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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Persien (Bevölkerung. Erwerbszweige)

Kamel und Pferd spielen hier die wichtige Rolle wie in Arabien. Zu den wilden Tieren, welche die Wüste beleben, zu Gazelle, Löwen, Hyäne, Schakal u. s. w., gesellen sich noch der die tropische Hitze meidende Bär und der Büffel. Die Vögel sind durch 189 Arten vertreten, von denen 127 mit europäischen identisch oder höchstens als vikariierende Rassen zu betrachten sind. Reptilien, besonders Eidechsen, sind zahlreich, desgleichen bodenliebende Käfer, Spinnen und Geradflügler; wandernde Heuschrecken verwandeln auch hier die wenigen Kulturgegenden zuweilen in Wüsten. Gefürchtet sind die Saumzecken (s. d.). Schmarotzerwürmer suchen den Menschen häufig heim, unter anderm der Medinawurm.

Bevölkerung. Die Bewohner (s. Tafel: Asiatische Völkertypen, Fig. 13, Bd. 1, S. 984), deren Gesamtzahl jetzt auf etwa 9 Mill. geschätzt wird, teilen sich in zwei Hauptmassen: Ansässige (Tadschik) und Nomaden (Ilat oder Ilyats). Die Tadschik, die mit verschiedenem fremdem Blute vermischten Nachkommen der alten Perser, Meder und Baktrier, bilden, wie in Ostiran und in Turan, die Hauptmasse der seßhaften, Ackerbau, Gewerbe und Künste treibenden Einwohnerschaft und sind Schiiten. Auch hier, in ihrem Stammlande, sind sie Beherrschte und infolge dieser langen Knechtung im Rückgang, trotz ihrer besondern Begabung, Arbeitsamkeit, Formsinns und Lebhaftigkeit, weil die durch Geiz und Falschheit berüchtigte herrschende Klasse auf sie drückt. Zu ihnen in ethnolog. Beziehung sind auch die feueranbetenden Parsen oder Gebern zu rechnen, die in den Provinzen Kerman und Farsistan, namentlich aber um Jesd leben; ferner die nomadisierenden Luren (234000) in Chusistan und den angrenzenden Gegenden von Kurdistan und Farsistan; endlich die Kurden (675000) in Kurdistan, Aserbeidschan und Chorassan. Ilat, d. h. die Stämme, werden die zahlreichen (2 Mill.) meist türk. Stämme genannt, die von Westen und Norden zu den verschiedensten Zeiten ins Land gekommen sind und welche mit ihren Herden im Sommer auf den Gebirgsrändern, namentlich den nördlichen, umherziehen, im Winter tiefere Quartiere beziehen und am zahlreichsten in Masenderan und Aserbeidschan sind. Nur ausnahmsweise betreiben sie Ackerbau oder Gewerbe. Sie sind zumeist Sunniten. Außer diesen beiden Hauptmassen giebt es noch 260000 Araber, die in den südl. Provinzen als Nomaden, Räuber und Fischer leben; ferner eine Anzahl Juden (19000), Armenier (43000), hauptsächlich in den nordwestl. Provinzen, christl. Nestorianer (23000) am Urmiasee, Türken und Zigeuner (20700). Der Charakter des Persers zeigt Lügenhaftigkeit, außerordentlich leichte Auffassungsgabe, aber Unbeständigkeit, wenig persönlichen Mut (die Kerntruppen des Heers sind türk.-tatar. Stammes) und Lebhaftigkeit des Geistes bei stets gemessener Ruhe. Das Talent zur Erlernung fremder Sprachen ist bemerkenswert, ebenso sein Geschick für schwierige Kleinarbeit. Vor allem liebt der Perser seine schöne Sprache; wohl in keinem Lande ist der Sinn für Poesie und Kenntnis der großen einheimischen Dichter so tief ins Volk gedrungen. Stolz ist der Perser dem Europäer gegenüber auf die vieltausendjährige, machtvolle Vergangenheit seines Vaterlandes, wenn er auch nur eine Reihe wertloser Sagen und Legenden kennt. Die Religion des Islam ist ihm reine Formsache, sie hat den Widerstand einer uralten seßhaften Kultur nie ganz überwinden können. Noch jetzt rechnet der pers. Staatshaushalt sowohl wie die ackerbautreibende Bevölkerung nach dem Sonnenjahre, das größte Fest ist das der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, welches noch mit uralten Gebräuchen aus der Zeit des Sonnenkultus begangen wird.

Erwerbszweige. Zuckerrohr wird in Masenderan und Chusistan gebaut, Baumwolle gedeiht bis zu 2000 m besonders um Ispahan, Kerman, Jesd sowie im Norden. Opium wird jetzt stark angebaut, besonders in Kermanschah, Burudschad, Ispahan, Iesd, Kerman, Schiras. Die kaspischen Provinzen sind Sitz des Seidenbaues, ferner auch Chorassan. Wein kann bis 2300 m Höhe gezogen werden; die Trauben werden frisch oder getrocknet verbraucht. Armenier und Juden keltern den Wein. Obst wird in ganz P. in gebirgigen Distrikten gezogen, besonders Aprikosen, Birnen, Pfirsiche, Pflaumen, Pistazien, im Süden Quitten, Orangen, Citronen, Mandeln, Granatäpfel, Feigen sowie Datteln, namentlich im Südosten. Obst wird getrocknet nach Rußland exportiert. Der Ölbaum gedeiht am Sefid-rud. Ferner sind Safran, Indigo, Henna zu erwähnen, Droguen und Nutzholz mannigfaltiger Art, letzteres aber nur in den regenreichern Landstrichen. Roggen ist nur im Gebirge zu finden, Gerste dient als Pferdefutter, Hafer fehlt. Reis ist das Hauptnahrungsmittel; er gedeiht bis 1250 m Höhe, besonders an den Flüssen und in den kaspischen Provinzen. Von besonderer Wichtigkeit ist der Tabakbau. Die ganze orient. Welt ist auf den pers. Tabak (tombaku) für ihre Wasserpfeifen angewiesen. Auch der türk. Tabak (tutun) wird in den nördl. Provinzen mit Erfolg angebaut. Die Einführung eines Tabakmonopols ist an dem Widerstande der Bevölkerung, namentlich der Geistlichkeit, gescheitert. Die Viehzucht ist die Hauptbeschäftigung des nomadischen Teils der Bevölkerung, besonders erstreckt sie sich auf Schafe in Kurdistau, Kerman, Chorassan, Luristan, ferner auf Ziegen, weniger auf Rindvieh, für welches das Futter meist zu spärlich ist. Pferde sind seltener, Esel, Maultiere sehr zahlreich, ebenso Kamele. Fischerei wird an der kaspischen Küste getrieben, Perlenfischerei im Persischen Golf; Bergbau ist schwach entwickelt, doch hat P. viel Steinsalz, Naphtha, Schwefel, auch Steinkohle im Elburs, ferner Blei und Knpfer. Die Türkisgruben von Nischapur in Chorassan sind wichtig. An Industrie besteht Filz- und Flanellarbeit, Porzellan-, Steingut-, Lederfabrikation, Shawl-, Teppich- und Seidenweberei sowie Waffenverfertigung. Von der Regierung und den Großen des Reichs nicht unterstützt, bringt Gewerbe und Kunst keinen lohnenden Erwerb mehr, da die Konkurrenz mit den eingeführten europ. Waren unmöglich ist, für die der Perser große Vorliebe zeigt. Daher kommt es, daß die ehemals berühmten Erzeugnisse der Seiden-, Sammet- und Teppichweberei jetzt in geringer Qualität und großer Menge eingeführt werden. Es ist möglich, daß die Entwertung des Silbers (Einfuhrverbot 1894), wodurch P. viel an Kaufkraft Europa gegenüber verloren hat, der eigenen Industrie zu gute kommt. Die meisten europ. Staaten haben mit P. Meistbegünstigungsverträge abgeschlossen, welche auf dem russ. Traktat von Turkmanschai basiert sind, wonach europ. Waren 5 Proz. des Wertes an Eingangszoll zahlen.