Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Osmanisches Reich (Geschichte)'
20. Sept. den Titel als Fürst von Nord- und Südbulgarien an, und wenn ihn die Pforte auch in dieser Würde nicht bestätigte, so erkannte sie die
Union doch als vollzogene Thatsache an, indem sie ihn auf Beschluß einer Botschafterkonferenz 25. April 1886 zum Gouverneur von
Ostrumelien ernannte. Auch nach dem Sturz des Fürsten Alexander beobachtete die Pforte große Zurückhaltung. Der von der Sobranje 7. Juli
1887 zum Fürsten von Bulgarien gewählte Prinz Ferdinand von Coburg wurde zwar nicht offiziell bestätigt, aber doch geduldet. Wegen des
Machtzuwachses, den Bulgarien gewonnen, hatte auch Griechenland neue Forderungen erhoben. Es verlangte die Linie Salamvria-Kalamos
als nördl. Grenze und traf kriegerische Anstalten, während die Pforte entschieden alle Zugeständnisse ablehnte und die Großmächte
aufforderte, Griechenland zur Abrüstung zu veranlassen. Es bedurfte jedoch erst einer Flottendemonstration der Großmächte,
um Griechenlands Nachgiebigkeit zu erzwingen. Inzwischen gab es in Kreta neue Konflikte. Im Juli 1887 fanden in Kanea blutige
Zusammenstöße zwischen Christen und Mohammedanern statt, zu deren Beendigung die fremden Konsuln allen ihren Einfluß aufboten.
Mahmuda Dschellal-eddin Pascha wurde in besonderer Mission nach Kreta geschickt und verkündigte einige Zugeständnisse zu Gunsten der
Christen. Danach sollte die Zahl der christl. Beamten in allen Zweigen der Verwaltungen vermehrt werden und die Hälfte der Zolleinnahmen
der Insel dem Budget derselben zufließen. Die so wieder hergestellte Ruhe war nicht von langer Dauer. Schon im Aug. 1889 brach ein neuer
Zwist zwischen der christl. und der mohammed. Bevölkerung der Insel aus, den die Pforte diesmal jedoch im Einverständnis mit allen
Großmächten energisch zu unterdrücken wußte.
Durch die Begünstigung, die die Pforte der bulgar. schismatischen Kirche zu teil werden ließ, indem sie im Juli 1890 in Macedonien drei bulgar.
Bischöfe einsetzte, veranlaßte sie den Widerspruch des Vertreters der griech.-orthodoxen Kirche, des ökumenischen Patriarchen in
Konstantinopel, der sogar so weit ging, alle griech. Kirchen im Reiche schließen zu lassen. Seinen Zweck erreichte er dadurch nicht und sah
sich genötigt, diese Maßregel bald wieder zurückzunehmen. Mit Deutschland, dessen gute Beziehungen zum O. R. schon 1889 durch einen
Besuch des deutschen Kaiserpaares in Konstantinopel gekennzeichnet wurden, schloß die Pforte 1890 auf 21 Jahre einen Handelsvertrag;
Rußland erlangte 1891 ein wichtiges Zugeständnis in der Dardanellenfrage (s. Dardanellen), wonach es den Schiffen der
sog. Freiwilligen Flotte, wenn sie die Handelsflagge führen, gestattet sein soll, die Dardanellen zu passieren. Diese Angelegenheit bildete
wahrscheinlich den Anlaß zum Sturz des Großwesirs Kiamil Pascha, der nicht geneigt war, den Russen diese Konzession zu machen; an
seine Stelle trat im Sept. 1891 der bisherige Generalgouverneur von Kreta, Dschewad Pascha (s. d.), dessen
Amtsführung eine fortschrittliche Tendenz zeigte, indem er durch Gründung von Schulen, meist nach franz. Muster, für Hebung der Bildung zu
sorgen und durch den Bau von Eisenbahnen (s. oben und
Orientalische Eisenbahnen) den Verkehr zu beleben suchte. Aber auch ihm gelang es nicht, die immer wachsenden
Schwierigkeiten zu besiegen, ein aus den verschiedensten Nationalitäten und Religionsgemeinschaften ↔
zusammengesetztes Reich zu regieren und die allerorten sich regenden Decentralisationsbestrebungen niederzuhalten. Aufstände, die seit
1890 und heftiger noch 1892 in der Provinz Jemen ausbrachen, endeten nach längern Kämpfen zunächst mit der Niederwerfung des
rebellischen Beduinenstammes. Mit mehr Erfolg trat 1895 der Usurpator Said Mohammed Jahja Hamidaddin auf, der die Herrschaft über ganz
Jemen beanspruchte und großen Anhang fand, so daß der Kampf voraussichtlich mit einer bedeutenden Einschränkung der türk. Machtsphäre
enden wird. In Kreta erhob sich 1894 eine neue Bewegung. Man verlangte die Ernennung eines christl. Gouverneurs und die Wiedereinberufung
der Nationalversammlung, welche beiden Privilegien durch die Erhebung 1889/90 verloren gegangen waren. Blutige Ausschreitungen, die sich
türk. Truppen Mai 1896 zu schulden kommen ließen, führten zu offenem Aufstande eines großen Teils der Insel. Die Folge davon war die
Einmischung der Großmächte, die den Sultan endlich veranlaßten, durch einen Irade vom 1. Sept. den Kretensern eine Art Autonomie zu
gewähren. Danach soll die Insel von einem christl. Generalgouverneur regiert werden, der vom Sultan mit Genehmigung der Mächte auf 5
Jahre ernannt wird. In Macedonien suchte die slaw. Bevölkerung seit der Annexion von Ostrumelien 1886 gleichfalls polit. Anschluß an
Bulgarien, nachdem die Pforte 1890 durch Errichtung bulgar. Bistümer in die religiöse Vereinigung bereits gewilligt hatte. Gleichzeitig aber
suchte sich auch die weniger zahlreiche griech. Bevölkerung des Landes an das Königreich Griechenland anzuschließen, und so kam es im
Sommer 1895 in der Umgegend von Saloniki mehrfach zu bewaffneten Erhebungen, die sich im Laufe des Jahres 1896 wiederholten. Die
größte Verlegenheit aber bereitete der Pforte die Erhebung der Armenier. Schon auf dem Berliner Kongreß (1878) hatte sich die Pforte
verpflichtet, in Armenien Reformen einzuführen und die christl. Armenier gegen die Gewaltthaten der Kurden zu schützen. Von alledem
geschah jedoch so viel wie nichts, und das Beispiel der slaw. Völker der Balkanhalbinsel verbreitete auch unter den Armeniern die Idee einer
Befreiung vom türk. Joch und eines selbständigen armenischen Staates, die namentlich von einer
association angloarménienne genährt wurde. Im Herbst 1894 kam das schon lange glimmende Feuer
zum Ausbruch. Heftige Kämpfe fanden im Wilajet Bitlis zwischen Armeniern und Kurden statt und setzten sich im folgenden Jahre fort, wobei
die ärgsten Grausamkeiten verübt wurden. Nach mehrern kleinen Scharmützeln kam es 8. Okt. 1895 in Trapezunt zu einem großen Gemetzel,
dem viele Hunderte von Armeniern zum Opfer fielen. Dies veranlaßte endlich die Großmächte zum Einschreiten, und auf ihr Drängen
entschloß sich der Sultan zu der Zusage von Reformen, deren Kern darin bestand, daß jedem Mutessariff (Gouverneur) ein christl. Adjunkt zur
Seite gestellt und die Gendarmerie nach dem Prozentsatz der Bevölkerung aus den Anhängern beider Religionen gebildet werden sollte.
Durch die armenische Bewegung erhielt auch in Syrien der Christenhaß neue Nahrung, und wie gewöhnlich benutzten die Drusen die
allgemeine Gärung zu einem Aufstande, der die Pforte nötigte, Truppen nach dem Hauran zu senden. Doch gelang es ihnen schon nach
einigen Gefechten, der Bewegung Herr zu werden. Dasselbe Jahr brachte auch einen Aufstand in Jemen (s. d.).
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 688.