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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Schiller

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Schiller (Joh. Christoph Friedrich von)

waltige poet. Kraft. Der edle, die socialen übel ausgleichende Räuberhauptmann, der sein Vorbild, den Faustrechtritter Götz von Berlichingcn, derb übertrumpft, wird von jetzt an ein Liebling des deutschen Dramas und Romans.

Als S. im Dez. 1780 die Stelle eines Regimentsmedikus im Regiment Augé zu Stuttgart antrat, vertauschte er den Schulzwang mit dem wenig mildern militärischen. Doch entflammte seine reizlose Hauswirtin, eine verwitwete Frau Hauptmann Vischer, jetzt seine ersten Liebesregungen, die in den Laura-Oden ihren schwülstigen Ausdruck fanden. Sie und die einer Neigung zu Wilhelmine Andreä entsprungenen einfachern Minna-Lieder fanden Aufnahme in die von S. zur Konkurrenz gegen Stäudlins "Schwäb. Musenalmanach" herausgegebene, großenteils von ihm selbst verfaßte "Anthologie auf das J. 1782" ("gedruckt in Tobolsko", "meinem Prinzipal dem Tod zugeschrieben"), die auch die dramat. Scenen "Semele" enthielt. Vor Cynismen im schlechtesten Geschmack Bürgers ("Männer und Kastraten", später "Männerwürde", "Venuswagen"), vor plumpen Epigrammen, philosophisch aufgeblähten Liebesoden ("Der Triumph der Liebe") kommt in der Lyrik dieser Periode schlichte Empfindung nie, klare Anschauung selten ("In einer Bataille", später "Die Schlacht") zu Worte; nur in der Größe der volltönenden Sprache, der hochfliegenden Auffassung verrät sich ein bei aller Unreife bedeutend aufstrebendes, freilich nicht lyrisches Talent.

Der glänzende Erfolg der abgeschwächten Bühnenbearbeitung der "Räuber" an dem von Dalberg geschickt geleiteten Mannheimer Nationaltheater machte dem Dichter, der der Première (13. Jan. 1782) heimlich beigewohnt hatte, seine beengte Lage immer peinlicher. Als nun gar der Herzog, durch unglückliche Zufälle erbittert, S. jede nicht mediz. Schriftstellerei untersagte und ihn dadurch ebenso an der Poesie wie an seiner unbedeutenden, aber pekuniär erwünschten journalistischen Thätigkeit (Redaktion der "Nachrichten zum Nutzen und Vergnügen", 1781, des "Württemb. Repertoriums", 1782) hinderte, ihm zudem jeden Verkehr mit dem "Ausland" untersagte, entschloß sich der Dichter, die Brücke hinter sich abzubrechen; mit seinem Freunde Andr. Streicher entfloh er in der Nacht vom 22. zum 23. Sept. 1782 zunächst nach Frankfurt. Im Oktober und November desselben Jahres vollendete er zu Oggersheim (bei Mannheim) "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" (gedruckt Mannh. 1783), das erste seiner histor. Dramen. Diese republikanische Tragödie leidet zwar unter der Unklarheit des blasiert enthusiastischen Helden, den S. trotz aller histor. Vorstudien (Robertson, Retz) sehr unhistorisch mit Rousseaus Augen ansah, imponiert aber namentlich durch die überraschende Beherrschung der Massenscenen. - Sehr viel höher steht das dritte und beste seiner Jugenddramen, das bürgerliche Trauerspiel "Luise Millerin" oder "Kabale und Liebe" (so von Iffland benannt, gedruckt Mannh. 1784). S. nahm es im Frühjahr 1783 in Bauerbach in Angriff, auf dem Gute der Mutter seines Schulfreundes W. von Wolzogen, wo er zu seinem spätern Schwager, dem Bibliothekar Reinwald im nahen Meiningen, Beziehungen knüpfte. Ein sociales Drama erfundenen Inhalts, baute sich "Kabale und Liebe" durchaus auf eigenen bittern kleinstaatlichen Eindrücken des Dichters auf, der an Gemmingens matten "Deutschen Hausvater" nur in Äußerlichkeiten anknüpfte. Er scheute sich nicht, so schreiende Mißstände, wie die scheußlichen "Subsidienverträge", beim rechten Namen zu nennen; er verschmähte die ideale Ferne, die Lessing in "Emilia Galotti" gewählt hatte. Von diesem großen Vorbild hat S. eine energisch fortschreitende geschlossene Handlung gelernt; von der Tragik des überschwenglichen Heldenpaares, das das Recht des Herzens gegen alle Standesvorurteile vertritt, hebt sich wirkungsvoll der gallige Humor der bürgerlichen Misere ab; Musikus Miller gehört zu S.s lebenswahrsten Gestalten. (Vgl. E. Müller, S.s Kabale und Liebe, Tüb. 1892.)

Diese kräftige Produktion ermutigte den Intendanten Dalberg, S. die Stelle eines Theaterdichters in Mannheim anzuvertrauen (Aug. 1783). Doch hinderte Krankheit den Dichter, seinen Verpflichtungen nachzukommen, und der Kontrakt löste sich nach einem Jahre. Auch sonst brachte die Mannheimer Zeit schwere Enttäuschungen und Sorgen. Herzensneigungen zu der Buchhändlerstochter Margarete Schwan und namentlich zu Charlotte von Kalb, der die grenzenlos überschäumenden Gedichte "Freigeisterei der Leidenschaft" und "Resignation" gelten, beunruhigten den Dichter; eine wachsende Schuldenlast und der Zorn der Eltern drückten ihn mehr und mehr. Ein neues Journal, die "Rhein. Thalia" (1785), in der zuerst der Aufsatz "Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet" erschien, blieb ohne äußern Erfolg. Zwar verlieh ihm Herzog Karl August von Weimar, der ihn in Darmstadt den ersten Akt des "Don Carlos" lesen hörte, den Titel eines weimar. Rats; auch wurde er in die "Deutsche Gesellschaft zu Mannheim" aufgenommen auf Vorschlag des Dichters Anton von Klein, der S. veranlaßt hat, im Drama zum Verse überzugehen. Aber der Boden brannte ihm unter den Füßen. Mit heißem Dank nimmt er die thätige Hilfe eines Leipziger Bewunderers, des Oberkonsistorialrats Christ. Gottfr. Körner (s. d.) an, die ihm ermöglicht nach Leipzig überzusiedeln (April 1785).

Hier traf er zwar den inzwischen nach Dresden berufenen Freund nicht selbst; dafür trat er seinem künftigen Verleger, dem jungen Buchhändler Göschen, mit dem er in Gohlis eine Stube bewohnte, nahe. Eine flüchtige Zusammenkunft mit Körner übertraf beider Erwartungen und veranlaßte S., gleichfalls nach Dresden zu gehen (Sept. 1785), wo er sich in Körners Häuslichkeit auf dem Loschwitzer Weinberg oder in der Stadt aufs engste einlebte. Die wilde Jubelhymne "An die Freude", manch launiges Gelegenheitsstück ("Körners Vormittag" u. a.) zeugt von dem Glücksgefühl, mit dem ihn die neue Freundschaft erfüllte. Einen Dritten im Bunde, den unreifen Ludw. Ferd. Huber, der nicht Stich hielt, überschätzten damals beide.

Von dem wohlthätigen Einfluß Körners zeugen die "Philos. Briefe", ein Briefwechsel, in dem Raphael (Körner) im Begriff ist, den eudämonistischen Julius (Schiller), der hier seine Jugendtheosophie auskramt, zu Kant zu bekehren. Sie erschienen in der in Göschens Verlag neu aufgelebten "Thalia", die schon im 1. Bande (1787) S. von einer neuen Seite, als trefflichen Prosaerzähler zeigte: "Der Verbrecher aus verlorener Ehre" (ursprünglich "aus Infamie"), der den bekannten württemb. Räuber, den Sonnenwirt, behandelt, ist eine musterhafte psychol. Kriminalnovelle; der unvollendete Roman "Der Geisterseher" (1789; fortgesetzt von Follenius, Lpz. 1796), der dem Geschmack des Publikums an