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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Schrift

ungefähr ins Jahr 890 v. Chr. zu setzen ist. Von der aramäischen S. ist die Pehlevischrift abgeleitet (s. Pehlevi); die ind. Schriftarten beruhen ebenfalls auf einem aramäischen Alphabet; vgl. Bühler, Indian Studies, III. On the origin of the Indian Brāhma alphabet (in "Sitzungsberichte" der Wiener Akademie, 1895); ders., The origin of the Kharoṣṭhī alphabet, 1895 (in "Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes"). Auf indischer S. beruht die der Koreaner. Von syrischer S. stammt die mongolische (s. Mongolen), von dieser die der Mandschu (s. d.). Die arabische S. wird von Persern und Türken, zum Teil auch von andern mohammed. Völkern des Orients gebraucht. Aus der indischen S. weiter entwickelte Formen haben sich über Tibet und Hinterindien verbreitet.

Aus der altsemitischen S. ist die griechische hervorgegangen. Die älteste semitische S. der Mesa-Stele ist der ältesten griechischen am ähnlichsten; nicht viel später mag sich diese von der semitischen abgezweigt haben. Sichere Spuren hat man aber nicht vor dem Anfang der Olympiaden (776 v. Chr.); die erhaltenen Inschriften der Griechen sind kaum älter als 620 v. Chr. Die Griechen übernahmen von den Phöniziern ein Alphabet von 22 Buchstaben, das sie umbildeten und bis auf 26 Buchstaben ergänzten. (S. Griechische Schrift.)

Der linksläufigen griechischen S. folgt die furchenförmige (s. Bustrophedon) und dieser die rechtsläufige. Während alle andern Griechen das phöniz. Uralphabet annahmen und fortbildeten, haben nur diejenigen, die den Phöniziern am nächsten wohnten, sich ablehnend verhalten. Die griech. Kolonien auf Cypern hatten wahrscheinlich schon vorher vom Festlande her eine eigentümliche Silbenschrift erhalten, in der das einzelne Zeichen nicht einen einzelnen Laut, sondern eine Silbe ausdrückt; sie scheint der assyr. Keilschrift am nächsten verwandt zu sein. Diese schwerfällige, für die griech. Laute schlecht passende Silbenschrift wurde auf Inschriften und Münzen angewendet bis gegen Ende des 5. Jahrh. v. Chr. Alle andern griech. Schriftarten stammen von dem phöniz. Uralphabet. Wie in der Sprache, so zeigte sich auch in der S. große Verschiedenheit der einzelnen Stämme, bis schließlich alle Griechen zu einer einheitlichen Sprache und S. übergingen. Ein wichtiger Schritt in dieser Richtung war es, als Athen 403 v. Chr. unter dem Archontat des Euklides von Staats wegen das ion. Alphabet annahm, das dann durch die Eroberung der Macedonier allgemein verbreitet wurde.

Wie die lokalen Alphabete der Griechen von großer Wichtigkeit sind für die Beziehungen der einzelnen Stämme untereinander in den ältesten Zeiten, so sind auch die aus dem Griechischen abgeleiteten Alphabete ein Beweis der Beziehungen der andern Völker zu ihren Lehrmeistern, den Hellenen. Schon in sehr früher Zeit erhielten die Lykier und Phryger ihre S. von den benachbarten Hellenen; nicht viel später die italischen Völker. Im 4. Jahrh. n. Chr. erfand Ulfilas für seine Landsleute, denen er die Bibel übersetzte, die Gotische Schrift (s. d.), indem er von der griechischen S. ausging; um dieselbe Zeit bildete sich die koptische, im 5. Jahrh. n. Chr. die armenische und georgische S. aus der griech. Majuskel, die nur durch wenige fremdartige Bestandteile vermehrt wurde (s. Koptisch und Armenische Sprache und Schrift).

Im 9. und 10. Jahrh. wurden slawische Völker durch die Missionsthätigkeit der griech. Kirche bekehrt, die ihnen mit der Religion zugleich die S. brachte, welche die der griech. Kirche angehörenden Slawen bis jetzt behalten haben; die heutige russische, serbische und bulgarische S. gehen auf das Cyrillische Alphabet (s. Kirchenslawisch und Russische Schrift) zurück, das dem Ductus der damaligen Majuskelhandschriften der Griechen nahe kommt. Das Glagolitische Alphabet (s. Glagolica) ist wahrscheinlich eine Stilisierung der griech. Minuskel.

Von allen Alphabeten, die aus dem Griechischen abgeleitet sind, ist das italische das wichtigste. Das italische Uralphabet zeigt am meisten Verwandtschaft mit der S. der westl. Griechen und speciell der dorisch-chalcidischen Kolonien. Alle 26 Buchstaben der Griechen (ohne Ω^[grosses Omega]) wurden von den Italikern herübergenommen, wenn auch einige Zeichen nur zur Bildung der Zahlzeichen angewendet wurden. Die italischen Alphabete zerfielen in zwei Gruppen; auf der einen Seite stehen die Alphabete der Etrusker, Umbrer und Osker; auf der andern Seite steht das Alphabet der Lateiner und Falisker, welche wie die Griechen den Übergang von der linksläufigen zur furchenförmigen und rechtsläufigen S. durchgemacht haben. Die Einführung der S. bei den italischen Stämmen fällt etwa in die Zeit 750-644 v. Chr.

Aus der lateinischen S. der Kaiserzeit bildete sich die (ältere und jüngere) Runenschrift (s. Runen), deren sich die german. und skandinav. Völker bis zur Einführung des Christentums bedienten.

Bei den Griechen sowohl wie bei den Römern war ein Unterschied zwischen den Buchstabenformen der Inschriften und denen der Handschriften ursprünglich nicht vorhanden, und die handschriftlichen Charaktere, die den inschriftlichen fast gleich sind, bezeichnet man als Kapitalschrift; allmählich machte sich die Natur des Beschreibstoffs bemerkbar in den mehr abgerundeten Formen der Uncialschrift, die allmählich vom Ende des 6. Jahrh. in die kleinere Halbunciale überging. Neben der umständlichen Majuskel der Inschriften und der Handschriften bildete sich bei den Griechen wie bei den Römern eine bequemere S. des täglichen Lebens, die man meist Kursive nennt. Auch hatten sowohl die Griechen als die Römer eine Schnell- und Kurzschrift, Tachygraphie bei den Griechen, Tironische Noten bei den Römern genannt. Die Kursivschrift verfiel bald mehr und mehr, während die Bücherschrift die überlieferten Formen treuer bewahrte. Im byzant. Orient, der durch Staat und Kirche zusammengehalten wurde, bildeten sich in der entartenden Kursive wenigstens keine scharfen nationalen Eigentümlichkeiten heraus; in dem nicht staatlich geeinigten Occident wurde die altröm. Kursive dagegen zu Nationalschriften weiter entwickelt. Aus ihr bildete sich die langobardische, westgotische, irische, angelsächsische, merowingische S.

So benutzte man in gleicher Weise im byzant. Osten und im lat. Westen gleichzeitig eine künstlich gemalte Bücherschrift und eine charakterlose, verfallende Kursivschrift, die bereits schwer zu entziffern war. Ungefähr zu gleicher Zeit (Anfang des 9. Jahrh.) kam man im Osten und im Westen auf den Gedanken, die Vorzüge beider Schriftarten zu einer neuen zu verbinden, die ebenso deutlich wie die Unciale, ebenso verbindungsfähig und flüssig wäre wie die Kursive; so entstand die Minuskel (s. Majuskel), die im wesentlichen eine Stilisierung der Kursive genannt werden muß, bereichert durch unciale (oder halbunciale) Elemente. Die Minuskel drängte sowohl