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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Spanische Litteratur

Valencia und Sevilla stehende Bühnen hatten. Die zahlreichen Vorgänger Lopes sind uns nur fragmentarisch erhalten, er verdankt ihnen mehr in den Einzelheiten, als sich direkt nachweisen läßt, bleibt aber darum doch der Schöpfer der span. Comedia (s. d.). Sein geniales Übergewicht verlieh ihr eine feste Aktteilung, die zweckmäßige Verwendung bestimmter Versarten, Einheit der Handlung, und vor allem ein richtiges Verständnis für die Bühnenwirkung und den stets lebendigen Zusammenhang mit einer aus der breiten Masse der Bevölkerung bestehenden Zuhörerschaft. Ideale und Begriffe, Formen und Inhalt sind die dem Volk vertrauten, die Bibel, Heiligenleben, die Geschichte, wie sie in der Romanze episch umgebildet war, Volksbücher, Novellen, das Leben des Hauses und der Straße, der Stadt und des Dorfes, der Höchsten wie der Niedersten. Sein Beispiel war überwältigend, Cervantes suchte ihn in seinen spätern Stücken nachzuahmen, nur bei Guillen de Castro, dessen glänzende "Mocedadas del Cid" Corneilles Vorbild wurden, zeigt sich in seinen "Mal casados de Valencia" vereinzelt eine unabhängige Richtung. Unter den ebenso zahlreichen wie fruchtbaren Nachfolgern (vgl. Barrera, Cátalogo del Teatro español, Madr. 1860) sind die ersten Namen: Luis Velez de Guevara, Mira de Mescua, Antonio Hurtado de Mendoza, Juan Perez de Montalvan, Gabriel Tellez, bekannter unter dem Namen Tirso de Molina, ein höchst humoristischer Dichter, der sich im Lustspiel mit unbeschreiblicher Grazie und Gewandtheit benimmt; Juan Ruiz de Alarcon, der sich durch originales, ernstes Denken und treffliche, oft leise satir. Sitten- und Charakterdarstellungen auszeichnet. Alle diese Dichter und vor allem Lope de Vega glänzen durch reiche Erfindungsgabe, geniale Konzeption und prägnante Naturähnlichkeit. Sie sind die eigentlichen Schöpfer des span. Dramas aus durchaus nationalen Elementen, volkstümlicher Begeisterung und einer frischen, glühenden Phantasie geworden, deren Werke nur durch ein zu künstlich verschlungenes Gewebe, öfter noch durch allzu flüchtige Komposition und mangelnde Vertiefung entstellt wurden. In Calderon, dem Dichter von "La vida es sueño", trat zu dieser Originalität und übersprudelnden Phantasie die mäßigende Reflexion und die sorgsamere Ausführung im einzelnen hinzu, und so erreichte in ihm das span. Drama seinen Höhepunkt. Seine namhaftesten Nachfolger sind Francisco de Rojas, Agustin Moreto, der Verfasser der "Doña Diana", M. Fragoso, J. B. Diamante, Antonio Coello, Alvaro Cubillo, Juan de la Hoz, Antonio de Solis, dessen eigentlicher Ruhm mehr in seinen Geschichtswerken gegründet ist, und Agustin de Salazar y Torres, Epigonen, bei welchen die Mängel dieses Theaters verstärkt hervortreten, denen aber noch mancher glückliche Wurf gelingt. Selbst als die span. Poesie zu Ende dieser Periode ihrer Ausartung durch die Culteranisten in fast gänzliche Ermattung gesunken war, trieb das Drama noch eine Nachblüte in den wenigstens noch echt span. Geist atmenden Werken von Bances Cándamo, Cañizares (1676-1750) und Antonio de Zamora, die vorzüglich die Comedia de figurón ausbildeten; des letztern "Don Juan", der eigentlich Nachahmung eines ältern Stücks von Tirso de Molina war, ist durch Mozarts Oper berühmt geworden.

Die ernste Prosa zeigt in der Geschichte neben der chronikartigen Erzählungsweise eines Guevara, Mejia, Morales, Zurita, neben den soldatisch frischen Berichten amerik. und flandr. Mitkämpfer eine Weiterentwicklung der schon früher bemerkten künstlerischen Anlehnung an lat. Muster, Sallust, Livius, Tacitus, die sich bei Hurtado de Mendoza, Moucada, Manuel de Melo, Solis zu wirklicher Bedeutung erhebt, doch nicht frei ist vom Beigeschmack des Erkünstelten. Ein vollendetes Kunstwerk in Aufbau, Darstellung und Sprache ist Marianas "Historia de España", zugleich die bezeichnendste Urkunde specifisch castil. Geschichtsauffassung. Schwerfällig gemessen erscheint der polit. Briefstil unter Karl V. in Antonio de Guevaras Mustersammlung "Epistolas familiares", stahlscharf zugeschliffen bei Antonio Perez. Stark entwickelt ist die Satire, ernst und weitsichtig in Juan de Valdes' meisterhaftem "Diálogo de Mercurio y Caron", ebenso bitter als erfindungsreich bei Quevedo. Sehr zahlreich sind moralische Traktate und Staatslehren, oft in Dialoge oder Briefe gekleidet, Antonio de Guevaras viel übersetzte Fürstenuhr (1529), romanhaft nach Art der Cyropädie, andere von Perez de Oliva, Mejia, Fernandez de Navarrete, Saavedra Fajardo, Quevedo. Auch Gracians Aphorismen können hierher gezählt werden; in seiner "Agudeza y Arte de ingenio" hat er einen Codex des Konzeptismus gegeben, der besonders von Quevedo gepflegten Kunst, in Vers und Prosa scharfsinnig mehrdeutig zu sein, welche neben dem Kultismus für die Zeit des Verfalls bezeichnend ist.

Mit ungleich viel mehr Wärme und Originalität sind geschrieben die dem Nationalgefühl so sehr zusagenden ascetischen und religiösen Erbauungsschriften von den "Dos Luises", dem Dichter Fray Luis de Leon und dem berühmten Kanzelredner Fray Luis de Granada; von der Schwester Santa Teresa de Jesus, die einen würdigen, ebenfalls als ascetischen Schriftsteller ausgezeichneten Biographen in Fray Diego de Ypes fand; und von den durch ihre religiösen Poesien nicht minder ausgezeichneten Dichtern und Prosaisten San Juan de la Cruz (deutsch von Storck, Münster 1854) und Pedro Malon de Chaide. Mit dem Feuer humaner Begeisterung und der Eleganz humanistischer Bildung verteidigte die unterdrückte Menschheit in Amerika der edle Las Casas, dessen "Historia general de las Indias" von Marqués de la Fuensanta und Sancho Rayon znm erstenmal veröffentlicht worden ist (5 Bde., Madr. 1876).

Die vierte Periode, vom 18. Jahrh. bis auf die Gegenwart, charakterisiert sich durch das Eindringen der franz. Bildung in Spanien, ihren geistigen Sieg über das ausgelebte Altnationale und den Anschluß an die Tendenzen der Aufklärungszeit; dann durch die Herrschaft der ebenfalls wesentlich vom Nachbarland kommenden Romantik, die sich mit nationalen Bestrebungen verbindet, bis endlich, bei immer noch starken Beziehungen zu Frankreich, die Romantik im engern Sinn durch eine mehr realistische Richtung abgelöst wird.

Die goldenen Tage Spaniens endeten unter Philipp IV., unter Karl II. sank das verarmte Land in völlige Erschöpfung, die durch den Erbfolgekrieg kaum noch gesteigert werden konnte. Was im Anschluß an die Vergangenheit an Epen, Novellen, Gelegenheitsdichtungen zu Tage trat, ist armselig, von Gongorismus und Konzeptismus durchdrungen; die Epigonen Calderons, welche, von den Gebildeten tief verachtet, bis in den Anfang unsers Jahr-^[folgende Seite]