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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Sicilien (Insel)

angesucht hatte. Messina wurde 1061 erobert, dann Traina. 1063 machten die Pisaner Beute im Hafen von Palermo; 1064 gehorchte Val Demone den Normannen, welche dann weiter nach Westen vorrückten. Nachdem auf dem Festlande auch Bari in die Hände der Normannen gefallen war, zogen sie vor Palermo, das 1072 erobert wurde. Syrakus ward 1086 genommen, 1087 Girgenti und Castrogiovanni, und 1091 war die Eroberung der Insel vollendet. Roger (Ruggiero), der von seinem Bruder S. als Grafschaft zu Lehn erhalten hatte, starb 1101. Sein Sohn Roger II. erbte 1127 bei dem Erlöschen der Linie Robert Guiscards auch das Herzogtum Apulien (Süditalien) und ließ sich 1130 zu Palermo, der Hauptstadt seines Reichs, zum Könige von S. krönen. Unter ihm blühte die Insel mächtig auf; seine Flotten schlugen die Angriffe der Sarazenen und Byzantiner zurück. In dem nach seines Enkels, Wilhelms II., Tode 1189 ausgebrochenen Erbfolgestreit erklärten sich die Sicilier für Tancred, einen natürlichen Sohn des Herzogs Roger von Apulien und Vetter von Wilhelm II., gegenüber den Erbansprüchen des hohenstaufischen Kaisers Heinrich VI. Dieser überwand aber nach Tancreds baldigem Tode dessen Sohn Wilhelm III. und begründete die Herrschaft seines Hauses in beiden S. Der berühmteste hohenstaufische Herrscher in S. war Kaiser Friedrich II. (hier Friedrich I.), unter dessen Regierung S. der Sitz einer bedeutenden, nie wieder erreichten Kultur wurde.

Nach dem Untergang der Hohenstaufen behauptete vorübergehend Karl von Anjou seine Herrschaft in S., die aber 1282 durch das Blutbad der Sicilianischen Vesper (s. d.) gebrochen wurde. Messina schlug den Angriff Karls in heldenmütiger Verteidigung ab, und Peter III. von Aragonien, Eidam des Hohenstaufen Manfred, wurde als Peter I. Herr der Insel, die von nun an wieder 160 Jahre von Neapel getrennt blieb. In dieser Zeit geriet jedoch die Insel in tiefen Verfall durch die anhaltenden Kriege mit den Anjous von Neapel, während zugleich der zur Macht gelangte Adel ein geordnetes Staatswesen unmöglich machte. Peters I. zweiter Sohn, Jakob der Gerechte, erhielt nach seines Vaters Tode 1285 die Insel. Da er aber 1291 König von Aragonien wurde, folgte ihm 1296 auf S. sein jüngerer Bruder Friedrich II., diesem 1337 Peter II., 1342 Ludwig und 1355 dessen Bruder Friedrich III. Mit diesem erlosch 1377 die männliche Linie des aragonischen Königsstammes, und so fiel die Insel an Friedrichs III. minderjährige Erbtochter, welche 1382 nach Barcelona entführt und 1385 mit dem Prinzen Martin von Aragonien vermählt wurde. Dieser Martin I. war nach Marias Tode Alleinherrscher in S. (1402-9). Da er auch von seiner zweiten Gemahlin, Blanca von Castilien, keine Nachkommen hinterließ, so beerbte ihn sein Vater Martin II. von Aragonien, nach dessen Tode 1410 ein zweijähriges Interregnum eintrat. Hierauf wurde Ferdinand I., Infant von Castilien und König von Aragonien, Martins II. Oheim von mütterlicher Seite, König von S. Diesem folgte 1416 sein ältester Sohn Alfons (als König von Aragonien Alfons V.), der 1442 auch König von Neapel wurde und so das Königreich beider S. wiederherstellte. Die Insel blieb nun mit Spanien vereinigt (unter der aragonischen, der habsburg. und bourbonischen Dynastie), bis sie 1713 im Utrechter Frieden als Königreich S. an Victor Amadeus von Savoyen fiel. Schon 1720 gelangte sie indessen, gegen Abtretung der Insel Sardinien, an Österreich (Karl VI.), 1735 aber nebst Neapel durch den Wiener Frieden an den span. Infanten Don Carlos. Als dieser 1759 König von Spanien (Karl III.) wurde, überließ er S. und Neapel als Secundogenitur seinem dritten Sohne Ferdinand. Die Insel, während der Napoleonischen Herrschaft einziger Besitz der Bourbonen, war ein Bestandteil des Königreichs beider S. (s. den folgenden Artikel) und teilte dessen Geschicke. 1860 wurde dieselbe durch Garibaldi von der bourbonischen Herrschaft befreit und 1861 ein Bestandteil des neuen Königreichs Italien. Das seit vielen Jahren in S. eingewurzelte Räuberunwesen, welches in der Mafia (s. d.) eine förmliche Organisation besitzt, veranlaßte 1875 das Ministerium Minghetti, der ital. Kammer ein Ausnahmegesetz zur Ausrottung dieses Unwesens vorzulegen. Auch das Ministerium Depretis-Nicotera ergriff hiergegen strenge, aber zu keinem endlichen Erfolg führende Maßregeln. (Über diese vgl. O. Hartwig in den "Preuß. Jahrbüchern", 1877, Bd. 40; L. Franchetti e Sonnino, La Sicilia nel 1876, 2 Bde., Flor. 1877.) In neuerer Zeit (Ende 1893) fanden ernste Unruhen auf S. statt aus Anlaß der Erhöhung der Gemeindesteuer und infolge des großen Elends, in das die Bauern durch die Großgrundbesitzer geraten waren. Um die Mißstände abzustellen, wurde General Morra di Lavriano mit unbeschränkten Vollmachten versehen. Doch ergriff die Bewegung die Provinzen Trapani und Girgenti, und an vielen Orten wurden arge Ausschreitungen verübt, so daß 4. Jan. 1894 der Belagerungszustand über die ganze Insel verhängt wurde. Es ergab sich, daß zahlreiche ausländische Agitatoren thätig waren, und daß der internationale Socialismus bei den vorhandenen Mißständen auf S. einen nur allzu günstigen Boden gefunden hatte. Neben aller Strenge war General Morra redlich auf Erleichterung des auf der Bevölkerung lastenden Druckes bedacht. Großen Eindruck machte die Verhaftung des Abgeordneten de Felice-Giuffrida und der übrigen Häupter der von ihm gegründeten socialistischen Gesellschaft der Fasci. Völlige Ruhe ist bei der starken Bewegung im übrigen Italien, besonders in Unteritalien, nicht eingetreten.

Litteratur. Goldhann, Ästhetische Wanderungen in S. (Lpz. 1855); Amico, Dizionario topografico della Sicilia (2 Bde., Palermo 1855); Löher, Neapel und S. (2 Bde., Münch. 1864); Th. Fischer, Beiträge zur physischen Geographie der Mittelmeerländer, besonders S.s (Lpz. 1876); von Lasaulx, S., ein geogr. Charakterbild (Bonn 1879); Gregorovius, Wanderjahre in Italien (Bd. 3: Siciliana, 6. Aufl., Lpz. 1888); die Reisehandbücher von Baedeker (Unteritalien) und Gsell-Fels; J.^[oder I. ] Ellis^[Pseudonym von: Frances Elliot], Diary of an idle woman in Sicily (2 Bde., Lond. 1881); Schneegans, S., Bilder aus Natur, Geschichte und Leben (Lpz. 1886); Carta geologica della Sicilia 1:500000 (Rom 1885); Gally Knight, Saracenic and Norman remains in Sicily (Lond. 1840); Di Marzo, Belle arti in Sicilia (4 Bde., Palermo 1858); Hittorff und Zanth, Architecture moderne de la Sicile (2 Bde., Par. 1826-30); Chiesi, La Sicilia illustrata nella storia, nell' arte nei paesi (Mail. 1892); Maggiore-Perni, La popolazione di Sicilia e di Palermo del X al XVIII secolo. Saggio storico-statistico (Palermo 1893); Pais, Storia della Sicilia e della Magna Grecia, Bd. 1 (Tur. 1894).