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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Neuenburg (Kanton)
1890/91 wurden in den drei Fischzuchtanstalten des
Kantons 316768 Eier von Seeforellen eingesetzt.
Der Bergbau liefert vorzügliche Bansteine (Kalk)
nnd im Val-de-Travers Asphalt und Cement.
Industrie, Handel. Die Industrie ist blühend
und ernährt 54 Proz. der Bevölkerung. 1888 be-
standen 69 Fabriken, darunter 65 mit Motoren
(1368 Wasser-, 628 Dampfpferdestärken), mit 3110
(2310 mannl., 800 weibl.) Arbeitern, darunter 19?
(137 männl., 70 weibl.) unter 18 Jahren. 7 Braue-
reien brauten (1892) 31436 Kl Bier. Neben der
Uhrenindustrie, die im Kanton N. etwa 16000 Ar-
beiter beschäftigt und ihren Hauptsitz in La Chaur-
de-Fonds und Le Locle hat, verdienen die Fabrika-
tion von Schokolade, Liqueur, Cement, elektrischen
Apparaten und Telegraphenkabeln Erwähnung. Der
Handel wird unterstützt durch treffliche Straßen.
Verfassung und Verwaltung. Die Ver-
fassung (vom 21. Nov. 1858, später abgeändert) ist
repräsentativ-demokratisch, jedoch mit fakultativem
Referendum (seit 28. bis 29. Juni 1879) und Volks-
initiative auf das Begehren von 3000 Stimm-
fähigen. Der Große Rat (Qi-anä ^on86i1), auf drei
Jahre direkt vom Volke gewählt, zählt je ein Mit-
glied auf 1000 Seelen; er erläßt Gesetze, beschließt
Steuern, überwacht die Verwaltung und das Budget.
Die Exekutive übt der Staatsrat ((^0N86i1 ä'ktat)
aus; er besteht aus 5 Mitgliedern, die vom Großen
Rate auf drei Jahre gewählt werden. Er verwaltet
die Staatsgeschäfte, überwacht die Iustizpflege und
legt dem Großen Rate jährlich Rechnung ab; ferner
hat er die Aufsicht über die Geistlichkeit, das öffent-
liche Unterrichtswesen und die Verwaltung der Ge-
meindegüter. Außer 18 Friedensrichterämtern und
3 industriellen Schiedsgerichten für Streitigkeiten
zwischen Arbeitern und Arbeitgebern bestehen 6 Be-
zirksgerichte und als höchste Instanz ein Appella-
tionshof in N., der in Kriminalsachen die Befugnisse
eines Kassationshofs besitzt. Zur Behandlung von
Kriminalfüllen und polit. Vergehen wird eine Jury
errichtet. Der Kanton sendet in den Nationalrat 5,
in den Ständerat 2 Mitglieder. Die Staatsein-
nahmen beliefen sich (1893) auf 3,i99, die Aus-
gaben auf 3,213, die Staatsschuld auf 15,789 und
das Staats vermögen auf4,i2öMill.Frs. Inmilitär.
Hinsicht gehört der Kanton zum Stammbezirk der
2. Division. Das Wappen ist (seit 1848) ein
von grün, weih und rot senkrecht geteilter Schild
mit weißem Kreuze im roten Felde.
Kirchen- und Bildungswesen. Die kirch-
liche Einteilnng entspricht der administrativen.
Geistliche Körperschaften, die von der souveränen
Macht unabhängig sind, erkennt die Verfassung
nicht an; ohne Genehmigung des Großen Rates
darf sich keine religiöse Korporation im Kanton
niederlassen. Die Güter und das Einkommen der
Kirche werden mit dem Vermögen des Staates, der
die kirchlichen Beamten besoldet, verschmolzen. Die
Reformierten teilen sich in die Landeskirche (6^1i86
iiktionaik) und in die Freie Kirche (6AÜ86 lidrc),
die Katholiken stehen unter dem Bischof von Lau-
sanne. 1893 bestanden in 64 Gemeinden406 Primär-
schulen, 68 Kleinkinderschulen, 5 gewerbliche Sekun-
därschulen (600I68 86conäair68 inäu8tri6ii68), 3 ge-
wöhnliche Sekundärschulen, 1 höhere Mädchenschule;
ferner 1 unteres Gymnasium (colie^ c1a88iHU6),
1 oberes Gymnasium mit litterar, und realer Ab-
teilung (ß^mnk86 cantonai, Lsction litteiairs 6t
section Lcientii^uL). Den Hochschulunterricbt ver-
tritt die Akademie in der Hauptstadt, 2 staatliche
und 1 privates Lehrerseminar. Dem gewerblichen
Unterricht dienen 5 Uhrmacherschulen, 1 Kunst-
gewerbeschule, 2 Handelsschulen, 1 landwirtschaft-
liche, 1 Weinbauschule sowie 4 Gewerbeschulen
(6col68 ä'6N86ign6M6nt Pr0l688i0uii6l).
Geschichte. Wie die Pfahlbauten im See be-
weisen, war N. schon vor der Römerzeit besiedelt; es
geriet mit dem übrigen Helvetien unter röm., dann
534 unter frank. Herrschaft; im 9. Jahrh, kam es an
das burgund. Königreich, mit dem es 1032 an das
Deutsche Reich fiel. Nach dem Erlöschen des alten
Grafengeschlechts von N. und Valangin kam das
Land an das Haus Chälons, dann an das von Frei-
burg, von Hochberg (1457) und 1504 an die Herzöge
von Orle'ans-Longueville. Schon seit 1406 mit Bern
verbündet, nahm N. an den Bnrgunderkriegen ruhm-
vollen Anteil. Da es im Anfange des 16. Jahrb.
durch das Haus Longueville zu Frankreich hielt,
wurde es 1512 von den Eidgenossen erobert und erst
1529 zurückgegeben. Bald hernach führte es 1530
unter dem Einfluß Berns die Reformation ein, die
namentlich durch Wilhelm Farel (s. d.) gepredigt
wurde. Als 1707 das Haus Longueville mit der Her-
zogin von Nemours, Marie von Orleans, erlosch,
wurde im Gegensatz zu dem Einfluß Frankreichs unter
15 Prätendenten König Friedrich I. von Preußen,
der als Sohn der oranischen Prinzessin Luise näch-
ster Erbe der Ansprüche des Hauses Oranien war,
von den Ständen des Fürstentums zur Herrschast
berufen und die darauf erfolgte Besitzergreifung im
Utrechter Frieden bestätigt. 1806 mußte das Für-
stentum an Frankreich abgetreten werden, worauf
Napoleon I. den Marschall Berthier (s. d.) als sou-
veränen Fürsten damit belehnte. Im Pariser Frie-
den von 1814 wurde N. vergrößert an den König
von Preußen zurückgegeben, der dem Lande 18. Inm
eine der Genfer ähnliche Okarw c0N8titutionn6i1ft
gab und es als einen für sich bestehenden, vo" der
preuß. Monarchie ganz getrennten Staat erklärte.
Hierauf erfolgte 11. Sept. 1814 die Aufnahme N.s
als 21. Kanton in die Eidgenossenschaft. Mit dieser
durch alte Bündnisse und gemeinsame Interessen
weit enger verknüpft als mit dem fernen Herrscher-
hause, und von letzterm allzu weit entfernt, befand
sich N. in einer auf die Dauer unhaltbaren Doppel-
stellung. Zwar mißlang 1831 der Versuch der re-
publikanischen Partei, N. durch Revolution von der
preuh. Herrschaft freizumachen; aber durch einge-
wanderte deutsche Schweizer verstärkt, gewann die
Partei in den nächsten Jahrzehnten die Mehrheit
des Volkes für sich, während die Regierung streng
konservativ blieb und sogar 1847 im Sonderbunds-
krieg sich weigerte, das bundesgemäße Kontingent
zur eidgenössischen Armee zu stellen. Am 1. März
1848 wurde durch eine bewaffnete Demonstration
der Staatsrat zur Abdankung genötigt, worauf eine
provisorische Regierung die Abschaffung der Monar-
chie und die Einführung der Republik erklärte.
Ein Verfassungsrat entwarf sodann im Geiste der
repräsentativen Demokratie eine neue, vom Volke
(30. April) genehmigte und von der Eidgenossen-
schaft gewährleistete republikanische Verfassung. Der
König von Preußen protestierte wiederholt gegen
die einseitige Aufhebung seiner Rechte, und auch
ein 24. Mai 1852 bei der Londoner Konferenz von
sämtlichen Großmächten unterzeichnetes Protokoll
erkannte auf Grund der Verträge von 1815 das
Recht des Königs auf N. sowie ans Wiederherstel-