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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Rechtsbehelf; Rechtsbelehrung

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Rechtsbehelf - Rechtsbelehrung

wälte geboten ist (s. Anwaltsprozeß), kann nur ein bei dem Prozeßgericht zugelassener R. die Vertretung als Prozeßbevollmächtigter übernehmen. In der mündlichen Verhandlung, einschließlich der vor dem Prozeßgericht erfolgenden Beweisaufnahme, kann jedoch jeder R. die Ausführung der Parteirechte und für den Fall, daß der bei dem Prozeßgerichte zum Prozeßbevollmächtigten bestellte R. ihm die Vertretung überträgt, auch diese übernehmen. Der R. ist verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und innerhalb und außerhalb desselben sich achtungswürdig zu verhalten. Er muß, wenn er sich über eine Woche von seinem Wohnsitz entfernen will, für Stellvertretung sorgen und dem Gericht Anzeige erstatten. Über die Annahme von Mandaten hat er sich ohne Verzug zu erklären. Zu versagen hat er seine Thätigkeit, wenn ihm eine pflichtwidrige Handlung angesonnen wird, oder wenn er in derselben Rechtssache bereits eine andere Partei im entgegengesetzten Interesse bedient oder als erkennender Richter mitgewirkt hat. Er ist zur Herausgabe der Handakten vor Bezahlung seiner Gebühren und Auslagen nicht verpflichtet. Seine Pflicht, im Civilprozesse sich armen Parteien beiordnen zu lassen (s. Armenrecht) und in Strafsachen die Verteidigung zu führen, bestimmt sich nach der Civil- und Strafprozeßordnung; doch ist außerdem im Civilprozesse die Beiordnung zulässig, namentlich wenn im Anwaltprozesse der Antragsteller keinen Anwalt finden kann und die Rechtsverfolgung oder Verteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos ist. Als wesentliche Ergänzung zu dem Gesetze vom 1. Juli 1878 ist noch die Gebührenordnung für R. vom 7. Juli 1879 erlassen. (S. Gebühren und Gerichtskosten, Bd. 7, S. 853 b.)

Die innerhalb des Bezirks eines Oberlandesgerichts zugelassenen R. bilden eine Anwaltskammer, welche ihren Sitz am Orte des Oberlandesgerichts hat. Dieselbe wählt einen Vorstand, welcher ihre Angelegenheiten verwaltet, außerdem die Aufsicht und die ehrengerichtliche Strafgewalt über ihre Mitglieder führt und Streitigkeiten unter denselben und mit den Parteien vermittelt (s. Ehrengericht) und seinerseits wieder unter der Aufsicht des Oberlandesgerichtspräsidenten steht. Beim Reichsgericht erfolgt die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und die Zurücknahme der Zulassung durch das Präsidium des Reichsgerichts. Die bei dem Reichsgericht zugelassenen R. dürfen bei einem andern Gericht nicht auftreten. Die Anwaltskammer bei dem Reichsgericht wird durch die bei demselben zugelassenen R. gebildet. – Im Sept. 1894 gab es im Deutschen Reich 5743 R., von denen 19 beim Reichsgericht, 4 beim bayr. obersten Landesgericht, 794 bei den Oberlandesgerichten, 4241 bei den Landgerichten, 1159 nur bei Amtsgerichten zugelassen sind.

In manchen Ländern, namentlich in England und Frankreich, hat sich eine Teilung der Advokatur in Prokuratur (eigentliche Parteivertretung) und Advokatur im engern Sinne (Rechtsbeistand vor Gericht) vollzogen. In Frankreich ist der avoué vom avocat streng geschieden. Jener betreibt die gesamte Instruktion des Prozesses und ist der eigentliche Vertreter der Partei gegenüber dem Gericht; er gilt als Beamter und erhält sein Amt von der Regierung verliehen, ist übrigens berechtigt, seine Stelle in der Weise zu verkaufen, daß er der Regierung einen Nachfolger präsentiert. Der avocat dagegen ist derjenige, welcher in den mündlichen Verhandlungen vor Gericht die Sache seines Klienten verteidigt, plaidiert; seine Berechtigung beruht auf der Zulassung der Disciplinarkammer, welche erteilt wird, sobald die Erlangung des Licentiats, einer jurist. Gelehrtenwürde, und die Absolvierung einer dreijährigen Übungszeit nachgewiesen ist. Die avocats werden in eine Matrikel eingetragen und bilden das barreau des betreffenden Gerichtshofs. Eine besondere Stellung nehmen in Frankreich die avocats à la cour de cassation ein, welche lediglich vor dem höchsten Gerichtshofe, dem Pariser Kassationshofe, plaidieren, die Funktionen des avoué und avocat in sich vereinigen und ein geschlossenes Kollegium von beschränkter Mitgliederzahl (60) bilden. – Ähnlich wie in Frankreich sind in England die solicitors, früher attorneys (s. Barrister und Solicitor), den franz. avoués entsprechend, von den barristers, den eigentlichen plaidierenden Advokaten, geschieden.

Litteratur. Über die französische Advokatur vgl. Dupin, Profession d’avocat (5. Aufl., 2 Bde., Par. 1832); Gaudry, Histoire du barreau de Paris (2 Bde., ebd. 1864); Mollot, Règles de la profession d’avocat (2. Aufl., 2 Bde., ebd. 1866); Berryer, Le ministère public et le barreau (ebd. 1860); Favre, Plaidoyers et discours du bâtonnat (ebd. 1892). Über die englische Advokatur vgl. Rüttimann, Engl. Civilprozeß (Lpz. 1851); Gneist, Das engl. Verwaltungsrecht (2. Aufl., 2 Bde., Berl. 1867); Hopf, Genossenschaften der Anwälte in England (im «Gerichtssaal», 1863). Für deutsche Zustände sind besonders folgende Schriften einflußreich geworden: Beschorner, Reform des Advokatenstandes (Lpz. 1840); Leonhardt, Zur Reform des Civilprozesses in Deutschland (Hannov. 1865); Gneist, Freie Advokatur (Berl. 1867); Jaques, Die freie Advokatur und ihre legislative Organisation (Wien 1868). Die letztere Schrift enthält in einem Anhang eine Übersicht über die damalige Lage der Advokatur in den einzelnen deutschen Staaten. Über das geltende Recht vgl. F. Meyer, Die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 erläutert (Berl. 1879); ders., Die Gebührenordnung für R. vom 7. Juli 1879 erläutert (ebd. 1879); Siegel, Die gesamten Materialien zu der Rechtsanwaltsordnung (Lpz. 1883).

Rechtsbehelf, soviel wie Rechtsmittel (s. d.) im weitern Sinn.

Rechtsbelehrung wird auf Anfrage von Parteien in zweifelhaften Rechtsfällen von Rechtsanwälten oder Rechtslehrern erteilt (s. Rechtsfall). Den Geschworenen, die nach der Deutschen Strafprozeßordnung nicht bloß über die Thatfrage, sondern über die zugleich die Subsumtion unter den Verbrechensbegriff ausdrückende Schuldfrage entscheiden, wird von dem Vorsitzenden eine Belehrung über die rechtlichen Gesichtspunkte, welche sie bei der Lösung der ihnen gestellten Aufgabe in Betracht zu ziehen haben, erteilt. Diese R., welche von keiner Seite einer Erörterung unterzogen werden darf, deren Unrichtigkeit (abweichend von der Österr. Strafprozeßordnung) keinen Nichtigkeitsgrund bildet, und die deshalb auch nicht der Protokollierung unterliegt, hat, ohne für die Geschworenen bindend zu sein, die Bedeutung einer autoritativen Meinungsäußerung. Ein auf die Beweisfrage bezügliches Résumé (s. d.), wie solches dem franz. Verfahren folgend auch in die deutschen Prozeßgesetze aus der Mitte des 19. Jahrh. aufgenommen worden und noch jetzt in der Österr. Strafprozeßordnung vorgeschrieben ist, findet nicht