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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Medizin

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Medizin

tenden Kultur die Heilkunst in die Hände eines besondern, durch Wissen und technische Fähigkeiten dazu befähigten Standes, des ärztlichen, über. Die älteste Quelle unserer Kenntnis der altägyptischen M. ist der Papyrus Ebers, welcher aus der Mitte des 17. Jahrh. v. Chr. stammt; über die M. der alten Indier geben die Hymnen des Atharvaveda (s. d.) sowie der Ayurveda des Susruta ein Bild. Bei den Griechen galt Asklepios (s. d.), der Sohn des Apollon und der Koronis, als eigentlicher Gott der Arzneikunde, und in seinen Tempeln wurden von den Priestern, den Asklepiaden (s. d.), die zu ihnen eilenden Kranken unter Anwendung teils psychischer (s. Inkubation), teils arzneilicher Mittel behandelt. Zu hoher Blüte gelangte die ärztliche Kunst unter Hippokrates (s. d.), einem Schüler der Asklepiaden zu Kos (460-377 v. Chr.). Späterbin wurde Alexandria der Ausgangspunkt berühmter mediz. Schulen; hier lebten unter Ptolemäus I. Herophilus und Erasistratus, welche die Anatomie durch zahlreiche Sektionen förderten.

Von Alexandria aus gelangte die griech. Heilkunde zu den Römern, über die mediz. Zustände in Roms früherer Periode ist wenig bekannt; man weiß nur, daß die Sibyllinischen Bücher auch ärztliche Vorschriften enthielten und daß die Römer 467 v. Chr. dem ?oiio moäicuL und bald darauf zahlreichen andern Heil- und Krankheitsgöttern, wie der Febris, Mephitis, Salus, Lucina u. a., Tempel errichteten. Zu diesen einheimischen Heilgottheiten gesellten sich später zahlreiche phrygische, ägyptische und griechische, wie Isis, Osiris, Serapis, Juno, Hygieia u. a. Lange war man in Rom auf fremde Arzte angewiesen, die meist griech. Sklaven waren. Da dies den Übelstand hatte, das Leben eines Freien der Hand eines Sklaven anvertrauen zu müssen, so blieb nichts anderes übrig, als diese Fremdlinge geradezu als freie Bürger aufzunehmen. Diese Einrichtung, von Julius Cäsar ins Leben gerufen, sickerte Rom vor dem Mangel an Ärzten. Als aber Augustus auch noch die Abgabenfreiheit sowie die Freiheit von öffentlichen Lasten hinzufügte, wuchs die Zahl der Ärzte in den Städten bald so sehr, daß Antoninus Pius (138-161 n. Chr.) sich gezwungen sah, die ursprünglich allen Ärzten erteilte Abgabenfreiheit auf eine gewisse, für jede Stadt festgesetzte Anzahl einzuschränken. Außer der Abgabenfreiheit erhielten die Armen- und Hofärzte i/Vi-cliikti-i poM- ?1-68 und M?Uni) seitens der Gemeinden oder des Hofs in der Folge auch Besoldung. Somit waren nicht nur die eigentlichen Kommunalärzte ins Leben gerufen, sondern ein Teil der Ärzte auch wirkliche Staatsdiener geworden, für welche der Staat nun auch bestimmte Gesetze erlassen mußte. Unter den ärztlichen Schulen der röm. Periode der M. sind hervorzuheben die Schule der Methodiker, gestiftet durch Themison von Laodicea (50 v. Cbr.), die alle Krankheiten von einer abnormen Erschlaffung oder Zusammenziehung der Poren ableitete; ferner die Schule der Pneumatik er, begründet von Atbenäus aus Attalia (69 n. Chr.), die als Grund aller vhysiol. und pathol. Vorgänge ein luftförmiges, alles durchdringendes Princip, das Pneuma, annahm, und die eklektische Schule des Agathinus von Sparta (90 n. Chr.), die eine Mischung methodischer, pneumatischer und empirischer Lehren war. Die erste umfassende Darstellung der römischen M. rührt von Aulus Cornelius Celsus (25 v. Chr. bis 50 n. Chr.) her, dessen acht Bücher "Ars medicina" ein wertvolles Denkmal der damaligen Heilkunde sind. Keiner von allen röm. Ärzten erlangte aber eine so welthistor. Berühmtheit als Claudius Galenus (s.d.).

Mit dem Verfall des röm. Staates sank auch die ärztliche Kunst: sie flüchtete sich in die Hände der Mönche und fand nur unter Juden und Arabern wahre Jünger. Von den Griechen gelangte die M. über Alexandria zu den Arabern, welche die Lehren des Hippokrates und des Galenus, wenn auch vielfach entstellt und mit orient. Zusätzen verschmolzen, Jahrhunderte hindurch konservierten und den Völkern des Abendlandes überlieferten. Besondere Verdienste erwarben sich die Araber um die Hilfswissenschaften der M., namentlich um die Arzneimittel- und Arzneibereitungslehre, aus welch letztern sich sodann die Chemie, die Apotheken und der Stand der Apotheker entwickelten. Unter den arab. Ärzten sind hervorzuheben Alkindus (Abu Iusuf Jakub ibn Ishak el-Kindi, 8l3-873), welcher die Wirkungen der zusammengesetzten Arzneimittel auf die Gesetze der Arithmetik und der musikalischen Harmonie zurückzuführen suchte; Rhazes (Abu Bekr Mubammed ibn Zakarijja er-Nazi, 850-923), dessen Abhandlung über die Pocken und Masern zu den wertvollsten Denkmälern der arabischen M. gehört; Ali Abbas (Ali ibn el-Abbas, gest. 994), dessen u. d. T. "el-Maliki" ("Königliches Buch") veröffentlichtes Lehrbuch der Heilkunde zu dem Besten zählt, was die arab. Ärzte geschrieben, sowie Avicenna is. d., 980-1037), wegen seiner großen Gelehrsamkeit als "Fürst der M." gepriesen, welcher durch seinen "Kanon der M." alsbald eine maßgebende Autorität bei den Arabern und später auch bei den Christen wurde.

Ein zweites Asyl fand die M. in den Klöstern, in welche die Heilkunde schon im 6. Jahrh. Eingang gefunden zu haben scheint, als Cassiodorus, der berühmte Gebeimschreiber Theodorichs d. Gr., nach seinem Eintritt in den Orden der Benediktiner seinen Ordcnsgcnossen das eifrige Studium des Hippokrates und Galenus dringend anempfahl. Seitdem erfreute sich die M. vornehmlich in dem Orden der Benediktiner anhaltender Pflege; durch ihn wurden späterhin auch einzelne Klöster als Medizinschulen eingerichtet, so das Kloster am Monte-Cassino und die berühmte Schule von Salerno. Der Ruf von Monte-Cassino wurde besonders durch Konstantin den Afrikaner (gest. 1087) begründet, welcher die Bekanntschaft des Abendlandes mit der mediz. Litteratur der Araber vermittelte. Das berühmteste litterar. Erzeugnis der Salernitanischen Schule ist das ttIl6Fiin6n L?nitktiZ 8Hl6i'nitÄnuin", ein für Laien bestimmtes, in gereimten Hexametern, den sog. Leoninischen Versen, gedichtetes Lehrgedicht über die wichtigsten Vorschriften der Diätetik und Therapie. Als ein Hauptverdienst der Schule von Salerno ist hervorzuheben, daß sie die M. frühzeitig von der Bevormundung der Kirche frei zu machen verstand und schließlich zu einer rein weltlichen Schule wurde; die Mönchsärzte verwandelten sich allmählich in Laienärzte. Eine weitere Folge hiervon war, daß die weltliche Obrigkeit sich mit der M. M befassen begann. König Roger von Sicilien gab 1140 das erste Medizinalgesetz im Mittelalter und machte die Ausübung der ärztlichen Praxis von der obrigkeitlichen Erlaubnis abhängig; noch genauer sind hierüber die Vorschriften Kaiser Friedrichs II. (1224). Die zahlreichen Universitäten, welche im 12. und 13. Jahrh. errichtet wurden, förderten die