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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Portugiesische Litteratur

z. B. die "Historia Troiana", und Ritterromane aus dem Artus- oder Gralkreise genügten der weltlichen Leselust. Gedruckt existieren davon nur zwei, die "Estoria de muy nobre Vespasiano" (1495) und die "Cavalleiros da Mesa Redonda" (hg. von C. von Reinhardstoettner, Bd. 1, Berl. 1887). Außerdem machte die Geschichtschreibung ihre ersten Versuche in kurzen Chroniken, wie "Chronica da fundação do moesteiro de São Vicente de Lixboa", und in Adelsbüchern, von denen vier erhalten sind, darunter das "Nobiliario", welches der Sohn des Königs Dom Diniz, Pedro Graf von Barcellos, selbst schrieb oder schreiben ließ. Die ersten Anfänge selbständiger Ritterromandichtung fallen noch ins 14. Jahrh., doch ist das portug. Original des "Amadis" bis auf zwei eingestreute Gedichte verloren oder verschollen. Es ist bestimmt das Werk eines Ritters Lobeira.

II. Periode (1385-1521). Auch in dieser behielt die portug. Poesie den Charakter einer höfischen Kunstlyrik; doch wurde sie in formeller Hinsicht modifiziert und mehr nationalisiert. Die blühende Volkspoesie der Halbinsel verdrängte die künstlichen, aus der Provence importierten Formen gänzlich, neben denen ja übrigens, wie angedeutet ward, selbst in der ersten Periode bereits bei Hofe nationale Lieder und Weisen: "Serranilhas" und "Bailadas", erklungen waren. Die schlichte, volksmäßige Copla, Quadra oder Trova war schon in den epischen Reimgedichten hoffähig geworden: nun ward sie auch von der lyrischen Hof-und Kunstpoesie angenommen und entwickelte und veredelte sich unter der Pflege geschulter Sänger zur Cantiga und zum Vilancete, deren erläuternde Voltas und Glosas bald die Hauptsache wurden. Während in der ersten Periode aber zahlreiche Castilianer u. s. w. portugiesisch gedichtet hatten, so bedienten sich jetzt Portugiesen der castilianischen Schwestersprache, besonders seitdem wiederholt span. Fürstinnen zu portug. Königinnen wurden.

Auch jetzt blieb der königl. Hof das Centrum poet. Bildung. Die Mitglieder der königl. Familie erschienen noch fortwährend als die Choragen eines höfischen Sängerkreises, von welchem neben der Lyrik mitunter auch die Didaktik gepflegt wurde. Daß König Pedro, der Gemahl der Ines de Castro, unter die Dichter zu zählen ist, ist freilich unrichtig. Vier Lieder, die man ihm lange Zeit zuschrieb, sind die Arbeit des 1404 als König von Aragon gestorbenen Connétable Dom Pedro, eines Enkels des Königs Johann I. Doch steht es außer Frage, daß die von dem ersten burgund. Fürstenhause geübte und beschützte höfische Minnepoesie durch den Schutz

und die Pflege auch des zweiten, dessen Stifter Johann I. war, eine Nachblüte trieb. Der König Duarte, Johanns Bruder, der vielgereiste Infant Dom Pedro und dessen Sohn, der schon genannte Connétable Dom Pedro, sind besonders hervorzuheben. Nicht minder waren die Könige Alfons V., Johann II. (1481-95) und Emanuel (1495-1521) große Freunde und Gönner der Poesie, welche einen reichen Dichterhof um sich versammelten. Unter ihre Regierung fällt die Glanzperiode jener neuen portug. Hof- und Konversationspoesie, welche an Garcia de Resende, der selbst Dichter war, einen fleißigen Gammler und Ordner gefunden hat. Das von ihm angelegte und herausgegebene "Allgemeine Liederbuch" ("Cancioneiro geral", Lissab. 1516; neu hg. von Kausler in der "Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart", 3 Bde., Stuttg. 1846-52) enthält Gedichte von mehr als hundert der bedeutenden: portug. Dichter aus der zweiten Hälfte des 15. und den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrh. Die vorwiegend in portug., doch auch in span. Sprache abgefaßten Gedichte sind zum kleinern Teil ernsten, zum größern Teil heitern Inhalts. Die ernste Gattung wird vorwiegend vertreten durch geistliche Lieder, moralphilos. Abhandlungen, Erzählungen histor. Ereignisse und patriotische Klagelieder. Durch Dante beeinflußte Träume, Visionen und Höllenfahrten sowie Nachbildungen Ovidscher Heroiden bilden dann den Übergang zu den bisweilen elegischen Liebesliedern. In der heitern Gattung finden sich, nicht selten in Form von Gesellschaftsdichterspielen, an denen sich viele Herren und Damen beteiligten, harmlose Scherze, aber auch grobkörnige Satiren, Verwünschungen, Fragen, Ratschläge, Bittschriften, Geständnisse, Glückwünsche. Die span. Langzeile (de arte mayor) und die peninsularen trochäischen Kurzzeilen sind die bevorzugten Versmaße. Durch individuellere Färbung ihrer Gedichte zeichnen sich aus: Joäo Rodrigues de Sá e Menezes, Dom João de Meneses, Dom João Manoel, Fernam de Silveira und Alvaro de Brito. (Vgl. Bellermann, Die alten Liederbücher der Portugiesen, Berl. 1840, und Th. Braga, Poetas Palacianos, Oporto 1872.)

Epochemachend sind von allen in diesem Liederbuche vertretenen Dichtern nur vier geworden, die zugleich zur dritten Periode hinüberführen: Christovam Falcao, Bernardim Ribeiro, Gil Vicente und Sa de Miranda. Von Christovam Falcão oder "Crisfal", wie er sich zu nennen pflegte, giebt es, außer kleinen Gedichten, nur eine einzige Ekloge "Crisfal" (neueste Ausg. Oporto 1894). Diese eine aber ist die älteste Idylle und um ihres dichterischen Wertes willen von großer Bedeutung. Sie erzählt in volkstümlichen schlichten Kurzzeilen mit der liebenswürdigsten Anmut das selbsterlebte Liebesleid des Autors. Auch Bernardim Ribeiros Eklogen (neueste Ausg. 1890) haben noch ganz nationale Formen und lokalmäßige Färbung. Bekannter als durch diese bukolischen Gedichte ist er durch den sentimentalen, halb Schäfer-, halb Ritterroman in Prosa, "Saudades" genannt, welchem das Volk nach seinen Anfangsworten den Titel "Menina e moça" (Lissab. 1559; neueste Aufl. 1891) gab. Er ist der eigentliche Begründer dieser beiden, von den Portugiesen vorzugsweise kultivierten Dichtungsgattungen. Sein Freund und Schüler Sá de Miranda bewegt sich im Cancioneiro geral zwar noch ganz in den altherkömmlichen Formen, später aber wagte er sich an größere Aufgaben; er reformierte die nationale Schule und füllte die abgebrauchten heimischen Formen mit neuem Inhalt. Seine Cartas oder Satyras und seine durch und durch volkstümlichen poetischen portug. Eglogas bahnten einem neuen Geist und Geschmack die Wege. Er begegnete daher geringem Widerstand, als er es nach 1526 versuchte, die klassischen ital. Dichtungsformen (Sonett, Canzone, Terzine und Oktave) in Portugal einzuführen. (Vgl. Poesias de Sá de Miranda, hg. von C. Michaelis de Vasconcellos, Halle 1885, und Wolf, Studien zur Geschichte der span. und portug. Nationallitteratur, Berl. 1859.)

Auch die ungebundene Rede ward in dieser Epoche von den Fürsten gepflegt: sie übersetzten und ließen übersetzen, was sie an klassischen Werken in ihren