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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kanzellen - Kanzler

hard Engelberger 1505; zu Wien von Anton Pilgram 1505-12; zu Freiberg i. S. um 1500 u. a. m. Sie bestand nun meist aus einer kurzen Säule, welche den Standplatz der Geistlichen (Predigtstuhl) emporhielt, lehnte sich an einen Pfeiler des Langhauses, welches man mit Emporen (s. Emporkirche) zu umgeben begann. Es entspricht dies der wachsenden Bedeutung, welche vor und mit der Reformation die Predigt in der alten wie in der neuen Kirche gewann. Man begann nunmehr auch Figuren zu Trägern der K. zu bilden (z. B. einen Bergmann in Freiberg), um die K. als von der Gemeinde getragen darzustellen. Das 16. Jahrh. hat in Stein und Holz zahlreiche zierlich ausgebildete K. geschaffen. Im 17. Jahrh. begann man symbolische Bildwerke mit ihr in Verbindung zu bringen; man bildete Engel als den Träger aus, ließ sie von Wolken und Engeln umschwebt erscheinen. So entstanden namentlich in Belgien uno Süddeutschland reizvolle, aber oft bis zur Überladung gesteigerte Werke. Einfacher sind die protestantischen K., welche man mit dem Altar in Verbindung zu bringen trachtete, ohne eine völlig befriedigende Lösung des Problems herbeizuführen. Die modernen K. greifen in Form und Anlage meist auf das Mittelalter zurück; doch wurden in jüngster Zeit in der prot. Kirche vielfach Versuche zu sachgemäßer Aufstellung gemacht. - Vgl. Jakob, Die Kunst im Dienste der Kirche (3. Aufl., Landshut 1880); Lechler, Das Gotteshaus im Lichte der deutschen Reformation (Heilbr.1883); Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie (5. Aufl., 2 Bde., Lpz. 1883 - 85); Hartel, Altäre und K. Eine Sammlung von Aufnahmen aus den berühmtesten Kirchen des Mittelalters und der Neuzeit (30 Licktdrucktafeln, Berl. 1892); Der Kirchenbau des Protestantismus, hg. von der Vereinigung Berliner Architekten (ebd. 1893).

Über K. in der Jägersprache s. Anstand.

Kanzellen, s. Kancellen.

Kanzellieren, s. Kancellieren.

Kanzelmißbrauch, straffälliger Mißbrauch der geistlichen Stellung. Urteile und Mahnungen können als Beleidigungen verfolgt werden, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter denen sie geschah, hervorgeht. (S. auch Kanzelparagraph.)

Kanzelparagraph, der §. 130 a des Deutschen Reichsstrafgesetzbuches, dessen erster Teil 1871 auf Antrag Bayerns, dessen zweiter 1876 eingefügt wurde. Der Paragrapb bestimmt, daß Geistliche aller Relistionsgesellschaften, welche ihren Beruf benutzen, um öffentlich vor einer Menschenmenge oder in einer Kirche oder an einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor einer Mehrzahl von Menschen Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zu erörtern, oder welche amtliche Schriftstücke dieser Art ausgeben, mit Gefängnis oder Festung bis zu zwei Jahren bestraft werden sollen. Ahnliche Vorschriften gelten auch in Frankreich (Code pénal, Art. 199-208), Italien, Belgien, Spanien.

Kanzian, Höhle von St., s. Sankt Kanzian.

Kanzional (lat. cancionale), Liederbuch, Gesangbnch. So hießen insbesondere die Gesangbücher der Böhmischen Brüdergemeine. Sie sind nicht nur durch ihren Text von Interesse, sondern auch durch die beigegebenen Melodien, die vielfach alten Volksliedern entlehnt sind, die Initialen und die oft sehr kunstvollen Einbände. Das erste gedruckte K. ist

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vom J. 1505 u. d. T. "Pisne chval bozich" ("Lieder zum Lobe Gottes"; wahrscheinlich in Jungbunzlau gedruckt). Eine neue vergrößerte Ausgabe wurde 1561 auf dem Gute des poln. Grafen von Górka zu Samtern bei Posen gedruckt. Ein Meisterwerk in Bezug auf typogr. Ausstattung und Gravuren ist das 1576 zu Eibenschütz gedruckte K.; später erschien noch ein solches in Kralitz.

Kanzlei (lat. cancellaria), der ursprünglich mit Schranken (cancelli) umgebene Ort, wo die öffentlichen Urkunden, Gerichtsurteile, landesherrlichen Reskripte und andere Schriften ausgefertigt werden, und Kanzler (s. d.) der Vorsteher der hierzu bestellten Beamten. Eine K. hatten der Kaiser und die Landesherren, und ebenso der Papst, die Erzbischöfe und die Bischöfe, auch wenn die letztern keine Landeshoheit besaßen. In einigen Ländern wurde später der Name K. auch den höhern Gerichten selbst beigelegt (Justizkanzleien), deren Vorsteher in der neuern Zeit meist Kanzleidirektoren, auch wohl Kanzleipräsidenten genannt wurden. Neuerdings versteht man aber unter K. mehr das Subalternpersonal und spricht deshalb von Kabinetts-, Ministerial-, Gerichts- und Regierungskanzleien, deren Beamten zum Teil die Titel Kanzleisekretär und Kanzleirat beigelegt werden. Wenn früher den untern Behörden das Recht, eine K. zu haben, häufig versagt war, so bezog sich dies auf die Siegelmäßigkeit oder die dem Landesherrn oder andern privilegierten Stellen und Personen vorbehaltene Befugnis, Urkunden mittels Beifügung des Siegels zu beglaubigen und die dadurch verbrieften Anfprüche sofort vollstreckbar zu machen. - K. wird auch, namentlich in Österreich, für Comptoir, Bureau u. s. w. angewendet.

Kanzleiceremoniell, s. Ceremoniell.

Kanzleidirektor, s. Kanzlei.

Kanzleipapier, s. Papier.

Kanzleischrift oder Dokumentenschrift, eine etwas größere, mit sorgfältig ausgeführten, gleickmäßig starken Grundstrichen und mit kurzen Ober- und Unterlängen versehene Schrift. Diese Schrift wurde, wie schon ihr Name andeutet, in Kanzleien angewendet und war weniger geläufig als die gewöhnliche Schreibschrift. Die noch bis Mitte dieses Jahrhunderts vielgebrauchte K. war eine verbindungsmäßig gestaltete Frakturschrift; sie wurde hauptsächlich bei Dokumenten in den ersten Zeilen, dann auch zu Titeln und Überschriften verwendet. Die in neuester Zeit als Druckschrift vorkommende K. ist eine einfache, edel geformte Frakturschrift.

Kanzleisekretär, Kanzleirat, s. Kanzlei.

Kanzleisprache, s. Kanzleistil. Im besondern versteht man unter K. die Sprache, welche Luther seiner Reform der deutschen Schriftsprache zu Grunde legte. (S. Deutsche Sprache, Bd. 5, S. 81.)

Kanzleistil, Kanzleisprache, der namentlich früher in den Kanzleien gebräuchliche, an veralteten und der Gerichtssprache entnommenen Wendungen reiche und daher schwerfällige und oft unverständliche Stil der Kanzleien. (S. auch Geschäftsstil.)

Kanzler (lat. cancellarius) hieß im Mittelalter derjenige Hofbeamte, welchem die Ausfertigung der öffentlichen Schriften oblag, daher der Reichssiegelbewahrer. Der K. gehörte zu den vier oder fünf obersten Hofbeamten, welche an den german. Fürstenhöfen gewöhnlich angetroffen werden, und war vermöge des Einflusses, welchen ihm sein Geschäft gab, einer der wichtigsten. Dem der Schrift kun-