Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Staatsanleihen; Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft

210

Staatsanleihen - Staatsanwaltschaft

weigert werden kann, durch ununterbrochenen zehnjährigen gewöhnlichen Aufenthalt im Auslande und in gewissen, gesetzlich bestimmten Fällen durch Expatriierung. Nach den noch bestehenden Bancroftverträgen mit der Nordamerikanischen Union von 1868 verlieren Deutsche, welche nach den Vereinigten Staaten auswandern und daselbst die S. erwerben, die deutsche S. schon nach 5 Jahren. Lassen sie sich wieder in Deutschland ohne Absicht der Rückkehr nach der Union nieder oder halten sie sich 2 Jahre daselbst auf, so brauchen sie die Staaten des Norddeutschen Bundes nicht mehr als Amerikaner zu behandeln, ohne daß sie aber von Rechts wegen wieder Deutsche würden. - Die deutsche Reichsangehörigkeit wird mit der Zugehörigkeit zu einem deutschen Staat erworben und verloren, außerdem von Eingeborenen und Ausländern in den Schutzgebieten unmittelbar durch Naturalisation vom Reich. - Vgl. Kommentar zum Gesetz vom 1. Juli 1870 von Cahn (2. Aufl., Berl. 1896). - In Frankreich ist die Gesetzgebung über S. (Code civil Art. 8, Gesetz vom 26. Juni 1889 und 22. Juli 1893) wesentlich darauf bedacht, der Abnahme der Bevölkerungsziffer vorzubeugen. Jedes in Frankreich geborene Kind, von dem ein Elternteil in Frankreich geboren ist, wird Franzose.

Staatsanleihen, s. Staatsschulden.

Staatsanwalt, Angestellter des Staates, der von Amts wegen Strafthaten verfolgt. (S. Staatsanwaltschaft.)

Staatsanwaltschaft. Der Anklageprozeß (s. Anklage), welcher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. die herrschende Form des Strafverfahrens geworden ist, erfordert zu seiner Durchführung die Vertretung der Anklage durch eine dem Angeklagten gegenüberstehende Partei. Dies kann der durch die Strafthat des Angeklagten Verletzte (s. Privatklage), oder ein beliebiger Bürger (s. Popularklage), oder, sobald der Staat die Verfolgung der Verbrechen zu seinen Aufgaben zählt, ohne wie im Inquisitionsprozeß (s. d.) Ankläger und Richter in einer Person zu vereinigen, ein dazu besonders berufener Beamter sein. Während in England noch heutzutage grundsätzlich die Verfolgung von Verbrechen Recht und Pflicht jedes Bürgers ist und selbst da, wo die Verfolgung von Staats wegen geschieht, die Anklage von dem Attorney general oder seinem Vertreter, dem Solicitor general, nur als von einem Anwalt des Ministeriums erhoben wird, hat sich in Frankreich aus Anfängen, die bis ins 15. Jahrh. zurückreichen, nach den Schwankungen der Revolution unter dem ersten Kaiserreich eine festgegliederte Anklagebehörde: Ministère public, in Deutschland S. genannt, ausgebildet, der Napoleon 1810 die im ganzen noch jetzt bestehende Verfassung gab. Hiernach bilden die S. der Generalprokurator am Kassationshofe, die Generalprokuratoren mit ihren Stellvertretern an den Appellhöfen und die Staatsprokuratoren (jetzt Procureurs de la république) bei den Gerichten erster Instanz. Der erstgenannte empfängt unmittelbar vom Justizminister seine Befehle und erteilt sämtlichen Beamten der Staatsbehörde durch die Generalprokuratoren die nötigen Weisungen.

Die deutschen Rheinlande hatten mit dem franz. Recht zugleich die S. unter unbedeutenden Abänderungen ihrer Zuständigkeit bewahrt. In der Mehrzahl der übrigen deutschen Staaten fand das Institut seit 1848, wiewohl unter Beschränkung auf das Strafverfahren, Eingang. Nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. und der Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877, sowie nach der Österr. Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 hat die S. in Deutschland und Österreich eine im wesentlichen übereinstimmende Gestaltung. Bei jedem Gericht soll eine S. bestehen; das Amt derselben wird ausgeübt bei dem Deutschen Reichsgericht durch einen Oberreichsanwalt und mehrere Reichsanwälte (s. d.), bei dem Obersten Gerichts- und Kassationshof (s. d.) in Wien durch einen Generalprokurator, bei den deutschen Oberlandesgerichten und Landgerichten (einschließlich der Schwurgerichte) durch einen oder mehrere Staatsanwälte, von denen die bei den Oberlandesgerichten in den meisten deutschen Staaten den Amtstitel Oberstaatsanwalt (s. d.) führen, bei den österr. Oberlandesgerichten durch einen Oberstaatsanwalt und bei den österr. Gerichtshöfen erster Instanz durch einen Staatsanwalt, bei den deutschen Amts- und Schöffengerichten durch Amtsanwälte (s. d.), bei den österr. Bezirksgerichten durch Beamte der S., der polit. und Polizeibehörden oder besonders ernannte "staatsanwaltschaftliche Funktionäre". Die dem ersten Beamten der S. (bei den deutschen Landgerichten meist Erster Staatsanwalt genannt) als Vertreter beigegebenen Beamten sind ohne besondern Auftrag zu allen Amtsverrichtungen desselben berechtigt. Die Oberstaatsanwälte und die ersten Beamten der S. sind berechtigt, innerhalb ihres Geschäftskreises jede Strafsache selbst zu übernehmen oder einem andern ihnen unterstellten staatsanwaltschaftlichen Beamten zu übertragen. Die S., zu deren Ämtern, abgesehen von den Amtsanwälten, nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz nur zum Richteramt befähigte Beamte ernannt werden dürfen, ist in ihren Amtsverrichtungen von den Gerichten unabhängig; die Beamten der S. sind dagegen an die dienstlichen Anweisungen ihrer Vorgesetzten gebunden. In Österreich sind die Staatsanwälte den Oberstaatsanwälten, diese und der Generalprokurator dem Justizminister unmittelbar untergeordnet; in Deutschland steht das Recht der Aufsicht und Leitung dem Reichskanzler hinsichtlich des Oberreichsanwalts und der Reichsanwälte, den einzelnen Landesjustizverwaltungen hinsichtlich aller staatsanwaltlichen Beamten ihres Staates, den ersten Beamten der S. bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der S. ihres Bezirks zu. Doch haben in denjenigen Sachen, in denen das Reichsgericht (s. d.) in erster und letzter Instanz zuständig ist, alle Beamten der S. im Deutschen Reich den Anweisungen des ihnen im übrigen nicht vorgesetzten Oberreichsanwalts Folge zu leisten.

Der Hauptberuf der S. ist die Vorbereitung, Erhebung und Durchführung der öffentlichen Klage; nach dem in §. 152 der Deutschen und §. 34 der Österr. Strafprozeßordnung zum Ausdruck gelangten Legalitätsprincip (s. d.) ist die S. verpflichtet, von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen, alle gerichtlich strafbaren Handlungen zu verfolgen; diese Verpflichtung hat ihre Grenze da, wo die ausschließliche Berechtigung der S. zur Erhebung der Anklage (Anklagemonopol) aufhört, d. h. in Österreich bei allen nur auf Begehren eines Beteiligten zu verfolgenden Handlungen, in Deutschland bei den im Wege der Privatklage zu verfolgenden Delikten. Doch kann der Staatsanwalt in Österreich auch hier auf Wunsch des Privatanklägers dessen Ver-^[folgende Seite]