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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Schwurgericht
erfolgt auch in Österreich, nachdem inzwischen die
Hauptverhandlung eröffnet ist, in Gegenwart sämt-
licher Angeklagten in öffentlicher Sitzung. Nach §.288
der Deutschen Strafprozeßordnung richtet der Vor-
sitzende an die zu Beeidigenden folgende Worte:
"Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und All-
wissenden, in der Antlagesache wider N. N. die
Pflichten eines Geschworenen getreulich zu erfüllen
und Ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen
abzugeben", worauf die Geschworenen einzeln unter
Erhebung der rechten Hand die Worte sprechen: "Ich
schwöre es, so wahr mir Gott helfe." Die Beeidigung
nach §. 313 der Österr. Prozeßordnung unterscheidet
sich nur dadurch, daß die Anrede des Vorsitzenden die !
Pflichten der Geschworenen im einzelnen unischreibt. ^
III. Hauptverhandluug vor dem Schwur-
gericht. Die Vernelimung des Angeklagten und
die Beweisaufnahme findet nach den für die Haupt-
verhandlung (s. d.) überhaupt gegebeuen Vorschriften
statt, jedoch in unausgesetzter Gegenwart der Ge-
schworenen, weil diese zur Teilnahme an der Urteils-
ftndung berufen sind. Dieselben haben deshalb
gleich den Richtern das Recbt, Fragen an die Zeugen
und Sachverständigen zu stellen, nach §. 315 der
Österr. Strafprozeßordnung auch die Befugnis, Be-
weisaufnahmen zu beantragen. Nach ß. 317 der
Österr. Strafprozeßordnung tann der Gerichtshof
ohne Mitwirkung der Geschworenen auf Freispre-
chung erkennen, wenn der erforderliche Strafantrag
fehlt oder die Strafverfolgung durch Verjährung
oder Vegnadignng oder prozcssualische Gründe aus-
geschlossen ist. Im übrigen schließt sich an das Be-
weisverfahren die Fragestellung an die Geschworenen
an. Da letztere zur Entscheidung der Schuldfrage
berufen sind, bezicht sich die für jeden Angeklagten
und für jede strafbare Handlung besonders zu stellende
Hauptfrage auf die Schuld des Angeklagten nach
Maßgabe der Anklage. Das Nähere über den Inhalt
der Hauptfrage, über Hilfs^ und Nebenfragcn (nach
§. 323 der Österr. Strafprozeßordnung Eventual-
und Zusatzfragen) s. Hauptfrage, Hilfsfr'age, Neben-
frage. Alle Fragen sind so zu stellen, daß sie mit Ja
oder Nein sich beantworten lassen. Sie werden von
dem Vorsitzenden entworfen, verlesen und auf Ver-
langen den Beteiligten abschriftlich mitgeteilt. Wenn
Abänderung oder Ergänzung der Fragen beantragt
wird, werden dieselben vom Gerichtshof festgestellt
und nochmals verlesen. An die Fragestellung schlie-
ßen sich die Vorträge der Beteiligten, welche indes
auf die von den Geschworenen zu entscheidende
Schuldfrage zu beschränken sind. Während hierauf
nach §. 300 der Deutschen Strafprozeßordnung die
Rechtsbelehrung (s. d.) des Vorsitzenden folgt, steht
dem Vorsitzenden in Österreich eine erheblichere Ein-
wirkung auf die Geschworenen zu. Er hat nach
§. 311 die allgemeine Pflicht, den Geschworenen die
erforderliche Anleitung zu geben, ihnen die Sache
auseinanderzusetzen und sie nötigenfalls an ihre
Pflichten zu erinnern und soll nach § 325 nach Schluß
der Verhandlung die wesentlichen Ergebnisse der-
selben in gedrängter Darstellung zusammenfassen
(s. Resume), in Kürze die für und wider den Ange-
klagten sprechenden Beweise auffübren, freilich ohne
Kundgabe seiner eigenen Ansicht, sodann die gesetz-
lichen Merkmale der strafbaren Handlung und die
Bedeutung der in den Fragen vorkommenden gesetz-
lichen Ausdrücke erklären. Seine Nechtsbelehrung!
soll im Protokoll ersichtlich gemacht werden. Nach !
der Nechtsbelehrung werden die Fragen vom Vor- !
sitzenden unterzeichnet und den Geschworenen über-
geben, welche sich in ihr Veratungszimmer zurück-
ziehen, während der Angeklagte aus dem Sitzungs-
saale entfernt wird. In der Verhandlung vorgelegte
Gegenstände, nach österr. Gesetz auch die Akten mit
Ausnahme nicht verlesener Vernehmungsprotokolle,
können den Geschworenen in das Veratungszimmer
verabfolgt werden. Jeder Verkehr mit andern Per-
sonen während der Beratung ist den Geschworenen
untersagt. Die Geschworenen wählen zur Leitung
ihrer Beratung einen Obmann und können, falls
sie vor Abgabe ihres Spruchs einer weitern Beleh-
rung zu bedürfen glauben, diese vom Vorsitzenden
erbitten, welcher sie ihnen nach §. 306 der Deutschen
Strafprozeßordnung im Sitzungszimmer, nach §. 327
der Österr. Strafprozeßordnung in ihrem Veratungs-
zimmer erteilt. Ergicbt sich dabei Anlaß zur Ergän-
zung oder Änderung der Fragen, so muß in die Ver-
handlung wieder eingetreten werden. Der Spruch der
Geschworenen soll in der Regel "Ja" oder "Nein"
lauten, doch ist eine teilweise Bejahung und teilweise
Verneinung zulässig. Zur Bejahung der Schuld-
frage sowie zu jeder dem Angeklagten nachteiligen
Entscheidung sind wenigstens acht Stimmen not-
wendig, zur Verneinung der mildernden Umstände
nach der Teutschen Strafprozeßordnung jedoch nur
sieben. Nach §. 329 der Österr. Strafprozeßordnung
können diejenigen Geschworenen, die bei der Haupt-
frage überstimmt sind, sich der Abstimmung über
eine etwaige Zusatzfrage enthalten, mit der Wir-
kung, daß ihre Stimmen den dem Angeklagten gün-
stigsten beigezählt werden. Der Spruch (nacb österr.
Sprachgebrauch Ausspruch, s. Wahrspruch) ist vom
Obmann neben der Frage niederzuschreiben und zu
unterzeichnen und zwar unter Angabe des Stimmen-
verhältnisses, die indes nach §.307 der Deutschen
Strafprozeßordnung auf die Bemerkung "mit mehr
als sieben> oder "mit mehr als sechs Stimmen" be-
schränkt ist. Nach beendigter Abstimmung tebren
die Geschworenen in den Sitzungssaal zurück und
der Obmann giebt nach feierlichen Eingangsworten
(in Deutschland: "Auf Ehre und Gewissen bezeuge
ich als den Spruch der Geschworenen", in Österreich:
"Die Geschworenen haben nach Eid und Gewissen die
an sie gestellten Fragen beantwortet wie folgt") den
Spruch durch Verlesung der Fragen und Antworten
kund und derselbe wird dann von dem Vorsitzenden
und dem Gerichtsschreibcr unterzeichnet. Mängel
des Spruchs, insbesondere Undeutlichkeit, Unvoll-
ständigkeit und Widersprüche berechtigen und ver-
pflichten den Gerichtshof, die Berichtigung anzu-
ordnen, zu welchem Behufe die Geschworenen sich
wieder in ihrAeratungszimmer zurückziehen. Ergiebt
sich dabei Veranlassung zur Abänderung der Fragen,
so ist darüber unter Zuziehung der Beteiligten zu
verhandeln. Liegt ein ordnungsmäßiger Spruch
vor, so wird derselbe dem Angeklagten nach Wieder-
eintritt in den Sitzungssaal verkündet; lautet er
auf Nichtschuldig, so spricht der Gerichtshof den An-
geklagten ohne weiteres frei: andernfalls müssen
vor Fällung des Urteils Ankläger und Angeklagter
gehört werden. Mit der Verkündung des Urteils
schließt die Zauptverhandlung. Zur Verhütung
ungerechter Verurteilung ist bestimmt, daß der Ge-
richtshof, falls er einstimmig der Ansicht ist, daß die
Geschworenen sich in der Hauptsache zum Nachteil
des Angeklagten geirrt haben, die Sache an das S.
der nächsten Periode verweisen kann. Ein Antrag
hierauf darf nicht gestellt werden. An der neuen