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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Krankheit

Von verschiedenen Gesichtspunkten aus teilt man die K. in verschiedene Klassen ein. Man unterscheidet so von alters her die durch eine Verletzung (trauma) entstandenen (traumatischen) oder chirurgischen, auch äußerlichen K., welche äußere Hilfe und mechan. Hilfsmittel erfordern, von den sog. innern K., welche durch innere oder mediz. Mittel geheilt werden.

Die wichtigste Frage, welche der Arzt zunächst zu entscheiden hat, ist die, ob eine K. mit Fieber (s. d.) verbunden ist oder nicht, weil davon zum großen Teil die Schwere der K. abhängt, und man teilt daher die K. ein in fieberhafte (wohl auch entzündliche, hitzige) und fieberlose. Eine schnell eintretende und schnell verlaufende K. heißt eine akute, und da solche in der Regel mit Fieber verbunden sind, nennt man die fieberhaften K. wohl auch ohne weiteres akute K. Den Gegensatz zu diesen bilden die langsam verlaufenden, die chronischen; auch fieberhafte K. nennt man chronische, wenn sie eine sehr lange Dauer haben. Weiterhin teilt man die K. ein in typische oder rhythmische (auch cyklische oder periodische) K., welche eine deutliche Aufeinanderfolge regelmäßig begrenzter Perioden von bestimmtem Charakter zeigen, wie Typhus, Pocken, Masern, Scharlach, Lungenentzündung u.a., und in atypische, arhythmische K., welche einen unregelmäßigen, schwankenden Verlauf ohne charakteristische Stadien zeigen, wie die fieberlosen Katarrhe, die meisten Vereiterungen, die Rheumatismen u. a. Tritt im Verlauf einer chronischen K. oder gegen das Ende auch einer akuten eine Verschlimmerung ein, so spricht man von einer (akuten) Steigerung (Exacerbation), einem Nachschub (beim Weiterschreiten des Krankheitsprozesses auf noch gesunde Teile eines Organs). Bei manchen K., den sog. intermittierenden oder aussetzenden K., tritt eine längere oder kürzere Rückkehr zur Gesundheit ein, und nach dieser Pause erfolgt eine neue Erkrankung, ein Anfall oder Paroxysmus (so beim Wechselfieber, bei der Epilepsie, dem Stimmritzenkrampf u. a.). Tritt im Laufe der Genesung (z. B. vom Typhus) die K. nochmals auf, so nennt man dies einen Rückfall oder Recidiv. Eine im Wesen abgelaufene K. kann ferner andere Störungen bewirken (Lungenentzündung z. B. Tuberkulose), also eine Nachkrankheit. Die K. zeigen sich entweder in einzelnen Fällen, zerstreut, sporadisch, oder die Fälle häufen sich, kumulieren, und endlich kommt es zur Seuche oder Epidemie (s. d.). Haben K. in gewissen Gegenden ihren Sitz, über den hinaus sie sich nicht oder selten verbreiten (so die Wechselfieber in Sumpfgegenden, der Kropf u. s. w.), so heißt die K. eine Endemie (s. d.).

Die Ausgänge der K. sind sehr verschieden; entweder erfolgt vollständige Herstellung des normalen Zustandes: Heilung, Genesung (s. d.), oder es tritt nur unvollständige Genesung ein, wobei entweder eine Disposition zu neuen Erkrankungen bestehen bleibt oder andersartige krankhafte Zustände, sog. Nachkrankheiten, zurückbleiben; in andern Fällen endlich erfolgt nach mehr oder minder langem Kranksein das vollständige Aufhören des Stoffwechsels, der Tod (s. d.). Die K. nimmt häufig rasch eine Wendung zum Bessern unter der Form der sog. Krisis (s. d.); in andern Fällen erfolgt dies nur langsam und ganz allmählich (Lysis, "Lösung"). Der vollständigen Genesung geht meist die sog. Rekonvalescenz voraus, eine Periode ohne scharfe Grenzen, in welcher sich das Wohlbefinden leidlich wiederhergestellt hat, wo aber noch eine mehr oder minder große Schwäche und Empfindlichkeit gegen äußere Einflüsse besteht.

Die Frage nach Sitz und Wesen der K. hat das Interesse der Ärzte schon in den frühesten Zeiten lebhaft erregt. Ursprünglich betrachtete man die K. als etwas dem Organismus durchaus Fremdes, vom Leben des übrigen Körpers Isoliertes, ihm Aufgedrungenes (ontologische Auffassung), und ging darin so weit, die K. förmlich zu personifizieren. Unter dem Einfluß naturwissenschaftlicher Anschauungen teilten sich die Ärzte alsbald in zwei, sich bis in die neuere Zeit lebhaft bekämpfende Parteien; während die einen die Flüssigkeiten und Säfte (humores) des Körpers, insbesondere das Blut, als Ausgangspunkt und Verbreitungsmittel der K. hinstellten (Humoralpathologen), sahen die andern die festen Teile (solida) des Körpers, namentlich die Nerven, als das bei jeder Erkrankung zuerst Ergriffene an (Solidarpathologen). Erst Mitte des 19. Jahrh. gelang es Virchow, gestützt auf die rapiden Fortschritte der Physiologie, Chemie und mikroskopischen Forschung, den wichtigen Nachweis zu führen, daß Gesundheit und K. nichts wesentlich Verschiedenes, sondern Äußerungen derselben, innerhalb der kleinsten Elementarteilchen des Körpers, der Zellen, und unter denselben physiol. Gesetzen stattfindenden Lebenserscheinungen sind, und damit die Lehre der Cellularpathologie (s. d.) zu begründen.

Die Ursachen der K., mit deren Studium sich die Ätiologie beschäftigt, sind sehr mannigfaltig und in vielen Fällen noch sehr dunkel. Zunächst kann man die angeborenen K. unterscheiden von den nach der Geburt erst erworbenen; ein Teil der hierher gehörigen K. ist auf fehlerhafte Entwicklungsvorgänge des Fötus sowie auf falsche Lagerung des letztern in der Gebärmutter zurückzuführen. (S. Fötalkrankheiten.) Über die Ursachen der erworbenen K. hat die Wissenschaft im allgemeinen nur wenig Sicheres ermittelt, und der Umstand, daß ein und dasselbe Ding (z. B. Erkältung, Durchnässung) als Ursache der verschiedensten K. angegeben wird, ist der beste Beweis für die Unsicherheit, welche in dieser Hinsicht noch immer herrscht. Sicher ist nur, daß in den meisten Fällen der ungewöhnliche Umstand, welcher die K. scheinbar hervorrief, dem Ausbruch der K. nur die Veranlassung gegeben hat, die sog. Gelegenheitsursache (causa occasionalis) war, während die K. selbst schon längst durch angeborene Bildungsfehler, durch eine Reihe von Mißhandlungen des Körpers, durch schlechte Nahrung, schlechte Wohnung, übergroße Anstrengung u. dgl. vorbereitet war; es mußte eine Anlage oder Disposition (causa disponens) zur K. vorhanden gewesen sein, die oft genug von den Eltern oder Großeltern ererbt war. (S. Erbliche Krankheiten.) In andern Fällen sind dagegen wieder die Verhältnisse so weit klar, daß man mit großer Bestimmtheit voraussagen kann, unter welchen Verhältnissen eine K. eintritt und wann nicht; ja man kann sie selbst künstlich hervorrufen. Dies ist vor allem der Fall bei den sog. Infektionskrankheiten (s. d. und Ansteckung). Konstitutionskrankheiten endlich sind solche, welche das Bestehen des ganzen Organismus, die Konstitution desselben, gefährden und den Organismus in allen seinen Teilen erfassen,

^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.]