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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Madras

kanara nebst den Lakkadiven im W. und der ganzen Ostküste (Koromandel) bis zum See Tschilka. (S. Ostindien.) M. besteht aus verschiedenartigen Gebietsteilen: a. 22 brit. Distrikten mit 313 572 qkm; b. den unter besonderer Verwaltung stehenden Agentschaften Gandscham, Wisagapatam und Godawari, mit 51 612 qkm; c. den fünf Vasallenstaaten Travankur, Kotschi (Cochin), Pudukattai, Banganapalli und Sandur, mit 24 892 qkm und 3 700 622 E. Das Gesamtgebiet umfaßt 386 139 qkm mit 39 331 062 E., gegen 34 172 076 im J. 1881 und vor der Hungersnot (1876-78) 34 634 874 E. im J. 1871. Der Religion nach waren 34,7 Mill. Hindu, 2,4 Mill. Mohammedaner, 1,5 Mill. Christen u. s. w. Die wichtigsten Erzeugnisse sind Getreide, Baumwolle, Indigo, Zucker, Ricinus, Erdnüsse, Rübsamen. - 2) Hauptstadt der Präsidentschaft, die drittgrößte Stadt Britisch-Indiens, unter 13° 4' nördl. Br. und 80° 17' östl. L., auf der Küste Koromandel am Indischen Ocean, in flacher, sandiger Gegend, Sitz der Regierung, eines höchsten Gerichtshofs, eines anglikan. Bischofs und zweier röm.-apostolischen Vikare, hat (1891) mit Garnison 452 518 E., darunter 358 998 Hindu, 53 184 Mohammedaner und 39 742 Christen. Es erstreckt sich gegen 15 km weit längs dem Meer hin und bedeckt mit seinen Wiesen und Gärten 70 qkm. Das Klima ist für Europäer nur im Winter gesund.

Anlage und Bauten. M. besteht aus dem von Europäern bewohnten Viertel, Fort St. George, der von Eingeborenen bewohnten sog. Schwarzen Stadt (dem alten Tschennappattan) und ausgedehnten Vorstädten. Im N. wird das Fort, das auch die Münze, die St. Marykirche und ein Waffenmuseum enthält, von der Schwarzen Stadt durch eine breite Esplanade mit Leuchtturm geschieden. Nach S. führt die vielbesuchte Südstrandpromenade (South Beach Promenade). Die Schwarze Stadt mit ihren engen, schmutzigen Straßen ist das Geschäftsviertel. Längs dem Strande stehen der höchste Gerichtshof, das Zollhaus, die Admiralität, daneben ungeheure Warenspeicher. Andere Gebäude sind die Waisenhäuser für Soldatenkinder, das Gefängnis, das allgemeine Krankenhaus, die röm.-kath. Kathedrale, die Missions- und die Dreifaltigkeitskapelle, die armenische Kirche und das Museum. Im N. der Schwarzen Stadt erstreckt sich am Strande das von Fischern und Schiffern bewohnte Kojapuram, im W. liegt Veperi nebst Parßibakam mit der schönen schott. St. Andreaskirche und der St. Andreasbrücke über den Kuwam (engl. Cooum). Die größte Brücke ist die Elphinstonebrücke über den Adjar in der südl. Stadt. Jenseit des Kuwam liegen Tschintadrapet und weiter westlich die volkreichen Vorstädte Pudupak und Egmur. Südlich vom Fort St. George (jenseit des Kuwam) zieht sich am Strande Tiruwallikene (engl. Triplicane) hin, mit dem großen Gouvernementshause und dem Palast des pensionierten Nabobs von Karnatak. Westlich von Tiruwallikene befindet sich die Vorstadt Rajapet mit der schönen St. Georgskirche. Etwa 5 km südlich vom Fort liegt, hart am Strande, das hauptsächlich von Thomaschristen bewohnte St. Thomas oder Mailapur (engl. Mylapore). Der isolierte St. Thomasberg ist der Wallfahrtsort der syr. Christen. Ein schönes Reiterstandbild des ind. Staatsmanns Sir D. Monroe (gest. 1877) von Chantrey erhebt sich unweit der Napierbrücke.

Bildungsanstalten. Außer der Schule für Heranbildung eingeborener Ärzte hat die Stadt eine Polytechnische Schule, eine Sternwarte, eine Abteilung der Asiatischen Gesellschaft, seit 1857 eine wirkliche, nach dem Muster der Londoner eingerichtete Universität, Prüfungsbehörde für 53 Colleges, darunter 34 niedern Ranges, und das Presidency College mit 26 Docenten, botan. Garten und verschiedene wohlthätige Anstalten und Vereine.

Industrie, Handel und Verkehr. Die Industrie ist nicht bedeutend; wichtig sind nur Baumwollfabrikation (Musseline, Tücher, sog. Madrastaschentücher), Gerberei und Lederzurichtung in M. und Umgebung, Zuckerfabriken, Töpferei, Salzsiederei und Glasindustrie. Der Hafen ist nicht gut, bei Monsunwechsel werden Drehstürme den Schiffen oft verderblich; seit 1860 ist ein eiserner Pier (305 m) gebaut, seit 1880 ist der künstliche Hafen von Black-Town nach großen Schwierigkeiten beendet. Die wichtigsten Einfuhrwaren sind: engl. Baumwollwaren (Schirtings, Kattune), Garne (1893: 10,4 Mill. engl. Pfd.), Petroleum (4,5 Mill. Gallonen), Reis, Spirituosen, Metalle, namentlich Eisen; ausgeführt werden: Baumwolle, roh (1892: 93 200, 1893: 266 559 Ctr.), gegerbte Ochsenhäute (1,11 Mill. Stück), Ziegenfelle (9,93 Mill.), Schaffelle (6 Mill.), Büffel- und Hirschhörner, Tabak, Thee, Kaffee, Indigo und Kochsalz. Wichtig ist auch die Waren- und Silbereinfuhr auf Rechnung der Regierung. Der Handel ist zu zwei Dritteln nach England gerichtet, dann nach Ceylon, Bombay, Bengalen und Birma. Im ganzen liefen 1889-90 im Außenhandel 622 Dampfer und 4689 Segler ein und aus. Regelmäßige Verbindung unterhalten die British India Steam Navigation Company, die Messagieres maritimes, Österreichisch-Ungarischer Lloyd und die Hansa (Hamburg). In das Binnenland führen Eisenbahnen nach allen Richtungen, eine Küstenbahn nach Kalkutta ist im Bau. Die wichtigsten Banken sind: Agra Bank, Bank of Bengal, London and China Bank, Commercial and Land Mortgage Bank, Madras Bank u. a. Deutschland ist durch Konsulat vertreten.

Der älteste Name der Stadt ist Tschennappattan, d. i. Stadt des Tschennappa, des Vaters des zur Zeit der Gründung von M. in der dortigen Gegend herrschenden Najak oder Bezirkshauptmanns. Nicht viel jünger ist Madraspattan (arab.-ind.), d. i. Stadt mit dem Madrasa, der Medrese, also wahrscheinlich soviel wie Universitätsstadt, benannt nach dem alten hier befindlichen, im Laufe der Zeit verschiedenen Zwecken (besonders auch als Wohnhaus für Geschäftskorrespondenten und jüngere Schreiber) dienenden "College". M. ist die erste feste Niederlassung der Engländer in Ostindien (1639). Die dortige Agentschaft der Ostindischen Compagnie wurde 1653 zum Range einer Präsidentschaft erhoben, und gegen Ende des 17. Jahrh. zählte die Ansiedelung schon 300 000 E. Seitdem stand M. still, während sich Kalkutta hob; aber in der neuesten Zeit dehnte es dafür seine Herrschaft um so weiter aus. Am 21. Sept. 1746 kapitulierte M. an die Franzosen unter La Bourdonnais, gelangte aber im Aachener Frieden (1748) wieder an England zurück. 1767 vom Sultan Haidar Ali überfallen, wurde es vom General Smith entsetzt. Am 23. Febr. 1768 ward daselbst mit dem Subadar des Dekan und 3. April 1769 mit Haidar Ali ein Friede abgeschlossen. Endgültige Ruhe gegen die Maisurfürsten erhielten die Engländer aber erst nach dem vierten Maisurkriege, in welchem 1799 Srirangapattan erstürmt wurde