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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Rußland (Geistige Kultur)

Synod (s. Synod). Das ganze Reich zerfällt in 60 Eparchien oder bischöfl. Diöcesen und 1 Exarchat; an ihrer Spitze stehen 3 Metropoliten (Kiew, Moskau und Petersburg), 1 Exarch, 17 Erzbischöfe, 40 Bischöfe mit 38 Vikaren. Es giebt (1891) 695 Kathedralen, 35230 Pfarrkirchen, 18862 Kapellen mit 1858 Oberpriestern (Protojerejen), 40129 Priestern oder Popen, 12629 Diakonen, 43935 Psalmensängern und Kirchendienern, zusammen 98551 Personen; 497 Mönchs- (darunter 4 Lauren), 228 Nonnenklöster, 6865 Mönche, 7300 Nonnen, 4512 männliche und 20268 weibliche Novizen, zusammen 38945 Personen. Den kirchlichen Zwecken wurden (1894) im Staatsbudget gewidmet 14881157 Rubel, davon 7144783 zum Unterhalt der orthodoxen Stadt- und Dorfgeistlichkeit, 1690326 für andere christl. Bekenntnisse und 50956 für den Mohammed. Kultus. An freiwilligen Spenden aus den Gemeinden flossen der orthodoxen Kirche (1891) 13659139 Rubel zu. Die meisten Klöster befinden sich in dem um Moskau gelegenen Kreise des alten großruss. Kronlandes, dann in dem alten Kiew. Nur wenige giebt es in Südrußland und bei den Kosaken, namentlich den donischen. 1881-90 traten zur russ. Kirche über 158843 (26480 Evangelische, 20398 Katholiken, 36065 Heiden und Mohammedaner und 6231 Juden).

Die Verwaltung der römisch-katholischen Kirche gehört nach Aufhebung des Erzbistums in Warschau (1867) zum Ressort des röm.-kath. Kollegiums zu Petersburg. Sämtliche kath. Kirchen des Reichs sind dem gewöhnlich zu Petersburg residierenden Erzbischof von Mohilew untergeordnet, der zugleich Metropolit aller röm.-kath. Kirchen, Präsident der geistlichen Akademie und des geistlichen Kollegiums zu Petersburg ist. Durch den Ukas vom 8. Nov. 1864 wurden in Polen 110 Klöster aufgehoben. Durch den Ukas vom 26. Dez. 1865 ging das gesamte Eigentum der kath. Kirche in die Verwaltung des Staates über und die kath. Geistlichkeit wurde auf Staatsbesoldung gesetzt. So wurde die kath. Kirche im ganzen Russischen Reiche von dem röm. Stuhl so gut wie unabhängig gemacht. Außer dem Erzbischof von Mohilew bestehen in den außerpoln. Ländern noch fünf kath. Bischöfe. In jedem bischöfl. Sprengel befindet sich ein geistliches Seminar. Diese 6 Seminare, wie auch ihre 90 Schulen und etwa 200 Sekundärschulen sind der geistlichen Akademie in Petersburg untergeordnet. Es gab (1888) 5156 kath. Kirchen mit 3629 Geistlichen. - Die armenisch-gregorianische Kirche in R. steht unter der Leitung des im Kloster zu Etschmiadzin residierenden Patriarchen oder Katholikos und den sechs Erzbischöfen von Eriwan, Georgien, Karabagh, Astrachan und (dieser uniert) Nachitschewan-Bessarabien (s. Nachitschewan 3). Sie hatte (1888) 1275 Kirchen mit 2025 Geistlichen.

Die evangelische und zwar zunächst die lutherische Kirche (mit 1844 Kirchen und 530 Geistlichen) steht in Finland unter den drei Bischöfen von Åbo, Borgo und Kuopio und deren Konsistorien, in den übrigen Teilen des Reichs unter den Generalsuperintendenten von Petersburg, Moskau, Warschau, Kurland, Esthland, Livland, den Superintendenten von Riga, Reval und Ösel und deren Konsistorien. Die oberste Instanz bildet das Generalkonsistorium in Petersburg, welches dem Ministerium des Innern untergeordnet ist. Die Ausbildung der prot. und reform. Geistlichkeit findet auf den Universitäten Dorpat (Jurjew) und Helsingfors statt. Die Reformierten befinden sich besonders unter der lett. Bevölkerung in den Gouvernements Wilna und Grodno, sodann auch in den Ostseeprovinzen, in Petersburg, Moskau, Archangelsk und Polen und stehen mit ihren 35 Geistlichen und 31 Kirchen unter 5 Konsistorien. Herrnhuter sind besonders in Livland und Sarepta, Mennoniten in den taurischen Kolonien an der Molotschna zu finden, wo sie etwa 15000 Köpfe stark sind; über 2000 leben in Polen. - Für die Ausbildung israelitischer Geistlicher sind seit 1847 Rabbinerschulen zu Wilna und Schitomir vom Staat angelegt. Auch bestehen von ihm unterhaltene Schulen zu Odessa, Kischinew, Winniza, Starokonstantinow und (die bedeutendste) zu Berditschew. Es giebt (1888) 6319 Synagogen und Bethäuser mit 5673 Rabbinern und ihren Gehilfen. Außerdem noch 35 karäische Synagogen mit 35 Rabbinern. Die mohammedanische Bevölkerung mit ihren 9254 Moscheen und 16914 Muftis, Mullas und Lehrern steht unter dem Mufti von Orenburg, mit Ausnahme der Mohammedaner in Taurien und der Kirgis-Kasaken.

Geistige Kultur. Die ersten Schulen (für Geistliche) scheinen zur Zeit Iwans IV. Wassiljewitsch (1533-84) entstanden zu sein. Feodor III. gründete 1682 die geistliche Akademie in Moskau. Peter d. Gr. stiftete Kriegs- und Navigationsschulen und ließ durch Leibniz den Plan zu der Akademie der Wissenschaften entwerfen. Unter Elisabeth wurde 1755 die Universität Moskau eröffnet. Katharina II. verbreitete unter den Großen franz. Sitte und Bildung, machte sich aber auch durch Anlegung von Stadtschulen, Gymnasien und wissenschaftlicher Institute verdient. Alexander I. suchte zuerst ein System der Unterrichtsanstalten durchzuführen und rief 1802 das Ministerium des Unterrichts ins Leben. Kaiser Nikolaus I. bemühte sich, dem Andringen fremder Bildung, soweit sie nicht rein dem praktischen Gebiet angehörte, entgegenzutreten. Die Bildung junger Russen im Ausland wurde verboten und nur einzelnen die kaiserl. Erlaubnis dazu erteilt. Die Erziehung im Hause und in Privatanstalten wurde unter öffentliche Kontrolle gestellt und als Hauptgegenstände des Unterrichts wurden russ. Sprache und Litteratur, Landesgeschichte, Volkskunde, russ. Geographie und Statistik bezeichnet. Eine neue Epoche begann unter Alexander II. Der Unterrichtsminister Golownin (seit 1862) entwarf großartige Organisationspläne. Die starre Absperrung gegen den Westen hörte auf; neue Statuten zur Reorganisation der Universitäten (1863), zur Verbesserung der Gymnasien und Progymnasien (1864) sowie der Kreis-, Parochial-, Elementar- und Volksschulen (1864) wurden erlassen. Die Neugründung von höhern und niedern Lehranstalten (auch für Mädchen), von Realgymnasien, von Lehrerseminaren (1865), von Specialschulen u. s. w. wurde in Angriff genommen. Das Budget für das Unterrichtswesen wurde erhöht, die Anschaffung der Lehrbücher und anderer Lehrmittel freigegeben und der Konkurrenz der Verleger und Buchhändler überlassen. Der Nachfolger Golownins, Graf D. Tolstoj (1866-80), reorganisierte das Unterrichtswesen im Sinne eines einseitigen Klassicismus, suchte Realschulen zu beseitigen und die Gründung von polytechn. Schulen zu hindern. Unter Deljanow (seit 1881) wurde umgekehrt wieder der klassische Unterricht beschränkt, die Realschulen und polytechn. Schulen vermehrt. 1884 wurde ein