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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Papier

die Erfindung des geschliffenen Holzstoffs von Keller und Voelter 1847, die chemisch gewonnene Natroncellulose, Methode von Houghton 1857, die Sulfitcellulose von Tilghman 1869 und Mitscherlich 1873, die Verarbeitung von Esparto oder Halfa, Methode von Routledge, die Strohmethode von Bouveret.

Die Papierfabrikation besteht im wesentlichen darin, daß man den mechanisch und chemisch gereinigten und in sehr feine Fäserchen zerteilten Stoff in Wasser suspendiert, ihn in gleichmäßig dünnen Schichten ausbreitet, das Wasser ablaufen läßt und den Rest durch Auspressen und Trocknen entfernt.

A. Rohmaterialien. Das beste Material liefern die Lumpen, Hadern oder Strazzen von gebrauchten Leinen- und Baumwollstoffen. Da diese jedoch bei dem enormen Papierverbrauch nicht in genügender Menge zu beschaffen sind, hat man zu den verschiedenartigsten Ersatzstoffen gegriffen. Die hauptsächlichsten derselben sind Holz (s. Cellulose und Holzstoff) und Stroh von Getreide und Hülsenfrüchten, außerdem rohrartige Pflanzen, Heu, Binsen, Brennesseln, Disteln, Ginster, Seidelbast, Rinde von Akazien, Linden und Ulmen, Hanfstengel, Mohnstengel, Baumblätter, Quecken, Farnkraut, Papyrus-, Bambus-, Maulbeerbaumbast, rohe Baumwolle, Zuckerrohr, Palmen, Agave, Aloe, Halfa, Pifang, Jute, Sabaigras, Yucca, Wolle, Seide, Leder, Amiant, Torf und Kartoffelrückstände.

B. Vorbereitende Prozesse. Die Verarbeitung der Lumpen geschieht durch Zerschneiden, Dreschen, Kochen, Laugen und Mahlen. Vor dem Zerschneiden werden dieselben sortiert, wobei Nähte aufgetrennt oder aufgeschnitten, Knöpfe, Haken und Ösen entfernt werden; dies geschieht durch Handarbeit. Das Schneiden erfolgt entweder von Hand oder mit Maschinen. In ersterm Fall dienen hierzu auf einer Tischplatte senkrecht befestigte sensenförmige Messer; im zweiten Fall kommen Hadern- oder Lumpenschneider (s. Tafel: Papierfabrikation I, Fig. 1, nach Ausführung von J. M.^[Johann Matthäus] Voith in Heidenheim) zur Anwendung, bei welchen die Lumpen von Messern, die am Umfang einer Scheibe befestigt sind, zerschnitten werden. Man hat auch Lumpenschneider mit auf- und abgehenden Messern (sog. Guillotineschneider). Von den Lumpenschneidern gelangen die Lumpen in den Lumpendrescher oder Hadernstäuber, auch Lumpenwolf genannt, worin sie zwischen zwei mit Stiften besetzten Cylindern kräftig geschleudert werden, so daß Staub und Unreinigkeiten entfernt werden; der folgende Reinigungsprozeß ist meist ein chemischer und besteht in einem Kochen der Hadern mit Lauge von Kalk, Soda oder Pottasche.

Der hierzu am meisten angewendete Apparat ist der nach dem Erfinder benannte Donkin-Kocher (s. Taf. I, Fig. 4); derselbe hat Kugelform und ist so gelagert, daß er in langsame Drehung versetzt werden kann. Durch die hohlen Zapfen kann die Kochlauge und der Heizdampf zugeführt, am Ende jedes Kochprozesses die schmutzige Lauge abgelassen werden. Der Kessel wird durch die auf beiden Seiten der Kugel angebrachten Öffnungen gefüllt, die während des Siedens durch Deckel verschlossen werden. Dieser Apparat wird so groß gebaut, daß er mindestens 1000 kg Lumpen aufnimmt. Durch das Laugen werden die Fasern vollständig von Schmutz und Fett, nahezu vollständig auch von den Farbstoffen befreit. In manchen Fabriken wendete man früher als Halbzeugvorbereitung das Fäulen, Macerieren oder die Fermentation an, bei welcher durch Einweichen der Hadern in Wasser eine faulige Gärung hervorgerufen wurde, um die Gewebfaser mürbe und somit teilbarer zu machen.

Nach dem Reinigen erfolgt die Zerkleinerung der Lumpen und zwar in zwei Abschnitten, deren erster eine Auflösung der Lumpen zu einzelnen Fasern, zu sog. Halbzeug, und deren zweiter eine Auflösung der Fasern zu Ganzzeug bezweckt. Zur Darstellung des Lumpenhalbzeugs bedient man sich entweder des deutschen oder des holländischen Geschirrs. Ersteres besteht aus einem Stampfwerk von vier oder fünf Stampfen oder Hämmern, die durch Hebedaumen gehoben werden und bei ihrem Niederfallen die Lumpen zerkleinern. Diese Bearbeitung liefert ein langfaseriges, verhältnismäßig starkes P.; sie wird jetzt nur noch für einzelne, besonders gute Papiersorten angewendet. Das Holland. Geschirr bewirkt die Zerteilung der Lumpenschneller, erfordert aber größere bewegende Kraft und führt leicht eine zu starke Verkürzung der Fasern herbei. Der Holländer (s. Taf. I, Fig. 2) besteht aus einem länglichen Trog aus Gußeisen. In zwei Docken der langen Seiten ist in senkrechten Einschnitten je eine Art Balken (Hebelade) angebracht, welche die metallenen Lager für die Zapfen einer eisernen Achse tragen, die durch einen Treibriemen in Drehung versetzt wird. Auf der Achse befindet sich eine aus Eichenholz oder Eisen gefertigte Walze; dieselbe ist mit 16-24 längslaufenden Schienen versehen, deren jede drei Messer trägt, die an den Stirnseiten der Walze durch eiserne Ringe befestigt sind. Zum Höher- oder Tieferstellen der Walze sind die Hebeladen durch Schrauben stellbar. Der Innenraum des Holländers ist durch eine Scheidewand derart geschieden, daß ein in sich zurücklaufender Kanal entsteht. Der hölzerne Boden ist so geformt, daß die durch die Walze in Bewegung gesetzte Masse, bevor sie unter diese gelangt, sanft ansteigen, sodann eine dem Walzenumfang konzentrische Wölbung des Bodens passieren muß, um jenseit derselben wieder hinabzugleiten. Wo die gerade Ansteigung des Bodens in den Kreisbogen übergeht, befindet sich, in eine Vertiefung des Kropfes eingelassen, das Grundwerk, eine Vereinigung von 12 bis 20 oben geschürften Messern; die Walze ist, um das Verspritzen des Zeugs zu verhindern, mit einem kastenförmigen Dach, dem Verschlag oder der Haube, bedeckt. Beim Beginn der Arbeit ist die Walze hoch gestellt, so daß die Lumpen nicht gemahlen, sondern nur gewaschen werden; später stellt man so tief ein, daß die Messer der Walze diejenigen des Grundwerkes fast berühren. Wird der Holländer als Waschmaschine verwendet, so erhält er außer der Messertrommel noch eine Waschtrommel, wie in Taf. I, Fig. 2. Bei neuern Holländern läßt man den Stoff behufs Raumersparnis in senkrechter Bahn umlaufen und fügt zu seiner Bewegung besondere Organe ein, wodurch Kraft gespart wird. In einem besondern Holländer (Bleichholländer) wird dem Halbzeug, um es zu bleichen, Chlor zugeleitet; nachher wird die Feuchtigkeit durch Abtropfkästen, hydraulische Pressen, Walzen oder Centrifugen aus dem Zeug entfernt. Das gebleichte Zeug behält leicht Spuren von Chlor zurück, die durch langes und wiederholtes Waschen oder durch Behandlung mit Antichlor (s. d.) entfernt werden.