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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Schwurgericht
Verhandlung darf kein Geschworener, nach §. 333
der Österr. Strafprozeßordnung als Vorsitzender
auch kein Richter teilnehmen, welcher an der ersten
Verhandlung teilgenommen bat. Der neue Spruch
muß, auch wenn er mit dem frühern übereinstimmt,
dem Urteil zu Grunde gelegt werden.
IV. Zuständigkeit des Schwurgerichts.
Nach §. 80 des Deutschen Gcrichtsverfassungsgesetzcs
sind die S. zuständig für die Verbrechen, welche
nicht zur Zuständigkeit der Strafkammer (s. Land-
gericht) oder des Reichsgerichts (s. d.) gehören. In
Art. 6 des Einführungsgcsetzes zur Österr. Straf-
prozeßordnung sind die Verbrechen und Vergehen,
für welche die S. zuständig sind, unter 25 Nummern
aufgeführt und sind die S. außerdem wegen aller
durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Ver-
drechen und Vergehen für zuständig erklärt. Doch
kann nach einem gleichzeitig erlassenen Gesetz die
Wirksamkeit des S. hinsichtlich aller ihm zugewie-
senen .Handlungen oder einzelner Arten derselben
zeitweilig, und zwar längstens auf ein Jahr, für ein
bestimmtes Gebiet dnrch Verordnung des Gesamt-
ministeriums nach Anhörung des Obersten Gerichts-
hofs eingestellt werden. In Deutschland ist die
landesgesetzlich begründete Zuständigkeit der E. für
Preßvergehcn durch §. 6 des Einführungsgesetzes
zum Gerichtsverfassungsgesetz, soweit sie 1. Okt. 1879
bestand, d.i. in Bayern, Württemberg, Baden, Olden-
burg, beibehalten.
V. Wert des Schwurgerichts. Während so
im Laufe des 19. Jahrh, das S. wenigstens für die
schwerern Straffälle fast in allen Kulturstaaten
Europas und Amerikas ohne Unterschied der Re-
gierungsform feinen Platz erobert hat, ist der Streit
über seine Zweckmäßigkeit unter den Juristen und
in der öffentlichen Meinung keineswegs ausge-
tragen, vielmehr in neuerer Zeit lebbafter als zu-
vor entbrannt. Wenn auch in Deutschland die Ge-
lehrten in der ersten Hälfte des 19. Jahrh, bei
Empfehlung der S. an die dem engl. Verfahren zu
Grunde liegende Fortbildung der german. Volts-
gerichte des Mittelaltcrs anknüpften, fo war dock
die Einführung der S. in Deutschland und Öster-
reich ein wesentlich polit. Akt. Als mit den Be-
wegungen des I. 1848 die konstitutionelle Mon-
archie nach franz. Muster die absolute und stän-
dische Monarchie verdrängte, übernahm man auch
das franz. Strafverfahren, dessen Einführung sich
um so leichter gestaltete, als es nicht nur in geschlosse-
ner Form vorlag, sondern auch in den bis 1815
unter franz. Zerrschaft gestandenen rhein. Landes-
teilen in Geltung geblieben, der Bevölkerung lieb
und einem Teil der Richter aus Erfabrung bekannt
geworden war. Konnte so eine polit. Forderung der
liberalen Parteien schnell, vielleicht überstürzt, er-
füllt werden, fo mußte man andererseits die Fehler
des französischen S.: den Einfluß der Verwaltung
auf die Auswahl der Geschworenen, die Trennung
von That- und Rechtsfrage, den Formalismus der
Fragestellung mit in den Kauf nehmen. Von dicfen
Fehlern ist nur der erstgedachte in der neuen deut-
schen und österr. Gesetzgebung beseitigt. Man muhte
es zunächst wohl allgemein als einen Fortschritt em-
pfinden, daß an Stelle des schriftlichen, geheimen,
an eine gesetzliche Veweistheorie gebundenen Ver-
fahrens das öffentlich - mündliche Verfahren mit
freier Beweiswürdigung und Geschworenen trat.
Welcken Anteil an diesem Fortschritt aber die Münd-
lichteit und Unmittelbarkeit ls. Öffentlichkeit und
Mündlichkeit der Rechtspflege), welchen die Öffent-
lichkeit des Verfahrens und die Mitwirkung von
Laien hat, ist schwer zu bestimmen. Stände aber auch
fest, daß der gelehrte, beamtete Richter nach dem
unmittelbaren Eindruck einer mündlichen Verhand-
lung bei freier Beweiswürdigung ebenso gut oder
besser als Laien im stände wäre, die Schuldfrage zu
entsckeidcn, so wäre^dies zwar ein Grund gewesen,
der Einfübrung der <^. zu widersprechen, aber kaum
ausreichend, die bestehende Einrichtung abzuschaffen,
sofern dieselbe das Vertrauen des Volks hat. Man
sagt, daß, wie schon durch die Öffentlichkeit, so noch
in höberm Maße durch die Mitwirkung von Laien
nicht bloß eine Kontrolle der Unparteilichkeit des
Richters geübt, sondern auch letzterer, um die Sache
den mitwirkenden Laien klar zu machen, selbst zu
einer gründlichern Vorbereitung und Prüfung der-
felbcn genötigt wird; das Vertrauen des Angeklagten
zu seinen Mitbürgern wird trotz aller Garantien der
richterlichen Unabhängigkeit häufig größer sein als
zu einem gelehrten Beamten, gegen dessen Entschei-
dung er den höhern Beamten, das größere Kollegium
anruft. Jedenfalls aber wirkt die Teilnahme der
Laien an der Rechtspflege, die Gelegenheit, sich selbst
davon zu überzeugen, daß das Recht und nur das
Recht gepflegt wird, die Nötigung, einen strengen,
rechtlichen Maßstab an die Handlungen anderer zu
legen, woblthatig auf die herangezogenen Bürger
und mittelbar auf weitere Volkstlassen ein; das
Vertrauen zu den Gesetzen und Staatseinrichtungen
wird gehoben, das Rechtsgefühl gestärkt. Das S.
ist aber nicht die einzige Gestaltung für die Mit-
wirkung der Laien. Nach 1848 hat sich daneben in
verschiedenen deutschen Staaten das in der Ver-
einigung von Richtern und Laien zu einem Kollegium
bestehende Schöffengericht (s. d.) hauptfächlich für
minder schwere Straffälle ausgegebildet. Damit ist
auch für diejenigen, die für die Beteiligung der Laien
an der Strafrcchtspflege stimmen, die Frage ent-
standen, in welcher von beiden Formen, Schöffen-
gericht oder S., die Vorzüge mehr zur Geltung kom-
men, die Mängel mehr zurücktreten. Abgesehen von
der geringern Inanspruchnahme von Zeit und Auf-
wand der zum Gerichtsdienst berufenen Laien rühmt
man dem Schöffengericht die gegenseitige lebendige
Einwirkung der Kenntnis, Erfahrung und Urteils-
kraft des Richters einerseits, der natürlichen An-
schauung und Unbefangenheit der Laien andererseits
und gegenüber der Zwiespältigkeit in der Rechts-
sindung im S. die Einbeit des Verfahrens und der
Urteilsfällung nach. Die Gegner machen geltend,
daß die zu einem Kollegium mit dem Richter vereinten
Laien diesem gegenüber in den meisten Fällen keine
selbständige Ansicht, für Prozeßleitung und Straf-
bemessung überhaupt kein Verständnis haben, und
fürchten andererseits, daß das Schöffengericht be-
stimmt sei, das S. zu verdrängen. Dies war auch
die Absicht des ersten preuß. Entwurfs zur Reichs-
Strafprozeßordnung. Dieselbe stieß indes auf so
starken Widerspruch, daß man sich schließlich einigte,
für schwere Straffälle die S., für mittlere die ge-
lehrten Richter beizubehalten und nur die leichtern
Straffälle den Schöffengerichten zuüberweisen. Diese
dreifache Gestaltung des urteilenden Gerichts (Schöf-
fengericht, recktsgelebrte Nichter, S.) wird wohl all-
seitig als auf die Tauer nicht haltbar angesehen
werden. Für eine völlige Verdrängung des Laien-
clements aus der Rechtsprechung wird sich keine all-
gemeine Zustimmung erzielen lassen, und endlich