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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Osmanisches Reich (Kultus und Gerichtswesen); Osmanisches Reich (Litteratur zur Geographie und Statistik); Osmanisches Reich (Zeitungen)

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Osmanisches Reich (Kultus u. Gerichtswesen. Zeitungen. Litteratur zur Geographie)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Osmanisches Reich (Heerwesen)'

Zöglinge aller Idadieh beträgt jetzt 1500, davon 900 in Konstantinopel. Hiernach treten die Schüler in die dreiklassige Kriegsschule (Mekteb-i-Harbije) zu Konstantinopel. Diese Anstalt nimmt 400 Zöglinge auf, die in der Oberklasse lediglich militär. Fachunterricht erhalten, steht unter einem Divisionsgeneral, dem für die Verwaltung und als Studiendirektor je ein Generalmajor beigegeben ist. Aus der Mekteb-i-Harbije gehen jährlich gegen 120 Infanterie- und Kavallerieoffiziere hervor, während gegen 15 für die Artillerie bestimmte Offiziere zunächst noch ein Jahr lang die Artillerie- und Ingenieurschule am Goldenen Horn besuchen müssen.

II. Kriegsmarine. Die Kriegsflotte zählte 1896: 1 altes Panzerschiff II. Klasse und 6 alte Panzerschiffe III. Klasse, ferner 11 alte kleine Küstenverteidigungsfahrzeuge; im Bau waren 1 Panzerschiff I. Klasse und 1 Panzerkreuzer sowie 1 moderner geschützter Kreuzer II. Klasse. 2 moderne Kreuzer IV. Klasse sind fertig, 2 im Bau. Ferner sind vorhanden 21 meist alte Kanonenboote, 2 Torpedokreuzer und 1 im Bau, 3 Torpedobootzerstörer, 4 Torpedoboote I. Klasse, 27 Torpedoboote II. Klasse, 7 Torpedoboote III. Klasse; 8 Transportdampfer, 24 Hafendampfer und Schlepper; 22 kleine Dampfboote; 41 Dampfer und Segelfahrzeuge im Zoll- und Küstenwachtdienst; 4 Schulschiffe, außerdem etwa 50 Hilfskreuzer der Handelsmarine. Der Marineetat betrug 1896 ungefähr 600000 türk. Pfd.

Kultus und Gerichtswesen. Die Ulemâ (s.d.) gliedern sich in drei Klassen: die Kultusdiener, nämlich die Scheichs (Ältesten, die ordentlichen Prediger der Moscheen), die Chatib, die Imâme, die Muezzin, die Mufti, denen die Erteilung der Fetwa obliegt, und die Kâdi. (S. die betreffenden Artikel.) Wer Ulemâ werden will, tritt, nachdem er bis zum 10. oder 12. Lebensjahre eine Elementarschule besucht hat, in eine Medrese ein und erhält hier als Softa Unterricht im Koran und in der pers. und arab. Sprache. Kann er den Koran vollkommen auswendig, so bekommt er den Titel Hâfis (der Behaltende). Nun muß er sich für die theol. oder für die richterliche Laufbahn entscheiden und beginnt das Studium der Logik, Rhetorik, Moral, der Theologie und Rechtswissenschaft. Nach bestandener Prüfung kann er als Kadi angestellt werden. Will er zu den höhern Ämtern gelangen, so ist noch ein siebenjähriges Studium des moslem. Rechts erforderlich. Dann wird er Muderris (Professor). Das geistliche Recht, Scheriat, beruht auf dem Koran, der Sunna (Überlieferung), den Entscheidungen der vier ersten Chalifen und der Sammlung von Rechtssprüchen der großen Imame. Die von dem Scheich Ibrahim Halebi 1549 verfaßte Sammlung solcher Entscheidungen bildet das Civil- und Kriminalgesetzbuch der Türkei. Nach diesem Recht entscheiden die unter dem Scheich ul-Islam stehenden geistlichen Gerichte. Der höchste Gerichtshof ist der Appellhof in Stambul mit zwei Kammern, deren Vorsitz die Kadiasker von Rumelien und Anatolien führen. Jedes Wilajet hat sein Mekkeme unter einem Oberrichter. Unter diesen stehen die Gerichte der Sandschaks und unter diesen die der Kaza.

Seit 1847 giebt es neben den geistlichen auch weltliche Gerichtshöfe. Sie bestehen aus Civilgerichten, Strafgerichten und Handelsgerichten. Sie stehen unter dem Justizminister. Die Handelsgerichte, die sich mit Streitfragen zwischen einheimischen Parteien sowie zwischen Osmanen und ↔ fremden Unterthanen beschäftigen, sind aus einem Präsidenten, zwei Richtern, einem Sekretär, außerdem aber aus zwei kaufmännischen Richtern zusammengesetzt, welche von den fremden Kolonien erwählt werden. Die Entscheidungen der Handelsgerichte erfolgen nach einem dem Code de commerce nachgebildeten Gesetzbuch. Das Strafgesetz und die Prozeßordnung sind den westeuropäischen ähnlich.

Zeitungen. Die erste Zeitung ließ Verninhac, Gesandter der franz. Republik bei Selim III., 1795 zu Pera in franz. Sprache drucken. 1812 erschienen daselbst die Bulletins der Großen Armee. Der eigentliche Begründer des Journalismus in der Türkei wurde Alex. Blacque, der 1825 zu Smyrna den franz. «Spectateur de l'Orient» begann, welcher unter dem neuen Titel «Courrier de Smyrne» 1825–28 großen Einfluß während des griech. Aufstandes übte. Derselbe begründete 1831 zu Konstantinopel den «Moniteur ottoman», das offizielle Journal der Pforte, das seit 14. Mai 1832 auch als «Takim-i-Vakâi» erschien. In den sechziger Jahren machte sich das Bedürfnis einer unabhängigen Tagespresse fühlbar. Ein Preßgesetz fristete nur ein kurzes Dasein; die mißliebige Sprache der griech. Blätter zur Zeit des kretischen Aufstandes (1867) veranlaßte dessen Suspension und setzte an seine Stelle die administrative Willkür. Unter der Aufsicht des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten wurde ein Preßbureau organisiert, das die Tagespresse überwacht, ihr amtliche Mitteilungen zum Abdruck und Instruktionen zur Richtschnur übersendet; für Preßvergehen (die nirgends definiert sind) bestehen Verwarnungen, Suspensionen auf kürzere oder längere Zeit und Unterdrückung. Die wichtigsten Blätter erscheinen in Konstantinopel (s. d., Zeitungen). Unter den Zeitschriften sind zu erwähnen: «Dscheridê-i-Askeriê», Organ des Kriegsministers; «Dscheridê-i-Mehakim», Amtsblatt des Justizministers; «Veka-i-Tabijê», Zeitschrift der kaiserl. Medizinschule, zweimal wöchentlich; «Zira'at» («Landwirtschaft»); «Dscheridê-i-Tabiê-i-Askeriê», militärärztliche Monatsschrift; «Gazette médical d'Orient», mediz. Monatsschrift. In der Hauptstadt jedes Wilajets soll ein amtliches Organ existieren. Daneben halten sich unabhängige Blätter. In Kairo, Alexandria und Smyrna befinden sich auch franz. und engl. Zeitungen.

Litteratur zur Geographie und Statistik. J. von Hammer-Purgstall, Die Staatsverfassung und Staatsverwaltung des O. R.s (2 Bde., Wien 1815–16); Reid, Turkey and the Turks (Lond. 1840); von Moltke, Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei 1835–39 (5. Aufl., Berl. 1891); Rigler, Die Türkei und deren Bewohner (Wien 1852); Ungewitter, Die Türkei in der Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit (Erlangen 1851); Tchihatchef, Lettres sur la Turquie (Brüss. 1859); Lejean, Ethnographie de la Turquie d'Europe (Gotha 1861); Mackenzie und Irby, The Turks, the Greeks and the Slawons (Lond. 1867); Viquesnel, Voyage dans la Turquie d'Europe (Par. 1868); Aristarchi Bei, La légation ottomane (4 Bde., ebd. 1873–75); Synvet, Carte ethnographique de la Turquie d'Europe (Konstant. 1876); von Schweiger-Lerchenfeld, Unter dem Halbmond (Jena 1876); Vámbéry, Sittenbilder aus dem Morgenlande (2. Aufl., Berl. 1877); Murad Efendi, Türk. Skizzen (2 Bde., Lpz. 1878); von Hellwald und Beck, Die heutige Türkei

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 680.