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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Socialismus

kehrs", Braunschw. 1854), Samter ("Das Eigentum in seiner socialen Bedeutung", 1879), Stamm ("Die Erlösung der darbenden Menschheit", 3. Aufl. 1884) für Bodenverstaatlichung eingetreten war, in neuerer Zeit besonders Flürscheim (s. d.) mit größtem Eifer für diese Socialreform thätig gewesen. Flürscheim unterscheidet sich in der Theorie dadurch von Henry George, das; er meint, mit der Beseitigung der Grundrente werde auch der Kapitalzins verschwinden, in der Praxis dadurch, daß er nicht die Grundrente wegsteuern, sondern wegpachten will. Zunächst soll der Staat eine Abschätzung des gesamten Grund und Bodens zum heutigen Werte vornehmen und ihm das ewige Vorkaufsrecht zukommen, bis allmählich aller Boden in seinem Besitz ist. Der Staat soll dann den Boden so verpachten, daß dem einzelnen Pächter nur die Vergütung für seine Arbeit bleibt (Arbeitslohn); die Verfügung über die vom Boden trennbaren Objekte, die eigentliche Grundrente, soll an den Staat fallen. (S. Landliga.)

Kommunistische Gemeinden. Zu allen Zeiten sind öfters Versuche gemacht worden, die kommunistischen Grundsätze in die Praxis zu überführen. Besonders die Vereinigten Staaten von Amerika gaben seit ihrer Unabhängigkeitserklärung für alle möglichen socialistischen und kommunistischen Experimente den Boden ab; doch haben sich die meisten derselben auf die Dauer nicht halten können. Wo aber diese Gemeinden sich bis auf die Gegenwart erhalten haben, verdanken sie dies ihrem religiösen oder cölibatären Charakter; denn die meisten sind auf streng religiöser Basis errichtet und mehr eine religiöse Sekte als ein ökonomischer Musterstaat; die Mitglieder sind meist an streng religiöse Vorschriften gebunden. Gerade in der Weltflüchtigkeit, in der Ascese, in der Abwendung vom Irdischen erblicken sie ihren Hauptzweck. Außerdem haben sie zum großen Teil die Ehelosigkeit eingeführt, können also insofern nicht als Vorbild socialen Zusammenlebens dienen.

Die moderne Socialdemokratie ist solchen kommunistischen Gründungen durchaus abgeneigt: Marx und Engels hatten schon darauf hingewiesen, daß diese versuchsweise Verwirklichung der gesellschaftlichen Utopien, weit davon entfernt, in den Bereich des kritischen S. hineinzufallen, nur eine Abstumpfung des Klassenkampfes und eine Vermittelung der Klassengegensätze bedeute, den Bestrebungen der modernen Socialdemokratie also diametral entgegengesetzt seien. Nicht in einer Absonderung einer nach kommunistischen Grundsätzen lebenden Sekte, sondern in einem Hineinwachsen der ganzen Gesellschaft in die socialistische Gesellschaftsordnung erblickt sie das Heil. Auch wenn das kommunistische Experiment gelänge, müsse es seine Zwecke verfehlen, denn eine einzelne kommunistische Gemeinde müsse stets ökonomisch tiefer stehen als eine kapitalistische Gesellschaft, die den innern Markt einer ganzen Nation und daneben noch ein Stück des Weltmarktes beherrscht. Eine solche Kolonie könne sich in der heutigen Gesellschaft nur dann erhalten, wenn ihre Mitglieder verbauern und auf alle Kulturerrungenschaften der kapitalistischen Gesellschaft verzichten.

Schon die ältesten Christengemeinden hatten eine Art kommunistischer Lebensweise eingeführt. In der Apostelgeschichte wird die erste Gemeinde zu Jerusalem folgendermaßen beschrieben: "Keiner sagte von seinen Gütern, daß sie seine wären, sondern es war ihnen alles gemein.... Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wie viele ihrer waren, die da Äcker und Häuser hatten, verkauften sie dieselben und brachten das Geld des verkauften Gutes und legten es zu der Apostel Füßen; und man gab einem Jeglichen, was ihm not war." Doch sollte hiermit keineswegs das Vorbild einer kommunistischen Wirtschaftsordnung gegeben werden, da diese sog. Gütergemeinschaft eine freiwillige, keine gesetzmäßige war. Die Gemeinde verfolgte in erster Linie religiöse Zwecke, wollte aber nicht vorbildlich sein für die irdische Ordnung. Übrigens fand sich schon um das Jahr 150 vor unserer Zeitrechnung ein kommunistischer Geheimbund unter den Juden, der Bund der Essener (s. d.). Auch im Mittelalter finden wir ascetische Vereinigungen mit Gütergemeinschaft, wie z. B. die Begharden oder Beghinen (s. d.), die sich seit dem Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrh. in den Niederlanden bildeten. Es waren Bruderschaften unverheirateter Handwerker, meist Weber, die sich in eigenen Häusern zu gemeinsamem, kommunistischem Haushalt zusammenthaten. Ähnliche kommunistische Genossenschaften bildeten die Brüder des gemeinsamen Lebens (s. d.), die ebenfalls in den Niederlanden, jedoch erst zu Ende des 14. Jahrh. entstanden, gegründet von Gerhard Groot in Deventer. Ahnliche kommunistische Ideen finden sich im 15. Jahrh. bei den Adamiten (s. d.), die aber von den Hussiten, deren Ärgernis sie erregten, unter Ziskas Führung niedergemetzelt wurden. Auch bei den Wiedertäufern (s. d.) findet der kommunistische Gedanke Anklang; durch diese wird er bei der Verbreitung, welche die Ideen der Wiedertäufer im ersten Drittel des 16.Jahrh. gewannen, Princip von Volksbewegungen. Die Thüringer Bauern und Handwerker, deren Führer dann Münzer wurde, erstrebten ein Reich der Gerechten ohne Obrigkeit, Gericht und Privateigentum; vielmehr sollte der Grundsatz durchgeführt werden, daß alle Dinge gemein seien und jedem nach Notdurft, nach Gelegenheit ausgeteilt werden. Die Thüringer Revolte wurde niedergeschlagen und ebenso später der Aufstand der Wiedertäufer zu Münster, der vorübergehend zur Wiederaufrichtung eines neuen "Zion" mit Proklamierung der Gütergemeinschaft und Gestattung der Vielweiberei geführt hatte. Kommunistische Einrichtungen herrschten auch im peruanischen Inkastaat (s. Inka) und im Jesuitenstaat zu Paraguay.

Kommunistische Gemeinden wurden auch besonders durch oder im Anschluß an die drei großen Theoretiker Owen, Fourier und Cabet begründet.

Von sonstigen Versuchen sind wichtig: die Shakers, die älteste anglo-amerikanische kommunistische Gemeinde; ihre alte Gemeinde entstand 1787 zu Neu-Lebanon im Staate Neuyork. Diese Mutterkolonie ist das Vorbild aller neuen Shakergemeinden geworden, von denen gegenwärtig 58 mit durchschnittlich 70 Mitgliedern, in 7 Staaten zerstreut, bestehen. Ihre Hauptgrundsätze sind: die religiöse Erweckung (ihre Prediger, deren Befehlen alle gehorchen, werden als direkte Nachfolger Christi angesehen), Gemeineigentum und Cölibat.

Ebenfalls auf religiöser Grundlage beruht die Gemeinde der Rappisten oder Harmoniten (s. d.), die älteste deutsche kommunistische Gemeinde. Eine andere ebenfalls württemb. Niederlassung in Nordamerika sind die Separatisten, ferner amerikanisch sind die Perfektionisten zu Oneida im Staate Neuyork. Doch sind die zuletzt genannten Gemeinden