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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Landwirtschaftliche Vereine

der erste Verein 1750 in der Bretagne. Bedeutungsvoll für das Vereinswesen wurde hier die Anregung, welche die Förderung der landwirtschaftlichen Interessen durch die physiokratische Theorie erhielt; doch gingen die bestehenden Vereine größtenteils in den Stürmen der Revolution unter. Zu Beginn des 19. Jahrh. war die Zahl der Vereine und Gesellschaften jedoch wieder zu einer beträchtlichen Höhe angewachsen; man schätzte ihre Zahl auf vierzig. Wie in England und Frankreich, so bestanden um diese Zeit in allen übrigen europ. Staaten (die Türkei ausgenommen) derartige Vereine.

Der erste deutsche Verein war die 1762 gegründete, später wieder eingegangene Thüringische Landwirtschaftsgesellschaft in Weißensee. Sie gab Friedrich d. Gr. Anlaß, auch in seinen Staaten die Organisation ähnlicher Gesellschaften anzuordnen. Es folgte 1763 die Leipziger Ökonomische Societät, von der sich 1816 die Dresdener Ökonomische Gesellschaft für das Königreich Sachsen abzweigte. Der hervorragendste Platz aber unter den Schöpfungen dieser Zeit gebührt der königl. Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle, jetzt Landwirtschaftlicher Centralverein für die Provinz Hannover. Die Gesellschaft war damals vorzugsweise bemüht, auf die Beseitigung der Schranken, die das überlieferte Agrarrecht für den Landbau enthielt, hinzuarbeiten und den Landwirt anzuleiten, wie er dem der alten Fesseln ledigen Boden höhere Erträge abzugewinnen vermöchte. Die bahnbrechende Thätigkeit dieses Vereins wurde später der Ausgangspunkt für die epochemachende Wirksamkeit Thaers (s. d.). Unter den süddeutschen Gesellschaften wirkte die 1769 errichtete Physikalisch-Ökonomische Societät zu Lautern in der Rheinpfalz besonders segensreich auf die Gesetzgebung. Etwas früher schon, 1765, war in Bayern die "Kurbayrische Landes-Ökonomie-Gesellschaft in Oberbayern", die zuerst bis 1802 zu Altötting, später in Burghausen bestand, mit landesherrlicher Unterstützung ins Leben gerufen. Gleichzeitig entstand die Ökonomische Hessencasselische Gesellschaft des Landbaues. Unter den ältern Gesellschaften des damaligen Preußen ragten die zu Anfang der siebziger Jahre errichtete Patriotische Gesellschaft in Schlesien zu Breslau sowie die aus den neunziger Jahren stammende Ökonomische Societät zu Potsdam hervor. Dem 19. Jahrh. war es jedoch vorbehalten, das Vereinswesen auf breitester Grundlage sich entwickeln zu sehen, namentlich infolge stärkerer Beteiligung der praktischen Landwirte selbst. Von 1820 bis 1840 betrug die Zahl der im preuß. Gebiete neu errichteten Vereine über 100, von 1840 bis 1860 belief sich der Zuwachs derselben sogar auf 400, um in dem folgenden Zeitraum noch höher anzuschwellen. 1810 wurde außerhalb Preußens der Landwirtschaftliche Verein in Bayern ins Leben gerufen, der heute mehr denn je ein Hauptträger des landwirtschaftlichen Kulturfortschritts in diesem Lande ist, unterstützt in seinem Wirken durch die Wanderversammlung bayr. Landwirte. Gegenwärtig erfreut sich das landwirtschaftliche Vereinswesen in allen wichtigern Kulturländern einer hohen Blüte.

Was Ausbreitung und Organisation betrifft, steht zur Zeit Deutschland im Vordergrunde. Man unterscheidet hier centralisierte Vereine, d. h. solche, die ihrerseits wieder zu größern Gesamtverbänden zusammengefaßt sind, und nicht centralisierte Vereine oder solche, die sich dieser Gesamtorganisation nicht angeschlossen haben. Die centralisierten Vereine schließen sich in ganz Deutschland im allgemeinen an die polit. Einteilung an. In Preußen gab es 1890 15 Provinzial- und Centralvereine mit 1201 Zweigverbänden und 158000 Mitgliedern. Die Zahl der nicht centralisierten Vereine ist ebenfalls sehr erheblich. In der Regel besteht für eine Provinz ein Centralverein, einige Provinzen besitzen indessen deren zwei. In einzelnen Landesteilen wird die Gliederung dadurch bereichert, daß zwischen die Centralvereine und die Lokalvereine sich Haupt- und Kreisvereine als besondere Zwischenverbände einschieben. Zu diesen, allgemeine landwirtschaftliche Zwecke verfolgenden Vereinen gesellen sich Vereinigungen, die besondere Einzelziele verfolgen: Garten-, Obst-, Hopfenbauvereine, Pferde-, Rindvieh-, Geflügel-, Bienenzuchtvereine u. s. w. Diese Sondervereine gehören teils der allgemeinen centralisierten Organisation an, teils bilden sie unter sich besondere Gesamtverbände, teils endlich sind sie überhaupt keinem größern Verbände angeschlossen. Im Gegensatz zu Preußen bildet in den übrigen Staaten (Sachsen ausgenommen) das ganze Staatsgebiet den Bezirk eines Centralvereins. Einzelne kleine Staaten, wie Gotha und Sondershausen, sind einem fremden Centralverbande beigetreten. Im übrigen ist die Organisation der preußischen ähnlich. In Bayern gliedert sich der Landwirtschaftliche Verein in ein Generalkomitee zu München, in 8 Kreiskomitees - je eins für jeden Regierungsbezirk - und (1888) 226 Bezirkskomitees. Die Gesamtzahl der Mitglieder belief sich (1888) auf 56467. Die nicht centralisierten Vereine sind fast ausschließlich Sondervereine. In Sachsen wird die Verbindung der Lokalvereine untereinander und mit dem Ministerium des Innern durch 5 Kreisvereine vermittelt, deren Ausschüsse durch die Vorstände aller zugehörigen Lokalvereine gebildet werden. Ein gemeinschaftliches Zusammenwirken und Handeln der Kreisvereine wird durch das Institut der Direktorialkonferenzen ermöglicht, das sich aus den Kreisvereinsvorständen sowie dem Vorsitzenden und Generalsekretär des Landeskulturrats zusammensetzt. Der Landwirtschaftliche Verein von Württemberg gliedert sich in 12 Gauverbände mit 64 Bezirksvereinen. Jeder Gau entsendet einen Vertreter in die Centralstelle für die Landwirtschaft. Der 1819 gegründete badische Landwirtschaftliche Verein zerfällt in 67 Bezirksvereine, von denen je 4-10 zu einem Gauverbande gruppiert sind. Das Präsidium und der Centralausschuß bilden die Centralstelle. In Hessen stehen über dem Bezirksverein 3 Provinzialvereine. In Oldenburg, Braunschweig und Mecklenburg sind hingegen sämtliche Lokalvereine zu einem einzigen Centralverein verbunden, während in Sachsen-Weimar wiederum die 5 den Verwaltungsbezirken entsprechenden Hauptvereine die Verbindung vermitteln zwischen den Lokalvereinen, aus deren Vorständen sie sich zusammensetzen, und der aus den Vorständen der Hauptvereine bestehenden Centralstelle. Die Gesamtzahl der Mitglieder aller L. V. in Deutschland wird mit 300000 wohl noch unterschätzt. Die innere Verfassung der Centralvereine zeigt bei aller sonstigen Verschiedenheit gewisse gemeinsame Grundzüge. Dem verschiedenartig gebildeten Vorstande ist überall ein Generalsekretär als ständiger Geschäftsführer beigegeben. Die eigentliche Vereinsversammlung stellt ein Ausschuß von Delegierten der Sondervereine dar. Nur diese Delegierten haben Stimmrecht in