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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Landwirtschaftlicher Kredit

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Landwirtschaftlicher Kredit

Landwirtschaftlicher Kredit (Bodenkredit), nach dem Zweck der Kreditaufnahme entweder Besitzkredit oder Produktivkredit. Der erstere dient zum Erwerb von Grundbesitz oder zur Abfindung von Miterben und belastet den Grundbesitz, ohne daß, der Regel nach, der Ertrag durch die Kreditaufnahme gesteigert würde. Der Produktivkredit hingegen dient zur Herstellung von Bodenverbesserungen und Wirtschaftsgebäuden, zur Beschaffung von Inventar und sonstigen Betriebsmitteln; die geliehenen Kapitalien finden also eine wirtschaftlich-produktive Verwendung und bringen bei zweckentsprechendem Vorgehen des Schuldners ihre eigene Verzinsung hervor.

Für die eigentümlichen Formen, welche der L. K. angenommen hat, ist die zuerst von Rodbertus (s. d.) mit aller Schärfe betonte Thatsache von Wichtigkeit geworden, daß der Boden wohl eine Jahresrente abzuwerfen vermag, daß er ein bloßer "Rentenfonds" ist, hingegen niemals aus dem laufenden Betrieb ein Kapital liefern kann. Ein zum Zweck des Besitzerwerbs aufgenommenes Darlehn kann nur verzinst und günstigenfalls in kleinern Abschlagszahlungen zurückerstattet werden; die allein angemessene Form des Besitzkredits ist daher das unkündbare Darlehn. Hinsichtlich des Produktivkredits ist zu unterscheiden zwischen solchen Darlehen, welche der Beschaffung von stehendem Kapital (Bauten, Drainagen, Bewässerungsanlagen, Maschinen für die landwirtschaftliche Industrie u. s. w.) dienen, und solchen, die nur eine vorübergehende Ergänzung des umlaufenden Kapitals bezwecken. Die stehenden Kapitalien unterliegen einer allmählichen Abnutzung und bedürfen nach einer gewissen Frist der Erneuerung. Sind sie leihweise beschafft worden, so muß innerhalb jener Frist die Tilgung erfolgen, aber sofern größere Beträge in Frage kommen, in der Zwischenzeit der Landwirt vor Kündigung sicher sein. Hier sind also die unkündbaren und amortisationspflichtigen Darlehen am Platze. Die umlaufenden Kapitalien hingegen (Saatgut, Futtermittel, Arbeitslöhne u. s. w.) werden innerhalb eines Produktionsprozesses vollständig verbraucht; sie müssen wirtschaftlicherweise aus dem Ergebnis desselben, also namentlich aus dem nächsten Ernteertrage, zurückgezahlt werden. Es handelt sich hier meist nur um eine Schuldaufnahme für wenige Monate; aber Unglücksfälle können die Notwendigkeit längerer Fristen mit sich bringen.

Nach der Art und Weise der Sicherung der Gläubiger unterscheidet man Real- und Personalkredit. Der erstere sichert den Gläubiger durch Pfand, und zwar durch Verpfändung von Immobilien (Immobiliar- oder Hypothekarkredit) oder von Mobilien, wie Getreide, Spiritus, Wolle u. s. w. (Mobiliarkredit); der Personalkredit wird im Vertrauen auf die Persönlichkeit und die allgemeinen Vermögensverhältnisse des Schuldners und seiner Bürgen auf bloßen Schuldschein oder Wechsel gegeben. Bei langfristigen Krediten kommt durchgängig der Hypothesenkredit in Frage, während bei kurzfristigen Darlehen der Mobiliar- und Personalkredit in Anwendung tritt.

Was die Kreditorganisation betrifft, so spielt, obwohl bei weitem der Hauptteil aller landwirtschaftlichen Kreditierungen denjenigen Fällen angehört, welche unkündbaren, langfristigen Hypothekarkredit erfordern, und einzelne Kapitalisten selten die im Interesse der Landwirte notwendigen Bedingungen erfüllen können, doch der Individualkredit, d. h. der unmittelbare Verkehr mit dem einzelnen Gläubiger und Schuldner, noch die Hauptrolle. Aber der Anstaltskredit befindet sich in rascher Ausdehnung und drängt den Individualkredit allmählich zurück. In allen Kulturstaaten und in besonders vielseitiger Entwicklung in Deutschland haben sich Anstalten gebildet, welche den Kreditverkehr vermitteln. Diese Kreditanstalten zerfallen in drei Klassen: a. genossenschaftliche Kreditinstitute, wie die namentlich in Norddeutschland verbreiteten sog. Landschaften (s. d.); b. staatliche oder kommunale Kreditinstitute (s. Landeskreditkassen). Ferner besitzen alle altpreuß. Provinzen sog. Provinzialhilfskassen. Sie wurden 1847 mit Staatszuschüssen gegründet und unterstehen der provinzialen Selbstverwaltung. Zunächst sind sie nur für gemeinnützige Unternehmungen der öffentlichen Verbände und der Genossenschaften bestimmt; aber mehrere dieser Provinzialhilfskassen (in Ostpreußen, Schlesien, Posen, Rheinland) haben sich in allgemeine Realkreditinstitute umgewandelt. Speciell für die Förderung von Meliorationsunternehmungen sind mehrfach sog. Landeskulturrentenbanken (s. d.) unter staatlicher oder kommunaler Leitung ins Leben gerufen worden, c. Die Hypotheken- oder Bodenkreditbanken (s. d.) sind Aktiengesellschaften und haben eine größere Bedeutung für den städtischen als für den ländlichen Immobiliarkredit. Nur in Süddeutschland haben sie auch für den letztern eine Art von Monopol, weil es an öffentlichen oder genossenschaftlichen Kreditanstalten fehlt. Neben den genannten Anstalten, welche die Befriedigung des Hypothekarkreditbedürfnisses als ihre wesentlichste Aufgabe ansehen, giebt es solche, die ihre zu andern Zwecken angesammelten Geldbestände nebenher durch Ausleihen an Grundbesitzer nutzbringend anzulegen versuchen. Dies gilt von den Lebensversicherungsgesellschaften, den Sparkassen, manchen Stiftungen, neuerdings auch von den Alters- und Invaliditätsversicherungsanstalten. Die betreffenden Darlehen entsprechen meist nur unvollkommen den landwirtschaftlichen Bedürfnissen, weil sie regelmäßig kündbar, dem Amortisationszwange nicht unterworfen und die geforderten Zinsen ziemlich hoch sind. Man schätzte die hypothekarisch ausgeliehenen Summen 1885 für die preuß. Landschaften auf rund 1½ Milliarden, für die deutschen Hypothekenbanken, einschließlich der städtischen Beleihungen und der ausgegebenen Kommunalobligationen, auf 2 Milliarden, für die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften und Sparkassen auf 1 bez. 1½-2 Milliarden M.

Im allgemeinen ist in Deutschland für den Immobiliarkredit der landwirtschaftlichen Bevölkerung in sehr ausgiebiger Weise gesorgt. Aber die hierher gehörigen Einrichtungen entsprechen nicht durchweg den berechtigten wirtschaftlichen Anforderungen der Landwirtschaft. Nur die landschaftlichen, staatlichen und die meisten kommunalen Anstalten geben den Kredit nicht nur in geeigneten Formen, sondern auch so billig, wie es der Geldmarkt irgend gestattet. Die Landschaften reichen aber wegen ihrer centralisierten und vielfach etwas formenschweren Verwaltung nicht überall bis zu den kleinern Grundbesitzern herunter; viele von ihnen kommen nach wie vor trotz zweckentsprechender Neuerungen fast ausschließlich dem größern Grundbesitz zu statten.