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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Sardinien (Königreich)

Victor Emanuel legte 13. März 1821 zu Gunsten seines in Modena weilenden Bruders Karl Felix (s. d., 1821-31) die Krone nieder und betraute bis zu dessen Ankunft den Thronerben Karl Albert mit der Regentschaft. Bitten und Drohungen bewogen diesen zur Anerkennung der verkündeten Verfassung, ohne daß er aber sich zu dem Krieg gegen die Österreicher entschließen konnte. Ganz in deren Bann stand Karl Felix, dessen 18. März in Turin eingetroffenes Manifest vom 16. März alle nach Abdankung Victor Emanuels getroffenen Verfügungen für nichtig erklärte und die bedingungslose Unterwerfung forderte. Karl Albert verließ daraufhin 20. März das Land; 10. April zog Karl Felix in Turin ein, nachdem er 7. April den Tessin überschritten hatte, gedeckt von 27000 Österreichern, die dann bis Sept. 1823 im Lande blieben zum Schutz des Königs, welcher 178 meist geflohene Aufständische prozessieren, 73 zum Tode und Güterverlust verurteilen und davon zwei standrechtlich erschießen ließ; 220 Offiziere wurden entlassen. Die Universitäten von Turin und Genua (das letztere hatte sich besonders lebhaft an der Erhebung beteiligt) wurden auf ein Jahr geschlossen und dann strenger Aufsicht unterstellt. Von den von Prosper Balbo geplanten Reformen wurde nur ein verschwindender Teil ausgeführt, und für das Heer fehlte Karl Felix die im Hause Savoyen sonst herkömmliche Neigung, dagegen suchte er die Marine zu heben. Namentlich wandte er seine Aufmerksamkeit dem Bau von Straßen und Brücken, der Errichtung des nach ihm genannten Theaters in Genua und der Wiederherstellung der in der Französischen Revolution zerstörten Erbgruft von Haute-Combe (s. d.) zu. Die Pariser Julirevolution (1830) drohte auch Savoyen zu erschüttern, aber das Anerbieten Österreichs, zur Hilfeleistung einzurücken, lehnte Karl Felix ab und beantwortete es mit Aufstellung von 40000 Mann bei Alessandria.

Mit Karl Albert (s. d., 1831-49) gelangte April 1831 die von Karl Emanuel I. abstammende jüngere Linie Savoyen-Carignan auf den Thron. Am 18. Aug. 1832 wurden die Grundsätze der Regierung veröffentlicht: Festhalten an dem erprobten Geist der alten Monarchie unter Heranziehung der Gebildeten und Erfahrenen, Errichtung eines Gesetzesvorschläge und Finanzverwaltung begutachtenden, aber nicht entscheidenden Staatsrats, in welchem auch Bischöfe sitzen sollten; nur die auswärtigen Angelegenheiten, Heer und Marine wurden der königl. Generalintendanz vorbehalten. Der verbesserte Civilcodex wurde 20. Juni 1837 veröffentlicht; das 1840 veröffentlichte Strafgesetzbuch betonte namentlich auch die Notwendigkeit der Besserung der Verbrecher; das 1841 veröffentlichte Militärstrafgesetzbuch behielt noch scharfe körperliche Züchtigung bei; 1843 erhielt das Land eine neue Einteilung. Ganz besondere Sorge aber verwandte Karl Albert neben der für die Finanzen, welche sich günstig unter ihm gestalteten, auf das Heer. Von jährlich 75 Mill. Ausgaben fielen 27 auf dieses, und die Ordnung von 1832, welche zweijährigen Dienst bei der Fahne, sechsjährigen in der Reserve vorschrieb, brachte das Heer auf eine Friedensstärke von 22800, eine Kriegsstärke von 61400 Mann.

Während so Karl Albert auf sein Heer gestützt allmählich eine immer entschiedenere Haltung gegenüber Österreich einnahm, näherte sich die Bewegungspartei im Volke unter dem Einfluß der Schriften Giobertis (s. d.), Balbos (s. d.), d'Azeglios (s. d.) u. a. m. den ital. Souveränen, und in ganz Italien schwollen infolge von Pius' IX. versöhnenden Maßregeln plötzlich die Erwartungen auf baldige Gewährung von Volksvertretungen und auf Verjagung der Österreicher, welche den Erlaß von Verfassungen verpönt hatten, riesig an. Aber noch zögerte Karl Albert, aus seiner schwankenden Haltung gegenüber den Einigungsbestrebungen herauszutreten; erst 30. Okt. 1847 wurden die bevorrechteten Gerichtsstände bis auf die Ausnahmen für die Geistlichkeit aufgehoben, das Gerichtswesen vereinfacht und das mündliche öffentliche Verfahren eingeführt, die Polizei den Militärgouverneuren abgenommen und dem Ministerium des Innern unterstellt und der Bürger gegen Willkür derselben gesichert, die Befugnisse der Provinzial- und Municipalräte erweitert, die Censur gemildert und endlich die Bedeutung des Staatsrats erhöht. Die Insel S. beantragte nun die Vereinigung mit dem Festland in Gesetzen, Abgaben und Militär, nachdem schon die Jahre vorher Karl Albert die Lehen abgeschafft, für Verwaltung, Municipal- und Gerichtsordnung in modernem Sinn gesorgt und für den Handel durch Straßen- und Brückenbau hatte arbeiten lassen. Endlich auf die Nachricht von der erzwungenen Verleihung einer Verfassung in Neapel vermochten die Liberalen, geführt von Cavour, Santa Rosa, Balbo und Durando, den König 8. Febr. 1848 zum freiwilligen Erlaß des Fundamentalstatuts zu bewegen, welches als Ergänzung der bisherigen Reformen die Grundzüge einer Verfassung gab; der Krone waren in diesem alle irgend nötigen Vorrechte vorbehalten, namentlich auch die Ernennung der Mitglieder der Ersten Kammer auf Lebenszeit; der gewählten Zweiten Kammer wurde der Vorrang in Finanzsachen, die Befugnis zu Gesetzesvorschlägen jedem Teil gegeben. Die Steuerzahler sollten eine Miliz bilden, die Presse bedingt frei sein; der Katholicismus blieb Staatsreligion bei Duldung anderer Kulte und Gewährung bürgerlicher Rechte für die Waldenser. Trotz der Verhängung des Belagerungszustandes und der Ansammlung bedeutender Truppenmassen (75000 Mann) unter Radetzky, Heß und Schönhals in der seit 1847 unruhigen österr. Lombardei auf der einen Seite und dem Ausbruch der Februarrevolution (1848) in Paris auf der andern blieb aber Piemont noch ruhig; nur das Heer wurde fortgesetzt bis 1. März von 30000 auf 60000 Mann verstärkt und nach Veröffentlichung der Verfassung (5. März) das bisherige Ministerium der Unentschlossenheit unter Solaro della Margherita entlassen und C. Balbo 8. März mit der Bildung eines neuen betraut; dieser war entschlossen, alle Kraft auf Kriegsrüstungen und auf Erzielung geeigneter ital. Fürstenbündnisse zu verwenden, alle andern Fragen auf später zu verschieben; er übertrug das Auswärtige dem Führer der Opposition in Genua, Pareto (s. d.), Sclopis die Justiz, beschränkte die Zahl der Beamten in den Kammern auf das Maximum von ein Viertel sämtlicher Abgeordneten und rief die Verbannten zurück.

Da erfolgte der siegreiche Aufstand Wiens, welcher die Erhebung Mailands und der Lombardei zur Folge hatte; während hierdurch Radetzky sich zum Rückzug auf Mantua und Verona gezwungen sah, wurde Karl Albert zum Übergang über den Tessin genötigt, um der Verkündung der Republik nun auch im Osten seines Landes und der damit