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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Meer

Nebenmeere sind meist reich gegliedert durch Einschnitte, die bald willkürlich mit verschiedenen Namen belegt werden, wie Bucht, Bai, Golf, Meerbusen u. s. w. (s. Bai), bald ihres eigenartigen Charakters halber eigene Benennungen erhalten, wie Ästuarium, Fjord, Lagune, Haff, Liman, Etang, Ria (s. diese Artikel). Diese Einschnitte dienen häufig als Häfen (s. d.). Die den Zusammenhang einzelner Meeresflächen vermittelnden engen Teile heißen Meerenge, Straße, Sund oder Kanal.

Die Meerestiefe wurde noch in der Mitte des 19. Jahrh. sehr überschätzt (s. Tiefseeforschung). Die größte wirklich gemessene Tiefe im Atlantischen Ocean (s. d.) im Norden von St. Thomas beträgt 8341 m; die im Stillen Ocean (s. d.) fand sich zwischen den Freundschaftsinseln und der Insel Kermadec als größte bisher überhaupt gemessene (1895 von dem engl. Vermessungsschiff Pinguin gelotet) in 30° 28' südl. Br. und 176° 39' westl. L. von Greenwich zu 9427 m (bisher galt als größte Tiefe das Tuscarora-Tief östlich von Japan in 44° 55' nördl. Br. und 152° 26' östl. L. von Greenwich zu 8513 m); die im Indischen Ocean (s. d.) in 11° 22' südl. Br. und 116° 50' östl. L. von Greenwich zu 6205 m; die im südl. Atlantischen Ocean 0° 11' südl. Br. und 18° 45' westl. L. von Greenwich zu 7370 m; die im nördl. Polarmeer 78° 5' nördl. Br. und 2° 30' westl. L. von Greenwich zu 3612 m; die im südl. Polarmeer 68° 26' südl. Br. und 95° 44' östl. L. von Greenwich zu 4846 m. Der Unterschied zwischen dem höchsten und tiefsten Punkte der Erdoberfläche berechnet sich danach auf 17 353 m. Eine sehr schnelle Zunahme der Meerestiefe findet namentlich in der Nähe von Steilküsten statt; jede küstennahe Flachsee, bis zu 200 m tief, die als Überflutung des Kontinentalsockels erscheint, ist als Randmeer, d. h. als Bestandteil des nahen Kontinents, aufzufassen; die tiefsten Stellen scheinen im allgemeinen nicht in der Mitte der M., sondern mehr in der Nähe der Küsten sich vorzufinden. Binnenmeere haben in der Regel eine weit geringere Tiefe als der offene Ocean. Die mittlere Tiefe der gesamten Meeresräume kann ungefähr zu 3300 m angenommen werden. Mit dieser Tiefe erhält man als Volumen des Weltmeers 1220 Mill. cbkm und daraus folgt, daß das M. etwa den 840. Teil des gesamten Erdvolumens ausmacht. Das M. nimmt die meisten Flüsse in sich auf, ohne selbst einen Abfluß zu haben; es müßte daher unaufhörlich zunehmen und steigen, wenn nicht durch die fortwährend an seiner Oberfläche stattfindende Wasserverdunstung eine ungeheure Wassermenge von der Atmosphäre aufgenommen und in Gestalt von Wolken und ihren Niederschlägen zum Teil dem Lande wieder zugeführt würde.

Der Meeresgrund oder Meeresboden ist zumeist flachwellig, nur von allmählich aufsteigenden Bodenanschwellungen (Rücken, Platten oder Plateaus) und sanft geböschten trichterförmigen Einsenkungen (Thälern oder Becken) unterbrochen. Das Fehlen der Erosion auf dem Meeresboden und die Ausebnung durch Sedimente, in der Nähe der Küsten durch die Anschwemmungen der Flüsse und die Zerstörungsprodukte der Küste selbst, im offenen M. durch die niedersinkenden animalischen Reste, bewirkt diesen Gegensatz zum Festlande. Die Spitzen und Rücken der Bodenanschwellungen ragen oft als Inseln (s. d.), Bänke (s. d.), Riffe (s. d.), Klippen (s. d.) und Schären (s. d.) über die Oberfläche hinaus. In allen Oceanen bedeckt den Meeresboden ein feiner Schlamm. Die Tiefseeablagerungen (unterhalb der 200-Meterlinie, die annähernd mit der 100-Fadenlinie zusammenfällt) sind zum größern Teil pelagisch; zu den wenigen ausgedehnten terrigenen Bildungen gehören der vulkanische und der Korallenschlamm, der grüne Schlamm an Steilküsten ohne große Flüsse zwischen 100 und 900 Faden Tiefe, der nur von der brasil. Küste bekannte rote Schlamm (durch die Flüsse ins M. geführter Laterit) und endlich der in großen Tiefen vorkommende blaue Schlamm. Die pelagischen Ablagerungen bestehen großenteils aus den teilweise umgewandelten Resten kleiner tierischer oder pflanzlicher Organismen, so die Pteropodenerde (nicht tiefer als 2000 Faden), die Schalen von Pteropoden und Heteropoden, die Globigerinenerde (in etwa 2000 Faden Tiefe), die Schalen von Foraminiferen, Kokkolithen u. a., die Diatomeenerde, kieselige Reste von Diatomeen, kieselige Radiolarienskelette und Schwammnadeln mit vielen Gesteinsfragmenten, die Radiolarienerde, hauptsächlich Radiolarienschalen und die charakteristischste Tiefseebildung, der überall nur in den größten Tiefen vorkommende, nur wenige Centimeter mächtige rote Thon, ein Zersetzungsprodukt vulkanischer Produkte mit vielen tierischen und anorganischen Beimengungen.

Die Temperatur der obern Wasserschichten hängt von der Sonnenbestrahlung ab; nach der Tiefe zu findet eine anfangs schnellere, nachher langsamere Abnahme statt. Am Meeresboden hat man in der Nähe der Polarmeere bis zu -1,5°, im Polarmeere bis unter-3,5°, in den mittlern und niedrigern Breiten bei 4000 und 6000 m Tiefe zu +1 bis 2°, am Äquator zu +0,7° bis -0,6° C., südlich vom Äquator zu 0,8° bis 1,8° C gefunden. Diese niedrigen Temperaturen erklären sich durch das Zuströmen des eiskalten Wassers der Polargegenden am Boden; ein abgeschlossenes Becken, wie das Mittelländische M., hat von 500 m abwärts bis zum Boden eine gleichmäßige Temperatur von 13°. Durch Zeichnung der Isothermen in einem Meeresquerschnitt (Wärmeprofil) erhält man eine deutliche Vorstellung der Temperaturverteilung; Krümmungen derselben nach unten zeigen warme Strömungen, solche nach oben kalte Strömungen an. Das Dichtigkeitsmaximum des Meerwassers liegt bei -3,5° C., der Erstarrungspunkt bei etwa -2,5° C. Die im M. treibenden Eismassen haben verschiedenen Ursprung; teils entstammen sie als Eisberge (s. d.) den arktischen Gletschern, teils gefriert das Meerwasser selbst zu Eisfeldern, die das Scholleneis (Packeis) und Flardeneis (Pfannkucheneis) bilden und als Treibeis große Strecken zurücklegen.

Die geometr. Gestalt der Meeresoberfläche, der Meeresspiegel, ist eine sog. Niveaufläche, d. h. eine solche, die in jedem ihrer Punkte senkrecht steht zur Resultante aller in diesem Punkte wirksamen Anziehungskräfte. Da diese sehr verschieden stark sind, so weicht die wirklich vorhandene Meeresoberfläche in ihrem mittlern Stande, d. h. befreit von allen Unregelmäßigkeiten der Wellen- und Gezeitenbewegungen, ziemlich erheblich von der Gestalt des abgeplatteten Rotationsellipsoids (s. Erde) ab infolge der Anziehung durch die Kontinente. Doch liegt wohl nirgends der Meeresspiegel an den Küsten über 500-600 m höher als im freien Ocean. Wegen der Unsicherheiten in der Bestimmung der Höhenlage des Meeresspiegels an Küsten kann dieser keinen festen Nullpunkt für Höhenbestimmungen