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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Römische Kunst

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Römische Kunst

Kaiser, die in unzähliger Menge hergestellt wurden. Bei diesen lag eine auf idealisierte Wiedergabe gerichtete Gestaltungsweise nahe und war in besondern Fällen sogar geboten. Hinter ihr trat aber die auf schlichte Individualisierung ausgehende Darstellung keineswegs zurück. So behielt man in den Bildniswerken der letztern Art auch das Kostüm des Lebens bei und stellte den Kaiser in der Friedenstracht der Toga oder in der Kriegsrüstung, häufig auch zu Pferd oder auf dem Triumphwagen dar. Das schönste erhaltene Werk dieser Art ist die Marmorstatue des Augustus im Vatikan (s. Tafel: Römische Kunst 1: Augustus). In ähnlich realistischer Auffassung, die ohne zu idealisieren doch der Situation und dem Wesen der Persönlichkeit entsprechend die Hoheit des Herrschers zum Ausdruck bringt, ist die berühmte Reiterstatue des Marc Aurel auf dem Kapitolsplatze in Rom (s. Taf. III, Fig. 4) gehalten. Auch die Statue der sitzenden Agrippina (s. Taf. III, Fig. 3) und die Reiterstatue des Balbus (s. Taf. III, Fig. 5) verdienen als hervorragende Beispiele erwähnt zu werden, über diese an der treuen Wiedergabe der wirklichen Erscheinung festhaltende Darstellungsform gehen die Bildniswerke hinaus, die den Dargestellten in erhöhtem Charakter zeigen wollen. Hier erscheint die Persönlichkeit nicht in der Tracht des Lebens und der ihr natürlichen Haltung, sondern in heroischer Nacktheit, und häufig in einer Stellung und mit Attributen, die auf die Vergöttlichung des Kaisers hindeuten. Meist geht aber auch in diesen Darstellungen die Idealisierung in das eigentliche Porträt, d. h. in die Gesichtszüge, nicht mit über, die den natürlichen Ausdruck des Lebens behalten. Diesen kennen wir von sämtlichen Kaisern, wie aus den Statuen so aus den in noch weit größerer Zahl erhaltenen Büsten und daneben aus den zum Teil hervorragend guten Darstellungen auf geschnittenen Steinen und Münzen. Sie sind die sichersten und in ihrer Vollständigkeit besten Quellen für die röm. Kunstgeschichte überhaupt. Und an ihnen läßt sich am genauesten verfolgen, wie der Formengeschmack und die Technik in den verschiedenen Zeiten andere geworden sind, wie die einfachere Art der Kunst der Augusteischen Zeit allmählich in eine effektvollere und malerische Behandlungsweise übergeht. Denn mehr in dem Wechsel dieser äußerlichen Dinge liegt das Unterscheidende in den verschiedenen Jahrhunderten, als in dem Wechsel der Auffassung, die bis zu dem im 3. und 4. Jahrh. sich vorbereitenden Verfall denselben Grundton behalten hat, in dem späten Porträt des Caracalla (s. Taf. III, Fig. 2) noch ein ebenso schonungsloses Festhalten an unbedingter Naturtreue offenbart, wie es schon die Kunst der republikanischen Zeit geliebt hatte, und in Bildniswerken, wie dem des Pompejus, auch dem des Cäsar (s. Taf. III, Fig. 1), zur Erscheinung kommt.

Ähnlich eigenartig wie im Porträtwerk zeigt sich die röm. Bildnerei in den Darstellungen, die an öffentlichen Denkmälern, an Triumphbogen und Säulen die röm. Siege verherrlichten. In diesen Werken findet die späthellen. Kunst auf röm. Boden eine selbständige Fortentwicklung, sowohl dem Inhaltlichen der Darstellung als dem Stile nach, für den die starke Erhebung des Reliefs, die Menge und Gedrängtheit der Figuren, die Bewegtheit der Komposition, das Eintreten landschaftlicher Motive in die Darstellung charakteristisch sind. Den Übergang zeigt das Juliergrabmal in St. Remy (Südfrankreich), das einzige Werk dieser Art, das sich aus Augusteischer Zeit erhalten hat, mit seinen großen Kampfdarstellungen. Ihm folgen die Reliefs am Triumphbogen des Titus mit den Darstellungen der Apotheose des Kaisers und des Triumphes über Judäa. Dann die Trajanssäule (s. Tafel: Rom I, Fig. 4), deren spiralartig um den ganzen Schaft sich hinziehende Reliefs in einer Darstellung von 2500 Figuren den Sieg des Kaisers über die Dacier feiern. Eine ähnlich figurenreiche Schilderung, die sich auf die Markomannenkriege bezieht und die wegen der realistisch treuen Wiedergabe der german. Völkerschaften interessant ist, schmückt die Piazza Colonna in Rom. Das letzte, größere selbständige Werk dieser Art, der Triumphbogen des Septimius Severus mit den Scenen aus den Kriegszügen am Euphrat und Tigris, stammt aus dem J. 203. Schon hier zeigen sich in der Überfüllung und Leblosigkeit der Darstellung die Spuren des beginnenden Verfalles, der in der Folgezeit rasch zunimmt. Ein Jahrhundert später war die Gestaltungskraft der R. K. solchen Leistungen nicht mehr gewachsen.

Im Gegensatz zu diesen öffentlichen Monumenten, die die geschichtlichen Ereignisse verewigen, tritt das National-Römische in den privaten Bildwerken namentlich der spätern Kaiserzeit stark zurück. Unter ihnen nehmen die Grabdenkmäler, wenigstens der Zahl nach, die bedeutendste Stelle ein. In den massenhaft erhaltenen Sarkophagen zeigt sich die Produktivität der Kunst auch im 3. Jahrh. noch stark, aber fast nirgends äußert sich eigene Erfindung, weder in der architektonischen Form, noch in der bildlichen Dekoration, die beide griech. Vorbildern unmittelbar entlehnt sind, freilich auch gerade durch diese Abhängigkeit indirekt ihre hohe kunstgeschichtliche Bedeutung haben. Der einzige aus altröm. Zeit stammende Sarkophag, der aus dem Grabmal der Scipionen bei Rom stammende Sarkophag des L. Cornelius Scipio im Vatikan, weicht durch seine nach Art eines Altars gebildete Form von den übrigen ab, die in ihrer ganzen Masse aus der Kaiserzeit herrühren, als die Sitte des Begrabens statt der Leichenverbrennung erneut in Aufnahme kam. Die meisten dieser Sarkophage sind von mittelmäßiger Arbeit, und nur in verhältnismäßig geringer Anzahl finden sich so fein und mit aller Sorgfalt ausgeführte Stücke, wie z. B. außer hervorragenden Exemplaren in den röm. Sammlungen der schöne Medeasarkophag im Berliner Museum.

Für die Entwicklung der R. K. ist die massenhafte Ansammlung berühmter griech. Kunstwerke in Rom namentlich in der letzten republikanischen Zeit und der ersten Kaiserzeit von starkem Einfluß gewesen. Die Schätzung der ältern Werke hatte ein massenhaftes Kopieren zur Folge und führte zugleich zur Ausbildung eines Eklekticismus, der besonders in der Augusteischen Zeit hervortritt. Diese Richtung ist mit dem Namen des Künstlers Pasiteles und seiner Schule verknüpft, aus der ein Werk des Bildhauers Stephanos, die Nachbildung einer archaischen Jünglingsfigur, und eine von dessen Schüler Menelaos gefertigte Marmorgruppe erhalten sind. Das einfache Wiederholen früherer griech. Werke oder ihre Benutzung, um aus dem alten Stoffe neue Kompositionen zu gestalten, charakterisiert in gleicher Weise die sog. neuattische Schule. Mangel an Selbständigkeit ist ihr hervorstechender Zug. Aber daneben steht doch immerhin eine starke Fertigkeit im Handhaben des Technischen, die Leistungen hervorgebracht hat, wie den viel be-^[folgende Seite]