Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

339

Niederländische Kunst

fassen. Das älteste Beispiel der Renaissance in Belgien sind die um 1517 ausgeführten Teile des Tribunals zu Mecheln (s. Taf. Ⅱ, Fig. 1). In dem Bau des Rathauses zu Antwerpen (1560‒66) mit seiner schön entwickelten Hochrenaissance (s. Tafel: Rathäuser Ⅰ, Fig. 4) wurde noch einmal das architektonische Können der Nation zusammengefaßt, ehe die große polit. Spaltung die beiden Teile in verschiedene Richtungen drängte. In Holland blieb man der Frührenaissance, die hier mit großer Feinheit und Anmut gehandhabt wurde, lange treu. Sich mischend mit den antikisierenden Bestrebungen der Zeit erhielt sie hier die glücklichste Anwendung durch die holländ. Architekten Hendrik de Keyser und Jakob van Kampen (gest. 1658); der erstere baute die alte, seitdem niedergerissene Börse in Amsterdam, von dem letztern ist das dortige stattliche Rathaus (jetzt königl. Palais), das jedoch schon den Klassicismus bis zur Nüchternheit steigert. In Belgien entstand im 17. Jahrh. unter Rubens’ Führung eine kräftige, phantasiereiche Barockbaukunst, deren Hauptvertreter Francquart und Lucas Faid’herbe waren. Die Jesuitenkirchen in Brüssel und Antwerpen (s. Tafel: Niederländische Kunst Ⅱ, Fig. 2), die Beguinenkirche in Brüssel und zahlreiche andere Bauten geben Kunde von der großartigen Bauauffassung jener Zeit. Erst seit dem 18. Jahrh. beginnen franz. Einflüsse, getragen durch die Hugenotten, in Holland, später auch in Belgien maßgebend zu werden. Als Vertreter dieser Richtung ist der Maler A. van der Werff zu bezeichnen. In neuerer Zeit sind wie in andern Ländern so auch in den Niederlanden die verschiedenen Bauweisen nebeneinander zur Anwendung gekommen. So bevorzugte der von den franz. Klassicisten beeinflußte Roelandt (gest. 1864) beim Bau der Universität (1826), des Justizpalastes (1846; s. Taf. Ⅱ, Fig. 4) und des Theaters zu Gent, ebenso Suys der Jüngere beim Bau der neuen Börse zu Brüssel (1868‒73; s. Taf. Ⅱ, Fig. 5) die griech.-röm. Architektur; sie gaben den genannten Bauten an der Hauptfaçade einen Portikus von korinth. Säulen, während Poelaert ^[Joseph] den Justizpalast in Brüssel (1883) sogar mit Anlehnung an die assyr. Bauweise und unter stark barocker Behandlung der klassischen Formen aufbaute. Um die Wiedererweckung des got. Stils machte sich Cuypers verdient, der in St. Katharina zu Eindhoven die schönste got. Kirche Hollands in neuerer Zeit schuf und den 1889 in Betrieb genommenen Centralbahnhof in Amsterdam ebenfalls im got. Stil errichtete; hingegen führte er bei dem in letzterer Stadt (1877‒85) erbauten Reichsmuseum (s. Tafel: Museen Ⅱ, Fig. 2) den holländ. Renaissancestil, allerdings mit got. und roman. Anklängen durch. Den vläm. Renaissancestil zeigt unter anderm die von Beyaert (gest. 1894) erbaute Nationalbank in Antwerpen (1880). – Vgl. Schayes, Histoire de l’architecture en Belgique (2. Aufl., 2 Bde., Brüss. 1852); Gurlitt, Geschichte des Barockstils, des Rokoko und des Klassicismus (Stuttg. 1886‒89); F. Ewerbeck, Die Renaissance in Belgien und Holland (neue Ausg., Lpz. 1889‒92); Galland, Geschichte der holländ. Baukunst und Bildnerei im Zeitalter der Renaissance, der nationalen Blüte und des Klassicismus (Frankf. a. M. 1890); J. van Ysendyck, Documents classés de l’art dans les Pays-Bas (700 Lichtdrucktafeln, Antw. 1880).

II. Bildnerei. Die niederländ. Bildhauerkunst scheint in der roman. Epoche höchstens die Konsolen der Gesimse zur Anbringung von Tiergestalten, Fratzenköpfen und phantastischen Figuren benutzt zu haben; denn mit Ausnahme der in einem schweren, harten Stil gearbeiteten Skulpturen am Portal der Kathedrale in Tournai sind keine Steinmetzarbeiten dieser Zeit auf uns gekommen. Dagegen ist in der Bartholomäuskirche zu Lüttich noch ein auf zwölf Stieren ruhendes und mit Relieffiguren in roman. Stile geschmücktes Taufbecken in Erzguß (1112) von Lambert Patras in Dinant erhalten, wo sich eine Schule von Metallarbeitern gebildet hatte, die so berühmt wurden, daß man im Mittelalter Kunsterzeugnisse dieser Art schlechthin Dinanderies und die Künstler Dinandiers nannte. Auch die Steinskulpturen der got. Epoche sind in Holland fast ganz verschwunden und in Belgien selten. Nur Tournai macht hier abermals eine Ausnahme, indem es in der Vorhalle seiner Kathedrale noch zahlreiche got. Bildhauerarbeiten besitzt, unter welchen sich eine kolossale Madonna auszeichnet. Der Mittelpunkt der niederländ. Bildnerei am Ende des 14. und zu Anfang des 15. Jahrh. war Dijon, die Residenz der Herzöge von Burgund; hier arbeitete unter andern Claux Sluter aus Holland, dessen noch erhaltenes Werk, der sog. Mosesbrunnen (s. Tafel: Französische Kunst Ⅲ, Fig. 1), Freiheit und Sicherheit plastischer Behandlung bei entschiedenem Streben nach Naturwahrheit offenbart. Weit unansehnlicher sind die gleichzeitigen niederländ. Skulpturen. ^[Spaltenwechsel]

Erst gegen Ausgang des 15. Jahrh. trifft man bedeutende Leistungen der niederländ. Plastik; so das in der Liebfrauenkirche zu Brügge errichtete Grabmal (Erzfigur auf Marmorsarkophag) der Maria von Burgund (s. Tafel: Niederländische Kunst Ⅲ, Fig. 4), ein fein und naiv im realistischen Stil (1495‒1502) ausgeführtes Werk des Pieter de Beckere aus Brüssel. Als Seitenstück dazu ließ später (1558) Philipp Ⅱ. das Renaissancegrabmal Karls des Kühnen durch den Bildhauer Jongelincx aus Antwerpen hinzufügen. Mit dem Emporkommen antiker Bauformen wuchs auch die Neigung für die Bildnerei, welche im Laufe des 16. Jahrh. zu großem Einfluß auch in Deutschland und Italien gelangte, zunächst durch den hohen Reiz im Ornament und die zierliche Durchbildung im einzelnen, wie dies z. B. der Mittelbau des Antwerpener Stadthauses und insbesondere die prächtig geschnitzten Chorgestühle in den Kirchen zu Dordrecht (s. Taf. Ⅲ, Fig. 6) und Enkhuizen (s. Taf. Ⅲ, Fig. 5) zeigen; später durch die edle Auffassung der menschlichen Gestalt, ohne daß ein einzelner Bildhauer besonders hervortrat. Dies geschah erst im Auslande, wo Al. Colins, Giovanni da Bologna u. a. die Bildnerei mächtig beeinflußten, zwar ital. Formen hineinbrachten, doch im Sinne einer stilistisch strengen, aber auf Naturbeobachtung beruhenden Kunstauffassung fortbildeten. Als Vertreter dieser Richtung sind im 17. Jahrh. die beiden Brüder François und Jérôme Duquesnoy zu nennen, ferner Artus Quellinus von Antwerpen (gest. 1668) und Rombout Verhulst (gest. 1698), welche die Bildwerke am und im Rathaus zu Amsterdam schufen (s. Taf. Ⅲ, Fig. 2), sodann H. de Keyser (s. Taf. Ⅲ, Fig. 3). Martin van den Bogaert, aus Breda gebürtig, übertrug die niederländ. Kunstweise nach Paris; endlich die mit Vorliebe in Elfenbein arbeitenden Meister Gerard van Opstal aus Antwerpen (gest. 1663) und besonders Francis von Bossuit aus Brüssel, dessen Hauptstärke in anmutigen Frauen- ^[folgende Seite]