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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Portugal (Geschichte)

Hauses Bragança, und in derselben Session ward die Todesstrafe abgeschafft. Am 7. April 1865 kam ein neues Kabinett unter Marquis de Sá da Bandeira zu stande, das jedoch schon 1. Sept. einem Ministerium unter Vorsitz des Staatsrats d’Aguiar den Platz räumte. Um den jährlichen Deficits abzuhelfen, wurde die Einführung einer Konsumtionssteuer von den Kammern beschlossen und eine Vorlage über Verwaltungsreform und ein neues Civilgesetzbuch angenommen. Die Neuerungen im Steuerwesen und in der Verwaltung erregten vielfach Unzufriedenheit, und es brachen an verschiedenen Orten Unruhen aus. Als auch in Lissabon 2. Jan. 1868 eine ernsthafte Volksbewegung sich kundgab, reichte d’Aguiar seine Entlassung ein. Sein Nachfolger, Graf d’Avila, legte den Cortes zwei Gesetzentwürfe vor, welche die Wiederaufhebung der vorjährigen Verwaltungs- und Steuerreformen bezweckten, und da die Majorität sich darauf nicht einlassen wollte, wurden die Kammern aufgelöst (14. Jan.) und die neuen Gesetze suspendiert. Die Neuwahlen ergaben eine Majorität für das Ministerium, und die 15. April eröffneten Cortes bewilligten ihm die erbetene Indemnität. Nun galt es, das Deficit auf anderm Wege zu decken. Die Regierung beantragte den teilweisen Verkauf der Staatswaldungen, den Verkauf und die Konvertierung des Eigentums der Kirchen und Korporationen sowie verschiedene Zollerhöhungen. Jedoch diese Finanzvorschläge stießen auf Widerspruch, und als König Ludwig sich weigerte, abermals eine Cortesauflösung zu verfügen, nahm das Ministerium d’Avila seinen Abschied (14. Juli), worauf der Marquis de Sá da Bandeira ein neues Kabinett bildete, unter dessen Verwaltung durch ein königl. Dekret vom 26. Febr. 1869 die Aufhebung der Sklaverei in den Kolonien erfolgte. Als de Sá da Bandeira 10. Aug. vor einem Tadelsvotum der Pairskammer zurücktrat, folgte ein Ministerium unter dem Vorsitz des Herzogs von Loulé. Dieser hatte mit den Intriguen des Herzogs von Saldanha zu kämpfen, der sogar, nachdem er die Besatzung Lissabons für sich gewonnen hatte, 19. Mai 1870 den königl. Palast überfiel und den König nötigte, ihn zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Ader auch das Ministerium Saldanha war nicht von Bestand, und 30. Aug. folgte ein Kabinett unter de Sá da Bandeira, 29. Okt. 1870 ein zweites unter d’Avila. Dieses machte nach Jahresfrist einem Ministerium der sog. Regenerationspartei Platz, worin der Staatsrat de Fontes Pereira de Mello den Vorsitz und die Finanzen übernahm, 13. Sept. 1871. Das Ministerium Fontes widmete seine Kraft vorzugsweise der Reform der Verwaltung und der Herstellung des Gleichgewichts bei den Finanzen; doch war das jährliche Deficit nicht zu beseitigen. Dies gab den Progressisten Gelegenheit, das Kabinett zu stürzen, worauf 6. März 1877 ein Koalitionsministerium gebildet wurde, an dessen Spitze der Marquis d’Avila e Bolama stand. Während das vorige Kabinett für die Zwecke des Verkehrs und des Handels bedeutende Ausgaben gemacht hatte, wollte das neue auch auf diesen Gebieten Sparsamkeit eintreten lassen, um endlich das Deficit zu bewältigen. Da ihm dies nicht gelang, so ward es 26. Jan. 1878 durch ein Mißtrauensvotum gestürzt, worauf Fontes da Pereira ein neues, auf die Regeneradores sich stützendes Kabinett bildete, das aber gleichfalls 29. Mai 1879 seine Entlassung nahm.

In dem aus der liberalen Opposition hervorgehenden neuen Kabinett übernahm Braamcamp, der Führer der sog. Historiker, das Präsidium und das Auswärtige. Die Kammer, deren konservative Mehrheit 3. Juni 1879 ein Mißtrauensvotum gegen das Ministerium beschloß, wurde aufgelöst und 19. Okt. Neuwahlen vorgenommen. Mit England, dem bereits 1878 der freie Warentransport durch das portug. Gebiet der Delagoabai in Südafrika nach oder von Transvaal zugestanden war, wurde 1879 der Lorenzo-Marquez-Vertrag geschlossen, worin den Engländern der Bau einer engl. Eisenbahn von Lorenzo-Marquez nach Pretoria gestattet ward. Dieser Vertrag wurde von der öffentlichen Meinung als eine Preisgebung portug. Gebietes angesehen; Protestversammlungen und tumultuarische Auftritte fanden statt, worauf das Ministerium Braamcamp 23. März 1881 seine Entlassung eingab. An seine Stelle trat das liberale Kabinett Sampajo, das aber schon 11. Nov. seine Entlassung nehmen mußte.

In dem neuen, entschieden konservativen Kabinett vom 14. Nov. 1881 übernahm de Fontes die Präsidentschaft, die er auch behielt, als 25. Okt. 1883 die meisten andern Minister austraten. Am 27. Dez. 1884 legte die Regierung den Entwurf eines Zusatzes zur Verfassung von 1826 vor, wonach die Pairskammer künftig aus 100 vom König auf Lebenszeit ernannten und 50 durch das Volk gewählten Mitgliedern zusammengesetzt sein sollte; ferner sollte das auf dem Grundsatz des Vermögenscensus beruhende Wahlrecht für die Abgeordnetenkammer (Cortes) erweitert werden.

Von großer Wichtigkeit für P. waren die Verhandlungen über das Kongogebiet. Um sich seine souveräne Stellung daselbst zu erhalten, schloß P. 26. Febr. 1884 in London einen Vertrag mit Großbritannien, der den untern Kongo ausschließlich in die Hand der Portugiesen und Engländer bringen sollte. Da aber namentlich Deutschland und Frankreich gegen diese Abmachung Protest erhoben, so wurden diese Streitfragen einer nach Berlin berufenen sog. Kongokonferenz (s. d.) überwiesen. Zugleich wurden 1885 die Grenzverhältnisse mit dem neubegründeten Kongostaat geregelt. Am 16. Febr. 1886 nahm das konservative Ministerium Fontes, weil es mit einer Zollerhöhung bei den Cortes nicht durchdringen konnte, seinen Abschied, und an seine Stelle trat ein fortschrittliches Kabinett unter der Präsidentschaft Luciano y Castros. Am 30. Dez. wurde ein Vertrag P.s mit Deutschland zur Abgrenzung der Kolonialgebiete in West- und Ostafrika abgeschlossen und Ende Juli 1887 diese Verträge sowie andere mit dem Kongostaate und Frankreich getroffene Grenzabmachungen von den Cortes genehmigt. Das Nationalgefühl erwärmte sich immer mehr für die Neubelebung der alten Kolonialpolitik P.s in Afrika, und das ganze Land jubelte König Karl I. zu, als er bei seinem Regierungsantritt, nach dem 19. Okt. 1889 erfolgten Tode König Ludwigs, feierlich erklärte, die portug. Ansprüche überall behaupten zu wollen. Um so bitterer wurde es daher empfunden, als England 11. Jan. 1890 das Ministerium durch ein Ultimatum zwang, den Major Serpa Pinto aus dem sowohl von P. wie auch von England beanspruchten Makolololand (s. d.) zurückzurufen. Das erregte Nationalgefühl führte zu tumultuarischen Auftritten, das Ministerium mußte zurücktreten, und Serpa Pimentel wurde 14. Jan. mit der Bildung eines neuen Kabi-^[folgende Seite]