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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kolonisation (innere)

die in Deutschland noch der Kultur gewonnen werden und zahlreichen bäuerlichen Familien einen ausreichenden Unterhalt verschaffen könnten. So giebt es allein in der Provinz Hannover über 560000 ha Moorflächen, die größtenteils mit Erfolg kultiviert werden können, wie die blühenden holländ. Moorkolonien und auch mehrere in Deutschland selbst gelungene Unternehmungen dieser Art beweisen. (S. Fehn- und Moorkolonien.) Mit noch größerm Gewicht aber hat man die socialpolit. Rücksicht auf die Verbesserung der Grundbesitzverteilung in denjenigen, vornehmlich östlich der Elbe gelegenen Gebieten geltend gemacht, wo der bäuerliche Grundbesitz neben den großen Gütern nicht genügend vertreten ist. Die hierdurch bedingten Klassengegensätze mußten in einer Zeit der Entwicklung ähnlicher Gegensätze in den Städten und Industriebezirken lebhafte Bedenken erregen, um so mehr, als jene ungleichmäßige Bodenbesitzverteilung zweifellos eine der Hauptursachen für die fortschreitende Entvölkerung der betreffenden Landdistrikte bildet.

In der Absicht, hier helfend einzugreifen, hatte die preuß. Regierung schon in den dreißiger und vierziger, dann in den siebziger Jahren einige Domänen, namentlich in Neuvorpommern, parzelliert und in Bauerndörfer verwandelt, übrigens mangels aller Kautelen gegen Zersplitterung und Überschuldung der neuen Stellen zum Teil mit entschiedenem Mißerfolg. Eine energische Wiederaufnahme der staatlichen Kolonisationsthätigkeit erfolgte erst mit dem Gesetz vom 26. April 1886 zur "Beförderung deutscher Ansiedelungen in Posen und Westpreußen" (s. Ansiedelung). Eine noch größere Bedeutung hat jedoch das für den ganzen Staat geltende Gesetz vom 7. Juli 1891, betreffend die Beförderung der Errichtung von Rentengütern (s. d.). Als Ansiedelungsbehörden fungieren hier die Generalkommissionen (s. d.). Sie begnügen sich entweder mit einer allgemeinen Prüfung des von Privaten durchgeführten Ansiedelungswerkes mit Rücksicht auf die gewünschte Kreditgewährung und die Existenzfähigkeit der neuen Stellen, oder nehmen auf Wunsch auch das ganze zur Rentengutsbildung erforderliche rechtliche und technische Verfahren in ihre Hand, und letzteres ist thatsächlich zur Regel geworden. Zum Ankauf von zu parzellierenden Gütern sind die Generalkommissionen nicht befugt, sie vermitteln nur und fördern die Übereignung von Land an Leute aus dem Arbeiter- und Bauernstand.

Gewaltige Umwälzungen sind in den Besitzverhältnissen der Großgüterdistrikte nach jenem Gesetz angebahnt worden. Schon im ersten Jahre nach seinem Erlaß sind in den sechs östl. Provinzen nicht weniger als 140-150000 ha Gutsland zur Parzellierung bei den Generalkommissionen angemeldet worden, genügend, auch wenn davon nur zwei Drittel zur Besiedelung geeignet sein sollten, für etwa 12000 Bauernfamilien. Der Grund für die bedeutenden Angebote von Land ist teils in der übeln Lage vieler Großgrundbesitzer, teils darin zu erblicken, daß die Landgüter bei stückweiser Veräußerung höhere Preise bringen als bei einem Verkauf im ganzen. Namentlich bedeutet die Abstoßung der meist ohne allen Gewinn bewirtschafteten Außenschläge eine wahre Entlastung für viele Besitzer. Die Lostrennung dieser Flächen war bisher unmöglich, weil, sofern es sich nicht um ganz kleine Stücke handelte, dazu die Genehmigung der Hypothekengläubiger oder Fideikommiß-Anwärter gefordert wurde. In dieser Richtung hat das "Rentengutsgesetz" vom 7. Juli 1891 insofern Abhilfe getroffen, als die Abstoßung auch größerer Trennstücke unter Befreiung von den auf dem Hauptgut ruhenden Lasten jedesmal gestattet ist, wenn die Generalkommission, bez. bei landschaftlich beliehenen Gütern die Kreditdirektion, ein Unschädlichkeitsattest erteilt.

Während vor und kurz nach dem Erlaß des Gesetzes vielen die Bildung von bloßen Arbeiterstellen als Hauptaufgabe erschien, haben neuere Untersuchungen, namentlich die unten citierte Seringsche Schrift, ergeben, daß solche unselbständige Besitzungen nur dann eine Verbesserung des socialen Zustandes mit sich bringen werden, wenn sie sich in beschränkter, der Arbeitsnachfrage angepaßter Zahl an bäuerliche Gemeinden angliedern. Seitdem wird allgemein als wesentlichstes Ziel der K. die Verstärkung des mittlern Besitzes, die Mehrung und Vergrößerung der bäuerlichen Gemeinwesen angesehen. Das Gesetz und die Ausführungsanweisungen bestimmen nur, daß die Begründung reiner Häuslerstellen überhaupt unterbleiben muß; die eigentliche "Grundlage der wirtschaftlichen Existenz" des Ansiedlers soll in dem Rentengute liegen, die Arbeit außerhalb nur eine Ergänzung der Einnahmen von der Landstelle bilden. Eine Ausnahme ist jedoch ausdrücklich zugelassen für die Ansetzung von Handwerkern als notwendiger Bestandteile der zu bildenden Kolonien; außerdem hat man aber auch städtische Arbeiter auf kleinen Rentengütern in der Nähe größerer Städte (Bromberg, Elbing) unter sehr vorteilhaften Bedingungen angesiedelt.

Bis Ende 1892 waren unter Vermittelung der Generalkommissionen im ganzen 3068 Punktationen und Kaufverträge über 29619 ha für einen Kaufpreis von etwa 19 Mill. M. abgeschlossen. Solange die Bankrente (s. Bodenrentenbanken) auf den neuen Stellen haftet, können sie nur mit Genehmigung der Generalkommission parzelliert oder ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit entkleidet werden.

Außerhalb Preußens hat man schon seit älterer Zeit in Mecklenburg-Schwerin, und zwar in den zum großherzogl. Domanium gehörigen Dorfschaften, eine planmäßige Mehrung der kleinern Stellen angestrebt. Hauptsächlich um der Auswanderung entgegenzuwirken sind dort bis Ende 1892 7262 Büdnereien (mit durchschnittlich 4,34 ha) und 7704 Häuslerstellen (mit 0,13 ha Gartenland) errichtet worden, jene zum Teil schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts, diese seit 1846. Während die Büdnereien im ganzen nicht besonders gedeihen, weil die Größe ihres Besitztums unrichtig bemessen ist, hat sich die Schaffung der Häuslereien ausgezeichnet bewährt; es ist hier ein Stamm von gut situierten tüchtigen Arbeitern (auch Handwerkern) entstanden, die am Gemeindeleben einschließlich der Gemeindenutzungen vollen Anteil nehmen und gegenüber der gewaltigen Flut der Abwanderung vom Lande einen gewissen Halt bieten. Eine durchgreifende Abhilfe würde jedoch nur durch Begründung von bäuerlichen Gemeinden auch im ritterschaftlichen Gebiete Mecklenburgs zu schaffen sein.

Ähnliche Bestrebungen haben neuerdings in Rußland und England zu bedeutenden legislatorischen Maßnahmen der innern K. geführt. In Rußland wurde 1889 ein Gesetz erlassen, welches die Besiedelung der sibir. Domänen erleichtern soll. Wichtiger und dem Gebiet der eigentlich innern K. angehörend ist ein Gesetz vom 18. Mai

^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.]