunzlau (Schlesien) seit 1559 gemauerte Kanäle für die Abwässer der Stadt vorhanden; in Prag wurden im 17. Jahrh. mehrere gewölbte Abzugskanäle gebaut. Am besten waren noch die Entwässerungsverhältnisse in den engl. Städten.

Erhebliche Fortschritte in der K. überhaupt, und besonders derjenigen größerer Städte, wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh, gemacht. Nach dem Vorgange Englands, das bereits 1852 eine Instruktion über die Ableitung des Abwassers aus Wohnungen und öffentlichen Gebäuden, über die Anlage von Abzugskanälen und die Reinigung von Städten publizierte, wurde endlich in den meisten Ländern mit der Anlage rationeller Kanalisationssysteme begonnen. Paris hatte 1854 bereits 142 km gedeckter Kanäle, 1856 begann unter Leitung Belgrands der Bau großer Sammelkanäle. Die erste regelrecht kanalisierte Stadt in Deutschland war Hamburg, woselbst die Kanalisationsarbeiten Mitte der fünfziger Jahre ihren Anfang nahmen. 1867 begann die K. von Frankfurt, 1869 die von Danzig, 1873 die von Berlin, 1880 die von München u. s. w. Zahlreiche größere Städte, darunter auch Wien, und die meisten kleinen Städte sind übrigens gegenwärtig noch vollständig ungenügend kanalisiert. Die specielle Durchführung der K. hängt von den besondern Verhältnissen der betreffenden Stadt ab. Namentlich sind es folgende Momente, welche für das Kanalisationssystem bestimmend sind: örtliche Lage und Terrainbeschaffenheit, Größe der Stadt und ihrer industriellen Entwicklung, klimatische Verhältnisse, Bedürfnisse des benachbarten Flachlandes, Art der definitiven Beseitigung der Abfallstoffe u. s. w. Am günstigsten sind die Bedingungen für solche Städte, welche an großen Flüssen und auf stark abfallendem Boden liegen; denn hier kann, wie z. B. in München, Wien, ein zusammenhängendes Kanalnetz, in dem vermöge eines ganz natürlichen Gefälles der Inhalt rasch weiter befördert wird, angelegt ↔ werden. Bei diesen Anlagen kann auch am erfolgreichsten das Schwemmsystem zur Anwendung kommen. Viel ungünstiger daran sind Städte, die auf ganz flachem Terrain erbaut sind oder an kleinen oder zu langsam fließenden Flußläufen oder Seen liegen. Hier muß oft die ganze K. in einzelne Abteilungen zerlegt werden, der Kanalinhalt von Zeit zu Zeit durch Pumpstationen höher gehoben und auf weite Entfernung außerhalb der Stadt fortgepumpt werden. Hin und wieder wird in solchen Fällen eine völlige Trennung der Entwässerungsanlagen für Regenwasser von der für Abwässer notwendig (Trennungssystem). Die Anlage der Kanalnetze kann nach folgenden fünf Systemen, je nach Lage der Verhältnisse, erfolgen:

  • 1) Perpendikularsystem (s. Tafel: Kanalisation, Fig. 1). Teilung der Stadt in einzelne Bezirke, deren Kanäle in je einen Sammler (Kollektor) s geführt werden, welcher rechtwinklig zur Flußrichtung in den Fluß mündet. Kurze Kanäle von geringem Querschnitt, aber Überlastung der untern Stadtteile durch Kanalwasser aus den obern und Verunreinigung des Wasserlaufs noch innerhalb der Stadt. Beispiele: Halle, Salzburg, Wien, Ulm, Rostock, Bern, Szegedin, Ems, Würzburg, Lübeck, Prag.
  • 2) Abfangsystem (s. Fig. 2). Die Sammler s des Systems 1 werden nicht direkt in den Fluß, sondern in Abfangskanäle A eingeführt, welche längs des Flusses laufen und sich des Abwassers erst unterhalb der Stadt entledigen. Keine Verunreinigung des Wasserlaufs in der Stadt, aber bedeutende Kosten der Abfangkanäle, die eine starke Wassermenge bei meist kleinem Gefalle führen, daher großen Querschnitt haben müssen. Für den Anfangsbetrieb unnötige Größe der Kanäle, auf spätere Vergrößerung der Stadt berechnet, daher totes Kapital. Einheitlich durchgeführt in Danzig.
  • 3) Fächersystem (s. Fig. 3). Für die ganze Stadt wird ein einziger Auslaßpunkt A der Abwässer angelegt, von dem die Hauptsammler s der einzelnen Bezirke, welche die Kanalnetze aufnehmen, strahlenförmig ausgehen. Nachteil: die gleich für die Vergrößerung übergroß angelegten Sammler wie bei System 2. Beispiele: Karlsruhe, Wiesbaden, Emden, Breslau, Dortmund, Bremen, Reichenhall, Brüssel.
  • 4) Zonensystem. Bezirke von verschiedener Höhenlage, welche unabhängig voneinander sind. Gesonderte Sammelkanäle. Unterstützung bei der Spülung. Nur ein Auslaß in der untersten Zone. Jede einzelne Zone wird für sich entweder nach dem Abfang- oder Fächerystem ausgebildet. Ausgeführt in Frankfurt a. M., Mainz, Düsseldorf, Stuttgart, München, Heidelberg, Paris, London; entworfen für Köln, Mannheim, Königsberg, Lüttich, Neapel, Basel.
  • 5) Radialsystem (s. Fig. 4). Zerlegung der Stadt in Sektionen für die einzelnen Bezirke, welche jeder sein eigenes Kanalnetz und eigenen Auslaß mit etwaiger Pumpstation haben. Zweckmäßige Erweiterung bei Vergrößerung der Stadt durch Anlage neuer Radialsysteme ohne Änderung der bestehenden Anlagen. Beispiel: Berlin.

Außer diesen genannten Kanalisationssystemen, bei welchen der Kanalinhalt zunächst vermöge des Gefälles der Kanäle fortbewegt wird und erst am Ende der Leitungen oder Sammelkanäle Pumpanlagen als Hilfskräfte verwendet sind, giebt es noch zwei Systeme, bei denen die Kanalwässer so-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 85.

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