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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kant

Mathematik und Philosophie verband, und die er bald ganz aufgab. Nach Ablauf seiner Universitätszeit bekleidete er neun Jahre lang in mehrern Familien die Stelle eines Hauslehrers und habilitierte sich 1755 in Königsberg, wo er Vorlesungen über Logik und Metaphysik, Physik und Mathematik hielt. Ihm wurde 1762 die erledigte Professur der Dichtkunst angetragen, die er aber zu versehen sich nicht für befähigt hielt, und so erhielt er erst 1770 die ordentliche Professur der Logik und Metaphysik. Als akademischer Lehrer äußerte K. einen überaus wohlthätigen Einfluß. Überhaupt hatte sich K., obgleich er unverheiratet blieb, durch seine philos. Untersuchungen keineswegs von einem vielseitigen Verkehr mit der Welt und der Gesellschaft abziehen lassen. Er liebte heitere Geselligkeit, und sein Umgang wurde ebenso gesucht als geschätzt. Übrigens hat sich K. von seinem Geburtsort nie weiter als wenige Meilen entfernt. Er starb 12. Febr. 1804. Ihm wurde 18. Okt. 1864 zu Königsberg ein von Rauch modelliertes Bronzestandbild gesetzt.

K. wurde zunächst durch eine Reihe von Abhandlungen und Schriften bekannt, die sich teils auf Naturwissenschaften ("Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte", 1747), namentlich Astronomie ("Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels", 1755), die er mit einer neuen Anschauung von der Entstehung des Sonnensystems bereicherte (s. Kant-Laplacesche Theorie), und physische Geographie, teils auf Philosophie bezogen ("Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren", 1762; "Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen", 1763; "Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration vom Dasein Gottes", 1763; "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen", 1764; "Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral", 1764; "Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik", 1766). Die Reihe von Schriften, durch die er in die Geschichte der Philosophie epochemachend eingriff, begann mit der Abhandlung "De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis", mit welcher er 1770 seine Professur antrat. Sie enthält teilweise schon die Grundgedanken der "Kritik der reinen Vernunft", die er 11 Jahre später (1781) herausgab. Von da an folgten seine Hauptwerke verhältnismäßig rasch aufeinander: 1783 die "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik", 1785 die "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", 1786 "Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft", 1788 die "Kritik der praktischen Vernunft", 1790 die "Kritik der Urteilskraft", 1793 die "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft", die ihm eine Maßregelung durch das Ministerium Wöllner zuzog, 1797 die "Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre" und "Die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre". Endlich schloß seine mehr als fünfzigjährige schriftstellerische Thätigkeit 1798 mit der "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht". Zwischen diese größern Werke, unter denen wieder die drei Kritiken gleichsam die Hauptpfeiler seines Systems bilden, fallen noch eine große Anzahl kleiner gehaltreicher Abhandlungen. K.s wichtigere Schriften haben sämtlich mehrere, die Hauptwerke zahlreiche Ausgaben und Nachdrucke erlebt; handlich und meist sehr gut bearbeitet sind die Ausgaben in Reclams "Universalbibliothek"; vollständige Sammlungen seiner Werke sind die von Hartenstein (10 Bde., Lpz. 1838-39; neu bearbeitet, 8 Bde., 1867-69), die von Rosenkranz und Schubert (12 Bde., ebd. 1838-42) und von Kirchmann (8 Bde., mit Erläuterungen, Berl. 1868-73). Die zum Teil noch bei seinem Leben nach seinen Vorlesungen herausgegebenen Schriften über Logik, Pädagogik, Metaphysik, philos. Religionslehre sind, die von Rink (2 Bde., Königsb. 1802) und von Vollmer (4 Bde., Hamb. 1801-5) herausgegebene "Physische Geographie" ausgenommen, von geringerer Wichtigkeit. Zuletzt wurde noch veröffentlicht: "Reflexionen K.s zur kritischen Philosophie" (hg. von B. Erdmann, Lpz. 1882-84), "Vom Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik" (in der "Altpreuß. Monatsschrift", Königsb. 1882-84 und hg. von Krause, Lahr 1888), "Lose Blätter aus K.s Nachlaß" (mitgeteilt von R. Reicke in der "Altpreuß. Monatsschrift", 1887 fg.). Unter den ältern Sammlungen seiner kleinern "Vermischten Schriften" ist die vollständigste die unter Mitwirkung K.s von Tieftrunk (3 Bde., Halle 1799) besorgte, zu der als vierter Band die "Sammlung einiger bisher unbekannt gebliebener kleiner Schriften von K." (Königsb. 1800) gehört.

Vgl. Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters K.s (Königsb. 1804); Wasianski, K. in seinen letzten Lebensjahren (ebd. 1804); Jachmann, Immanuel K., geschildert in Briefen (ebd. 1804); Schubert, Immanuel K.s Biographie (Lpz. 1842, und in der Ausgabe der Werke K.s, Bd. 11); K. Fischer, K.s Leben und die Grundlage seiner Lehren (Mannh. 1860); Frauenstädt, Immanuel K. Lichtstrahlen aus seinen Werken. Mit einer Biographie und Charakteristik K.s (Lpz. 1872).

Die Kantsche Philosophie ist einerseits das reife und abschließende Resultat der Aufklärungsbewegung des 18., andererseits als solches der gemeinsame Ausgangspunkt aller bedeutendern wissenschaftlichen Richtungen des 19. Jahrh., und diese mächtige Stellung auf dem Gebiete der Philosophie hat auch für die übrigen Kultursphären derartig gewirkt, daß man auch in ihnen überall den K.schen Gedanken als lebenskräftigen Triebfedern begegnet. Was den histor. Ursprung dieser Lehre betrifft, so sieht man in ihr die einheitliche und principielle Zusammenfassung der mannigfachen Strömungen, welche das Jahrhundert der Aufklärung hervortrieb: die glänzende Entfaltung der mechan. Naturwissenschaft, die mit der Untersuchung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit beschäftigte Philosophie, der den positiven Religionen sich kritisch gegenüberstellende Vernunftglaube der engl. Freidenker und der deutschen Rationalisten, der in Rousseau leidenschaftlich gegen die Kultur sich aufbäumende Drang nach natürlicher Entfaltung des Individuums, die lebhafte, gegen alles autoritative Ansehen ringende Diskussion der großen Fragen des Staates und der Gesellschaft, alle diese Bestrebungen finden in K. ihre Vereinigung und damit ihre gegenseitige Abklärung und Versöhnung. Und doch tritt bei ihm der Wert dieser vereinigenden und alles umfassenden Kraft seines Geistes noch zurück hinter demjenigen der mächtigen Energie des Grundgedankens, von dem aus er alle diese Fragen behandelt. Es ist die Überzeugung von der gesetzgebenden Kraft der Vernunft in Wissenschaft und Leben, die K. nach allen Seiten durchzuführen sucht, und mit der er eben das Geheimnis des Zeitalters der Aufklärung ausspricht.

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