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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Niederlande (Geschichte)

tung des Statthalters zu, und die antioranische Partei gewann neue Stärke. Im Sept. 1786 entzogen die Generalstaaten dem Erbstatthalter seine Würde als Generalkapitän und nahmen ihm den Oberbefehl über die Truppen. Eine der Statthalterin, der Schwester des Königs Friedrich Wilhelm Ⅱ. von Preußen, zugefügte Beleidigung veranlaßte im Sept. 1787 das Einrücken eines preuß. Heers unter dem Herzog von Braunschweig in Holland, das keinen ernstlichen Widerstand fand. Auch Amsterdam kapitulierte schon 8. Okt. Zugleich hatte die Ankunft der Preußen eine Volksbewegung zu Gunsten des Statthalters hervorgerufen, die ihm die Macht wiedergab. Die «Patrioten», wie sich die Feinde Oraniens nannten, flohen in Masse nach Frankreich, wo ihr Bestreben seit 1789 dahin ging, mit Hilfe der Franzosen die neuen polit. Theorien der großen Revolution in Anwendung zu bringen. Infolgedessen schloß sich Wilhelm Ⅴ. der Koalition gegen Frankreich an, und die N. wurden bald der Schauplatz der Französischen Revolutionskriege (s. d.). Die Franzosen eroberten die österreichischen N., und der harte Winter 1794‒95, der die Grenzflüsse der Republik passierbar machte, öffnete Pichegru den Weg ins Land.

Der Erbstatthalter Wilhelm Ⅴ. floh im Jan. 1795 mit seiner Familie nach England, die alte Regierung wurde gestürzt. Eine neue, revolutionäre, schloß 1795 den Frieden mit Frankreich ab, wobei die N. unter dem Namen Batavische Republik als selbständiger Staat anerkannt wurden. Dafür aber mußten sie einige südl. Landstriche, namentlich Maastricht, Venlo, Staats-Limburg und Staats-Flandern (einen Teil der sog. Generalitätslande) an Frankreich abtreten, sich mit diesem Reiche zu einer beständigen Allianz verbinden, eine Summe von 100 Mill. Fl. an dasselbe entrichten und den franz. Truppen die Besetzung ihres Gebietes gestatten. Erst 1798 erhielt die neue Republik ihre Verfassung als vollständiger Einheitsstaat; die alten Provinzen wurden aufgehoben und das Land in acht Verwaltungsbezirke (Departements) geteilt; neben einer aus zwei Kammern bestehenden stellvertretenden Versammlung bestand als vollziehende Gewalt ein Direktorium von fünf Männern. Unfähig, mit dem geringen Überreste eigener Kraft selbständig zu handeln, sah die Republik ihre Flotten durch die engl. Seemacht verdrängt, ihre Kolonien verheert, ihren Handel auf Küstenfahrt und auf den innern Verbrauch beschränkt und die Bank von Amsterdam bis zur Vernichtung erschüttert. Kaum zeigte sich bei dem Frieden zu Amiens 1802 die Hoffnung einer bessern Zukunft, als sich die Republik wieder in den neu beginnenden Krieg Frankreichs gegen England verflochten sah. Surinam und das Kap fielen in die Hände der Engländer. Nachdem schon 1801 eine Änderung der Verfassung eingetreten war, mußte sie zum drittenmal nach Napoleons Ⅰ. Wunsch 29. April 1805 umgeändert werden. Demnach erhielt ein Gesetzgebendes Korps (die Hochmögenden), bestehend aus 19 Deputierten der Departements, mit einem von diesen auf fünf Jahre erwählten, mit fast unbeschränkter Macht bekleideten Ratspensionär an der Spitze, die höchste Gewalt. Doch selbst des tüchtigen Ratspensionärs Schimmelpenninck Bemühungen konnten das Land nicht retten.

Durch Napoleon Ⅰ. gezwungen, trug man 1806 dessen drittem Bruder, Ludwig Bonaparte, den Besitz des zerrütteten Landes als souveränes Königreich Holland an, und 5. Juni 1806 wurde derselbe als König von Holland ausgerufen, und Holland mußte nun an allen Kriegen Napoleons teilnehmen. Die Staatsschuld wuchs; der Handel bestand nach der Einführung des Kontinentalsystems nur noch in Schleichhandel, der zu England hinzog. Es erhielt nach dem Frieden zu Tilsit zwar Ostfriesland, Jever, Varel und Kniphausen, mußte aber dafür das zwischen der franz. Grenze und der Maas gelegene Gebiet nebst einem Teil von Seeland mit den Festungen Bergen-op-Zoom, Breda, Herzogenbusch, Gertruidenberg und Vlissingen abtreten. Der neue Krieg gegen Österreich 1809 veranlaßte die Landung der Engländer auf Walcheren. Die Spannung zwischen König Ludwig und dem Kaiser wuchs, und 1. Juli 1810 legte der König die Krone zu Gunsten seines ältesten unmündigen Sohnes nieder. Napoleon Ⅰ. erkannte indessen die Verfügung seines Bruders nicht an, und durch Dekret vom 9. Juli wurde Holland mit dem franz. Reiche vereinigt. Die Zinsen der öffentlichen Schuld wurden auf ein Drittel herabgesetzt, und Lebrun, der Herzog von Piacenza, erschien als des Kaisers Stellvertreter in Amsterdam.

Die Schlacht bei Leipzig änderte auch das Schicksal der N. Während die Verbündeten gegen Frankreich vorrückten, wandte sich ein russ.-preuß. Armeekorps unter Bülow von der Nordarmee gegen die N. Bei der Annäherung desselben stellten im Haag 17. Nov. 1813 der Graf Gysbert Karel van Hogendorp und der Baron, später Graf, van der Duyn van Maasdam (gest. 1848) sich mit dem Grafen Leopold von Limburg-Stirum, dem das Militärkommando übertragen wurde, an die Spitze einer Volksbewegung, und die franz. Besatzung im Haag entschloß sich zum freiwilligen Abmarsch. Hogendorp und van der Duyn traten als Provisorische Regierung auf. Der Prinz von Oranien war 30. Nov. im Haag eingetroffen, löste die Provisorische Regierung auf und übernahm die Leitung der Geschäfte. Eine Kommission von 15 Mitgliedern, darunter Hogendorp und van der Duyn, wurde mit dem Entwurfe der neuen Staatsverfassung beauftragt, die in der Versammlung der aus allen Provinzen der ehemaligen Vereinigten N. zur Abstimmung zusammenberufenen Notabeln 29. März 1814 angenommen wurde. Infolge des Pariser Friedens vom 30. Mai und des Londoner Protokolls vom 21. Juni 1814 trat Wilhelm auch in seine Rechte als Generalgouverneur der von den Alliierten besetzten ehemals österr. (belg.) Provinzen, bis die definitive Vereinigung der beiden Staaten (Belgien und Holland) reguliert würde. Durch den Staatsvertrag mit England vom 29. Okt. 1814 wurden dem souveränen Fürsten gegen Abtretung der Rechte Hollands auf das Vorgebirge der Guten Hoffnung und auf die Kolonien Demerara, Essequibo, Berbice und Ceylon die sämtlichen übrigen Kolonien, welche Holland 1. Jan. 1803 besessen hatte, zurückgegeben, mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß es für obengenannte Abtretung durch eine Landesvergrößerung in Europa (Belgien) werde entschädigt werden.

Durch den Beschluß des Wiener Kongresses vom 31. Mai und durch die Schlußakte vom 9. Juni 1815 wurden die ehemaligen österr. Provinzen nebst dem Bistum Lüttich mit den Provinzen der ehemaligen Republik verbunden. Beide zusammen sollten fortan das Königreich der N. bilden, und Wilhelm Ⅰ. wurde als König der N. von allen Mächten anerkannt. Auch wurde ihm zur Entschädigung für