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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Leichenschauhaus; Leichenstarre; Leichentuberkel; Leichenverbrennung

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Leichenschauhaus - Leichenverbrennung

eingerichtete L. hat große Vorzüge vor den Leichenhäusern und andern Vorkehrungen in diesem Fache. Es gehört aber zur wirksamen L., daß sie nur von Ärzten ausgeübt werde, daß keine Leiche begraben werden darf, ehe die gesetzliche L. stattgefunden hat oder der Hausarzt den erfolgten Tod schriftlich bescheinigt, und daß die Behörden wie das Publikum dem Leichen- oder Totenbeschauer (Schauarzt) sein Amt nicht erschweren. (S. auch Coroner.)

Leichenschauhaus, s. Leichenhaus.

Leichenstarre, s. Muskeln.

Leichentuberkel, s. Leiche.

Leichenverbrennung, Feuerbestattung, Kremation, diejenige Art Totenbestattung, bei welcher ein Leichnam durch Feuer in Asche verwandelt wird. Man hat im 19. Jahrh. die L. mehrfach als die geeignetste Methode der Bestattung empfohlen; historisch ist sie eine bei vielen Völkern uralte Sitte (s. Bestattung der Toten).

Schon längst war man auf die Thatsache aufmerksam geworden, daß die Begräbnisplätze große gesundheitliche Nachteile mit sich bringen, indem namentlich in größern Städten bald überfüllte Friedhöfe nicht bloß den Erdboden, die unterirdischen Wasserläufe und Quellen, sondern auch die Luft verunreinigen. Daher bildeten sich hier und da, z. B. in London und Hannover, Vereine, welche die L. befürworteten. Doch fand die Angelegenheit noch keine rege Teilnahme; erst 1873 und 1874 begann in Italien, England, Deutschland und in der Schweiz eine lebhaftere Bewegung für die L. in der Presse und in zahlreichen Vereinen; namentlich wirkten für die Sache eine Anzahl von Ärzten. Man erklärte die L. als bestes Mittel zur Vorbeugung einer durch die Friedhöfe drohenden Verunreinigung des Trink- und Grundwassers und zur Verhütung von Infektionskrankheiten. Auch wies man darauf hin, daß durch die bisherige Beerdigungsweise auf Gottesäckern viel Grund und Boden einer bessern Benutzung entzogen werde und daß man der Pietät gegen die Verstorbenen durch die L. völlig Rechnung trage, indem durch Aufsammlung der Asche in Urnen und durch Beisetzung in monumentalen Gebäuden nach Art der alten Römer (s. Kolumbarium) die Hinterlassenen das Angedenken der Verstorbenen in einer dem ästhetischen Gefühle entsprechenden Weise ehren könnten.

Zur Einführung der L. galt es vor allem, ein Verfahren aufzufinden, durch welches ein Leichnam rasch und unter geringen Kosten verbrannt werden könnte. Schon 1872 setzte die lombard. Akademie einen Preis für die beste Art der L. aus. Unter mehrern Apparaten konkurrierten ans den Ausstellungen die von H. Polli und Brunetti. Doch wurden sämtliche Vorschläge durch den von Friedrich Siemens in Dresden angegebenen Apparat übertroffen, der zur Erzeugung des hohen Temperaturgrades als Regenerativgasofen (s. Gasfeuerungen, Bd. 7, S. 572 b) ausgeführt ist, bei dem die Verbrennung der Leiche nicht durch direkte Einwirkung der Heizflamme, sondern durch hocherhitzte Luft geschieht. Dieselbe erhält die hohe Temperatur in einem Gitterwerk von feuerfesten Steinen, das durch eine Gasfeuerung vorgewärmt wird, um später die Wärme an die durchströmende Luft abzugeben, die vom Gitterwerk in den Verbrennungsraum gelangt, wo der Leichnam sich befindet. Bei den 1874 in Dresden angestellten Versuchen bewährte sich das System vollständig; binnen 5 Stunden wird der Ofen auf etwa 850° C. erhitzt, und der Leichnam ist nach etwa 2 Stunden vollkommen verbrannt. Die Überreste bestehen aus weißlicher Asche und ausgeglühten Knochensplittern. Die Verbrennung ist vollkommen rauch- und geruchlos, weil auch die übelriechenden Verbrennungsprodukte in geruchlose Gase (hauptsächlich Kohlensäure und Wasserdampf) zerlegt werden. Auf Wunsch wird die Asche in einer Urne dem Urnenhause (Kolumbarium) zur Aufstellung übergeben. Die Anlage eines solchen Leichenverbrennungsofens kostet etwa 15 000 M.; die Kosten einer Einzelverbrennung belaufen sich in Gotha auf 100 M. (ohne kirchliche Feier), oder auf 135 M. (mit Feier). Für eine 30 Jahr lange Aufstellung der Urne im Kolumbarium sind 45 M. zu entrichten.

Haben somit die Wissenschaft und die Technik die Schwierigkeiten und Einwürfe weggeräumt, welche der L. entgegenstanden, so war es doch nicht möglich, die Hindernisse zu überwinden, welche Sitten und Gebräuche einer Einführung der L. in den Weg legen. Zunächst erhoben sich kirchliche Widerstände, dann besonders gerichtsärztliche Bedenken, insofern die L. die nachträgliche Entdeckung verübter Verbrechen unmöglich mache; endlich erklärten auch viele Ärzte, daß das Wohl der Bevölkerung keineswegs unbedingt die L. verlange, da die von den Friedhöfen behaupteten Gefahren nicht oder nicht so sehr vorhanden sind; vor allem waren die Regierungen nicht überall günstig gestimmt. In Preußen ist die L. nicht gestattet, und die sächs. Regierung, welche anfangs die Erlaubnis erteilt hatte, zog dieselbe wieder zurück. Dagegen wurde in Gotha die Errichtung einer von Bertuch entworfenen Leichenverbrennungsanstalt (Krematorium) genehmigt; 10. Dez. 1878 fand die erste Feuerbestattung statt und bis Anfang 1894 wurden dort bereits 1350 Leichen verbrannt. Im J. 1896 besitzt Italien 23 Krematorien mit 25 Öfen, Nordamerika 19 Krematorien, Deutschland 3 (Gotha, Heidelberg, Hamburg), England 4 (Woking bei London, Manchester, Liverpool, Glasgow), Schweden 2 (Stockholm, Göteborg), Frankreich (Paris), die Schweiz (Zürich), Dänemark (Kopenhagen) je eins. In Frankreich wurden 1894: 216 Leichen auf Grund letztwilliger Verfügung und auf Wunsch der Familien, 2247 Hospitalleichen und 1529 Embryoleichen, zusammen 3992 verbrannt; von 1889 (dem Errichtungsjahr) bis Ende 1894 wurden eingeäschert: 868 + 11937 + 6950 = 19 755 Leichen. In Nordamerika fanden L. statt 1876-85: 77; 1886-93: 2676; 1894: 808; in Dänemark 1893: 4; in Deutschland 1878-93: 1467; 1894: 266; 1895: 264; in Großbritannien 1885-93: 161; in Italien 1876-83: 331; 1884-93: 2071; in Schweden 1887-93: 282 und in der Schweiz 1889-93: 172. Man hat die L. auch als hygieinische Maßregel im Kriege empfohlen und thatsächlich ausgeführt (1870 nach der Schlacht von Sedan, 1877 und 1878 im russ.-türk. Feldzuge).

Litteratur. J. Grimm, Über das Verbrennen der Leichen (Berl. 1850); Trusen, Die L. (Bresl. 1855); ders., Denkschrift zur L. (Namslau 1860); Wegmann-Ercolani, Über L. als rationellste Bestattungsart (4. Aufl., Zür. 1874); Ullersperger, Urne oder Grab (Stuttg. 1874); Küchenmeister, Die Feuerbestattung (ebd. 1875); Wernher, Die Bestattung der Toten (Gieß. 1880); Pini, La crémation en Italie et à l'étranger (Mail. 1884); Goppelsroeder, über Feuerbestattung (Mülhausen 1890); Leimbach, Die Feuerbestattungsanstalt in Heidelberg (Heidelb. 1892); Küchenmeister, Die Totenbe-^[folgende Seite]