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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Nil

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Nil'

el-Kerun aufnimmt. Für die geregelte Wasserverteilung des Nilwassers ist dieses natürliche Reservoir von der größten Bedeutung. Im NW. von Kairo, 19,7 km davon entfernt, in 10,7 m Meereshöhe, beginnt das am Meere 270 km breite Delta, durch welches zahllose Wasserarme und Kanäle das Nilwasser zum Meere führen. Der 1000 m breite Strom teilt sich unterhalb Schubra in verschiedene Arme, deren die Alten sieben zählten (der pelusische, tanitische, mendesische, bukolische oder phatnitische, sebennytische, bolbitinische und kanopische), während jetzt nur zwei wirkliche flußartige Mündungsarme vorhanden sind, nämlich der von Rosette oder Raschid und der von Damiette oder Damyat. Der kanopische und pelusische, ganz am Ost- und Westrande des Deltas mündend, waren im Altertum die Hauptmündungen, ihre Wasser haben sich aber neue Betten gesucht; der pelusische mündet jetzt durch den phatnitischen bei Damiette, und der kanopische durch den von Menschenhand gegrabenen bolbitinischen. Der bedeutendste Kanal ist der dem alten kanopischen Laufe ähnlich gehende Mahmudijehkanal, welcher 77,7 km lang und 30 m breit, den Rosettearm mit Alexandria verbindet; er wurde 1819–20 durch Mehemed Ali hergestellt; der kurze Menufkanal (Bahr el-Farunije) verbindet im S. den Rosette- und Damiettearm; der tanitische Arm ist in den Muis, der pelusische in den Abu el-Menegge-Kanal umgewandelt. Im ganzen wird das 22194 qkm große Delta von 13440 km langen Kanälen durchzogen, welche die Hochwasser aufnehmen können. Die Gesamtlänge des Stroms ist, wenn der Alexandra-Nil als Hauptquellfluß angenommen wird, 5940 km, der direkte Abstand zwischen Quelle und Mündung 4120 km. Sein Stromgebiet bedeckt 2810300 qkm. (S. die Karten: Deutsch-Ostafrika, Äquatorial-Afrika [beim Artikel Afrika] und Ägypten.)

Die Nilerde (Gef) oder der getrocknete Nilschlamm, welcher in Ägypten überall auf Meeressand, also dem Boden eines alten Ästuars, ruht, überragt in steilen Uferwänden bei niedrigstem Wasserstande den Fluß in Oberägypten um 8 m, bei Kairo um 4,5 m. Die Mächtigkeit der Alluvionen beträgt in Ägypten 10–12 m, an der Spitze des Deltas aber 13–16 m. Die Breite des kulturfähigen Schwemmlandes im eigentlichen Nilthal übersteigt nirgends 15 km. In postpliocäner Zeit stellte das heutige Nilthal einen weit landeinwärts sich erstreckenden schmalen Meeresgolf dar, dessen Höhenmarken sich durch Bohrmuschellöcher und Konchylienlager aus jener Zeit in der heutigen Höhenzone von 70 m ü.d.M. an beiden Rändern der das Nilthal begrenzenden Felsabstürze erhalten haben. Der N. überschwemmt nicht direkt seine Thalebene, sondern das kulturfähige Land ist durch Dämme in Bassins zerteilt, in die das Wasser durch Kanäle geleitet wird; sind sie gefüllt, so wird es zu dem unterdes niedriger gewordenen Strome oder zu niedriger gelegenen Abteilungen abgelassen. Das für die Kultur günstigste Mittel des höchsten Wasserstandes (zu Herodots Zeiten 18 Ellen) ist jetzt nach langjährigen Beobachtungen eine Höhe von 7½ bis 8 m am Nilmesser (s. d.) von Roda, die eintritt, wenn das Maximum der Flußschwelle des Weißen und Blauen N. zusammenfällt. An der südlichsten Spitze des Deltas ist der Barrage du N. gebaut, ein Stauwerk in Form von Brücken über die beiden Nilarme, von Mougel, dem franz. Ingenieur Mehemed Alis, ausgeführt. Dieser jetzt Kanâtir (d. i. Brücken) genannte Bau sollte ↔ die Wasser zu allen Jahreszeiten aus gleicher Höhe erhalten und die Schöpfmaschinen überflüssig machen. Doch auch nach der Vollendung durch den Engländer Scott 1890 kann das Bauwerk bei weitem nicht das Verlangte leisten. Deshalb beschloß die ägypt. Regierung, durch den Bau eines großen Sammelbeckens oberhalb des ersten Katarakts eine Niveauerhöhung des N. herbeizuführen; doch scheiterte dieser Plan an dem Einsprüche Deutschlands und Frankreichs.

Der N. hieß bei den alten Ägyptern in der heiligen Sprache Jeter-o («Der große Fluß»), koptisch Jero, Jaro, daher auch hebräisch Jeôr. Der griech. Name Neilos ist wahrscheinlich von dem semit. Nahal («Fluß») durch phöniz. Vermittelung hergeleitet worden; wenigstens stammt er ebensowenig aus dem Ägyptischen wie die dem Lande gleichnamige Bezeichnung des Flusses Aigyptos bei Homer. Die heutigen Araber nennen ihn Bahr, wie jedes große Wasser, oder auch el-Nil; die anwohnenden Nubier nennen ihn Tossi oder auch Nil-tossi, worunter vornehmlich der volle, überfließende Strom verstanden wird. Der N. wurde von den Ägyptern, später auch von Griechen (Neilos) und Römern (Nilus) göttlich verehrt. Von den erstern wurde er mannweiblich mit Bart und weiblichen Brüsten dargestellt und von blauer Hautfarbe. Man pflegte den obern N. von dem untern durch besondere Blumensymbole zu unterscheiden. Er hatte einen eigenen Tempel zu Nilopolis, und sein Hauptfest wird unter dem Namen Niloa erwähnt. In der griech.-röm. Kunst ist er in der Gestalt eines liegenden Flußgottes bekannt, um welchen 16 Kinder spielen, die 16 Ellen der Nilschwelle symbolisch bezeichnend (die berühmte Kolossalgruppe im Vatikan; s. Flußgötter und Tafel: Griechische Kunst II, Fig. 10).

Nach der ältesten Nachricht, welche wir durch Eratosthenes (200 v.Chr.) haben, kommt der N. aus Seen im S., unter dem Namen Asta-Pus (Weißer N.); dieser vereinigt sich mit dem Asta-Sobas (Blauer N.), und weiterhin fließt ihm der Asta-Boras (Atbara) zu. Ptolemäus, ohne Zweifel auf arab. Nachrichten fußend, teilt mit, daß das Wasser aus zwei Seen komme, welche einige Grade südlich vom Äquator liegen; die Abflüsse beider vereinigen sich in 2° nördl. Br. in einem See; aus diesem fließt der Asta-Pus nach N., welcher sich in 12° nördl. Br. mit dem N. (d. h. offenbar mit dem Strome aus Abessinien) vereinigt. Die arab. Geographen des Mittelalters nennen als Quellgegend der Nilwasser die Komr-Berge. Komr heißt damals die von dem aus Ostasien stammenden Komr-Volke bewohnte, sehr große Komr-Insel, welche östlich zur Seite Afrikas liegt, ein Name, der noch in dem der Comoren erhalten ist. Dieser Insel gegenüber liegt das Komr-Gebirge, und zwar in 2,5° südl. Br. zunächst das Almolattham (jetzt Kilima-Ndscharo oder nach Stanley der Ruwenzori). Die Wasser aus diesen Bergen gehen nach zwei Seen im S. des Äquators; die aus diesen abfließenden vereinigen sich in einem nördlich vom Äquator gelegenen See, und aus ihm kommt der N. Jetzt, wo die Frage nach dem «Haupte des N.», die jahrtausendelang Gegenstand des Erforschens gewesen ist, endgültig gelöst ist, zeigt sich, daß diese ältern Vorstellungen wenig von der Wirklichkeit abweichen, über die neuern Forschungsreisen und die Lösung des Nilproblems s. Afrika (Bd. 1, S. 190).

Vgl. Klöden, Das Stromsystem des obern N. (Berl. 1856); Speke, Die Entdeckung der Nilquellen

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 376.