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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Preußen (Geschichte 1861-88)

nen Gesetz über die Ausschließung der Jesuiten und der ihnen verwandten Orden aus dem Gebiete des Deutschen Reichs schloß ein Erlaß des Kultusministers vom 15. Juni die Mitglieder geistlicher Orden vom Lehramt an öffentlichen Schulen aus. In mehrern Bezirken wurden weltliche Kreisschulinspektoren angestellt und kath. Geistlichen die Schulaufsicht entzogen. Durch das Vorgehen der preuß. Regierung war die päpstl. Kurie aufs höchste erbittert worden. Der Papst wies die Ernennung des Kardinals Hohenlohe zum Botschafter des Deutschen Reichs in der schroffsten Weise (3. Mai) zurück und bezeichnete 23. Dez. das Verfahren der deutschen Regierung als ein unverschämtes, worauf der P. vertretende Legationssekretär den Befehl erhielt, sofort Rom zu verlassen. Am 9. Jan. 1873 legte Kultusminister Falk dem Abgeordnetenhaus vier Gesetze vor, die den Bischöfen die unbedingte Herrschaft über die Geistlichkeit entreißen, die Macht des Klerus über die Laien vermindern, dem Staate die gesetzmäßigen Mittel zur Bestrafung ungehorsamer Bischöfe und Geistlichen verschaffen und eine nationale Bildung des Klerus begründen sollten. Diese vom 11. bis 13. Mai sanktionierten sog. Maigesetze betrafen die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, den Austritt aus der Kirche, die kirchliche Disciplinargewalt und die Errichtung eines königl. Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten, die Grenzen des Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel. Um diese Gesetze in Einklang mit der Verfassung zu bringen, wurden die Art. 15 und 18 derselben, welche die Selbstverwaltung der Kirche aussprachen, auf Antrag des Abgeordnetenhauses geändert. Der preuß. Episkopat aber bestritt dem Staate das Princip, daß die Staatsgesetze die letzte Quelle alles Rechts seien. Nach wie vor unterließen die Bischöfe bei der Anstellung und Versetzung der Geistlichen die vorgeschriebene Anzeige beim Oberpräsidenten und wollten die Staatsaufsicht über ihre Konvikte und Seminarien nicht anerkennen. Mehrere derselben wurden von der Regierung geschlossen, Geldstrafen über die renitenten Bischöfe verhängt. Die Regierung ließ eine neue Eidesformel für neu zu vereidigende Bischöfe festsetzen, in die das Gelöbnis gewissenhafter Beobachtung der Staatsgesetze aufgenommen war. Diesen Eid leistete 7. Okt. 1873 der altkath. Bischof Reinkens, worauf er von der Regierung als kath. Bischof anerkannt wurde und eine Dotation von 16000 Thlrn. erhielt. Die ultramontane Agitation erreichte bei den Neuwahlen zum Abgeordnetenhause 4. Nov. 1873 einen Gewinn von 27 Mandaten, so daß das Centrum nun 86 Mitglieder zählte. Während die Konservativen infolge ihrer reservierten Haltung in dem kirchlichen Kampfe 59 Sitze verloren, stieg die Zahl der Nationalliberalen um 44 (auf 169).

Den 12. Nov. eröffneten Landtag beschäftigte vor allem der Gesetzentwurf über Einführung der obligatorischen Civilehe. Das Abgeordnetenhaus nahm das Gesetz 23. Jan. 1874, das Herrenhaus nach heftigem Widerspruch der altkonservativen Elemente 20. Febr. an. Noch heftiger war der Kampf bei der Debatte über die beiden neuen Kirchengesetze, von denen das eine eine Deklaration und Ergänzung des Gesetzes vom 11. Mai 1873 über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen enthielt, das andere von der Verwaltung erledigter kath. Bistümer handelte und den Staat vor der Anstellung renitenter Bischöfe sichern sollte. Beide Gesetze wurden vom Abgeordnetenhause 9. Mai, vom Herrenhause 16. Mai angenommen.

Der Kulturkampf nahm in P. immer größere Dimensionen an. Der Verhaftung des Erzbischofs Ledochowski (s. d.) von Posen folgte 4. Aug. die des Bischofs Martin (s. d.) von Paderborn. Auch der Erzbischof Melchers (s. d.) von Köln und der Bischof von Trier wurden in das Gefängnis abgeführt, andere Bischöfe zu Geldstrafen verurteilt. In einer Immediateingabe vom 22. Mai 1874 an den Kaiser erklärten die preuß. Bischöfe aufs neue, daß die Kirche sich nicht einseitigen Staatsgesetzen und Verordnungen über kirchliche Dinge unterwerfen könne. Weiter schritt nun der Papst in der Encyklika vom 5. Febr. 1875 dazu, die neuen Kirchengesetze für ungültig zu erklären und den Gehorsam gegen diese zu verbieten, und ernannte 15. März den gefangenen Erzbischof Ledochowski zum Kardinal. Dem allen gegenüber brachte die Regierung 4. März 1875 das sog. Sperrgesetz ein, wonach alle Leistungen aus Staatsmitteln an Bischöfe und sämtliche kath. Geistliche eingestellt wurden, solange diese nicht durch eine schriftliche Erklärung zu der Befolgung der Staatsgesetze sich verpflichteten. Das Sperrgesetz wurde von beiden Häusern angenommen und 22. April als Staatsgesetz publiziert. Die Vorlage über die Aufhebung der Art. 15, 16 und 18 der Verfassung, an die sich die Klerikalen bisher immer geklammert hatten, erhielt 18. Juni Gesetzeskraft. Das 31. Mai vollzogene Klostergesetz schloß alle Orden und Kongregationen der kath. Kirche, außer denen, die sich ausschließlich der Krankenpflege widmeten, vom preuß. Staatsgebiet aus, setzte die Auflösungsfrist auf sechs Monate fest und verlängerte sie auf vier Jahre nur für die mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend sich beschäftigenden Niederlassungen. Das Gesetz vom 30. Juni übertrug die Vermögensverwaltung in den kath. Kirchengemeinden einem Kirchenvorstande, von dem der Geistliche ausgeschlossen war, und einer Gemeindevertretung. Ausnahmsweise empfahlen die Bischöfe den Gehorsam gegen dieses letzte Gesetz, aber nur um die Vermögensverwaltung nicht in die Hände der Regierung oder kirchenfeindlicher Gemeindemitglieder geraten zu lassen. Die Reihe der Bischöfe lichtete sich immer mehr. 1878 waren von den zwölf preuß. Bischöfen nur noch drei im Amte, die von Culm, von Ermland und von Hildesheim; abgesetzt waren sechs; drei Bistümer, Fulda, Trier und Osnabrück, waren infolge des Todes der Bischöfe vacant und konnten, da die Domkapitel sich über die Besetzung mit der Regierung nicht einigen konnten, vorderhand nicht wieder besetzt werden. Da trat nun durch den Tod Pius' IX. (7. Febr. 1878) das Ereignis ein, auf das Bismarck schon 1875 seine Hoffnung gesetzt hatte. Ein Papst folgte, der von dem aufrichtigen Wunsche nach Herstellung des kirchlichen Friedens beseelt war.

Bei der Reform der innern Verwaltung war dem preuß. Staate zunächst die Aufgabe gestellt, die namentlich in den untern Staffeln der Landesverwaltung vielfach noch bestehende Disharmonie der neuen mit den alten bureaukratischen und feudalen Institutionen zu heben, die Selbstverwaltung in den Provinzen, Kreisen und Kommunen Schritt für Schritt durchzuführen. Durch Mischung der Selbstverwaltungsbehörden aus Laien und Staatsbeamten wurde vermieden, daß die Eigenheiten und einseitigen Gesichtspunkte der einen oder andern