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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Napoleon III.

Am 22. Juli 1832 starb der Herzog von Reichstadt (s. d.), und nunmehr sah N. sich als den nächstberechtigten Erben des großen Kaisers an. 1833 veröffentlichte er "Considérations politiques et militaires sur la Suisse" und 1836 ein "Manuel d’artillerie".

Inzwischen hatte N. zu Baden-Baden, wo er oft verweilte, mehrere franz. Offiziere aus der Garnison von Straßburg kennen gelernt und den Plan gefaßt, mit deren Hilfe sich dieser wichtigen Festung zu bemächtigen und von dort aus das Signal zur Wiederherstellung des franz. Kaisertums zu geben. Am 30. Okt. 1836 erschien er morgens in der Austerlitzkaserne, wo er von dem 4. Artillerieregiment mit Jubel als Kaiser begrüßt wurde. Von da begab er sich nach der Finckmattkaserne zum 46. Infanterieregiment, wurde aber hier nebst den meisten Mitschuldigen verhaftet. Er ward nach Paris abgeführt, aber nicht vor Gericht gestellt, sondern nach Amerika geschickt. Zu Anfang März 1837 landete er in Neuyork. Auf die Nachricht von der Erkrankung seiner Mutter schiffte er sich schon nach einigen Monaten nach England ein und kehrte nach Arenenberg zurück, wo Hortense 5. Okt. 1837 starb. Die franz. Regierung forderte indes die Ausweisung N.s aus der Schweiz (Aug. 1838), worauf N. sich nach London begab. Hier vollendete er seine Schrift "Des idées Napoléoniennes" (Par. 1839).

Als 1840 die Überführung der Leiche Napoleons I. von St. Helena nach Paris vorbereitet wurde und infolgedessen der bonapartistische Enthusiasmus in Frankreich einen neuen Aufschwung nahm, ließ der Prinz eine zweite Schrift über die "Napoleonische Idee" folgen ("L’idée Napoléonienne; œuvre mensuelle") und hielt die Zeit für günstig zu einem zweiten Handstreich. Am 4. Aug. 1840 schiffte er sich mit General Montholon, Persigny, Dr. Conneau und etwa 50 bewaffneten Begleitern ein und landete am 6. bei Boulogne. Aber der Versuch, die Garnison zu gewinnen, schlug fehl, und als er sein Schiff wieder zu erreichen suchte, schlug das Boot um und er wurde von den Verfolgern aus dem Wasser herausgezogen. Am 28. Aug. begann der öffentliche Prozeß gegen ihn vor der Pairskammer im Palast Luxembourg zu Paris; das Urteil wurde 6. Okt. gesprochen und lautete auf lebenslängliche Gefangenschaft für den Prinzen und auf kürzere Haft für seine Mitschuldigen. Am 7. Okt. wurde N. nach der Citadelle von Ham (Depart. Somme) abgeführt. Hier beschäftigte er sich fast ausschließlich mit schriftstellerischen Arbeiten, die teils dem Gebiete der Politik und Volkswirtschaft, teils der Artilleriewissenschaft angehörten. Auch veröffentlichte er viele Aufsätze in dem Journal "Progès du Pas-de-Calais". Am bemerkenswertesten aus dieser Epoche ist seine Broschüre "De l’extinction du paupérisme" (Par. 1844), weil er darin an die Ideen des Socialismus anknüpfte. In der Verkleidung eines Arbeiters, unter dem Namen Badinguet (den ihm später seine Feinde wieder beilegten), entfloh er 25. Mai 1846 aus der Citadelle von Ham und kehrte nach London zurück. Die im April und Juni 1848 ihm übertragenen Mandate für die franz. Nationalversammlung lehnte er ab. Als er aber bei den Neuwahlen vom 17. Sept. wieder in Paris und fünf andern Wahlkreisen zum Repräsentanten gewählt war, nahm er 26. Sept. seinen Sitz in der Nationalversammlung ein, an deren Arbeiten er sich jedoch wenig beteiligte. Nichtsdestoweniger nahm jetzt die bonapartistische Bewegung immer größere Dimensionen an, und als es sich um die Präsidentenwahl handelte, gab der populäre Name bei der Masse des Landvolks den Ausschlag. Am 27. Nov. erließ N. sein Wahlmanifest, und 10. Dez. fand die Wahl statt, wobei N. 5430000 Stimmen erhielt; 20. Dez. 1848 wurde er als Präsident der franz. Republik installiert.

N. nahm zuerst ein parlamentarisches Ministerium ohne bestimmte Parteifarbe und schlug sowohl in der innern wie in der auswärtigen Politik eine konservative Richtung ein. Die extremen Parteien wurden durch strenge Maßregeln niedergehalten, auch im April 1849 eine Expedition nach dem Kirchenstaat gesandt, um die päpstl. Gewalt daselbst wiederherzustellen und den franz. Klerus für N. zu gewinnen. Durch Reisen, Ansprachen und andere Mittel suchte er seine Popularität zu vergrößern und an die Erinnerungen des ersten Kaisertums anzuknüpfen. Mit der Nationalversammlung kam er bald in einen unversöhnlichen Konflikt. Er verlangte von ihr die Revision der Verfassung, um das Verbot der Wiederwählbarkeit des Präsidenten aufzuheben, die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts, die Erhöhung des Präsidentengehalts von 600000 Frs. auf 3 Mill. und fand bei der Mehrzahl der Generalräte Zustimmung. Da die Nationalversammlung auf keine dieser Forderungen einging und die Verfügung über die Truppenmacht in Paris für sich beanspruchte, so unternahm N. den Staatsstreich vom 2. Dez. 1851. Er dekretierte die Auflösung der Nationalversammlung und die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts und appellierte an das franz. Volk, das berufen wurde, in Urversammlungen über einen neuen Verfassungsentwurf abzustimmen. Der bewaffnete Widerstand in Paris, 3. und 4. Dez., ward mit Militärgewalt unterdrückt, die Führer der parlamentarischen Opposition verhaftet und in die Verbannung geschickt, Massendeportationen angeordnet und Ausnahmegesetze erlassen. Die Ruhe war in kurzem wiederhergestellt. Unter diesen Eindrücken fand die allgemeine Volksabstimmung 20. und 21. Dez. statt. Eine Majorität von 7419000 Summen sanktionierte die Vorlage, wodurch N. auf weitere zehn Jahre mit seiner Amtsgewalt bekleidet ward, und der "Prinz-Präsident" verkündigte nunmehr die Verfassung vom 14. Jan. 1852, die der Konsularverfassung vom Jahre VIII (1799) nachgebildet war, einen Senat und einen Gesetzgebenden Körper schuf und N. die unbeschränkte monarchische Gewalt verlieh. Um den Einfluß der Familie Orléans zu brechen, erließ N. das Dekret vom 22. Jan., welches das Orléanssche Hausvermögen zu Gunsten der Staatsdomäne konfiszierte und den Verkauf aller Orléansschen Privatgüter binnen Jahresfrist verordnete. Mit allen Mitteln der Staatsgewalt wurde nun auf die Wiederherstellung des Kaisertums hingearbeitet. Diesem Ziele galten die Rundreisen des Präsidenten und seine, eine friedliche Politik in Aussicht stellenden Reden. In allen Teilen Frankreichs wurde ein großer Adressensturm organisiert. Der Senat, durch Dekret vom 19. Okt. berufen, um über die Wünsche des Volks zu beraten, trat 4. Nov. zusammen. Schon 7. Nov. erfolgte ein Senatskonsult, welches das Erbkaisertum wiederherstellte, und dieser Beschluß ward bei der allgemeinen Volksabstimmung (21. und 22. Nov.) mit mehr als 8 Mill. Stimmen sanktioniert. Am 2. Dez. 1852 hielt der neue Souverän seinen feierlichen Einzug in Paris, wo er die Tuilerien bezog. Die Civilliste wurde auf 25 Mill.