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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Stellvertretung - Stelzhamer

(Stellvertretung in der Erklärung). Von diesem S. in der Erklärung unterscheidet man noch den Boten, welcher dem Gegenkontrahenten die Erklärung des S. überbringt, so daß der Vertrag unmittelbar zwischen dem Geschäftsherrn und dem Gegenkontrahenten zu stande kommt, ebenso wie wenn der Geschäftsherr, statt seine Erklärung mündlich durch den Boten zu senden, einen Brief oder ein Telegramm schickt. Der S. des gesetzlichen Vertreters (z. B. der an Stelle des behinderten Vormunds für ein einzelnes Geschäft bestellte Pfleger oder der von dem Vormund bevollmächtigte Rechtsanwalt oder der einem Beamten bestellte Vertreter) und der S. eines freien S. (der Substitut des Bevollmächtigten) vertritt direkt den Geschäftsherrn.

Heute ist Stellvertretung bei allen Rechtsgeschäften zulässig, bei denen sie nicht gesetzlich oder durch die Natur des Geschäfts ausgeschlossen ist. Ein Testament kann man nicht durch einen S. errichten.

Die Erklärungen, welche der legitimierte S. im Namen des Geschäftsherrn abgiebt, wirken so, als ob sie vom Geschäftsherrn unmittelbar abgegeben wären. Der S. wird weder berechtigt noch verpflichtet (Direkte Stellvertretung, s. d.; Deutsches Bürgerl. Gesetzb. §. 164 fg.). Der Geschäftsherr erwirbt Eigentum, dingliche Rechte und Besitz, als ob er das Rechtsgeschäft selbst abgeschlossen hätte; seine Forderungen gehen unter, wenn dem legitimierten S. gezahlt wird; aus den Verträgen des S. kann er den Gegenkontrahenten verklagen und von demselben verklagt werden u. s. w. Bei den Römern war das anders. Dort konnte der Vertreter zwar für Rechnung des Geschäftsherrn erwerben und Verpflichtungen eingehen; aber in der Regel nur so, daß er zunächst persönlich berechtigt und verpflichtet wurde; die Wirkung in der Person des Geschäftsherrn wurde dann erst durch Übertragungen des Vertreters erzeugt. Über S. bei Handelsgeschäften s. Handlungsbevollmächtigter und Prokurist. Über die Verpflichtungen des Falsus procurator s. d. Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, daß S. nicht bestellt werden zur Vornahme unerlaubter oder zur Begehung strafbarer Handlungen. Wenn jemand im Auftrage eines andern eine strafbare Handlung begeht, so wird er als Thäter, der andere als Anstifter bestraft. Das schließt aber nicht aus, daß, wenn der zu einem erlaubten Geschäft Beauftragte oder der gesetzliche Vertreter in Führung erlaubter Geschäfte diese in einer den Gegenkontrahenten oder dritte Personen verletzenden Weise führt, oder wenn er bei Gelegenheit erlaubter Geschäftsführung ein Delikt begeht, dadurch den Vertretenen vermögensrechtlich verpflichtet. Im gerichtlichen Verfahren, namentlich im Civilprozeß, tritt der gesetzliche Vertreter (s. oben) auf wie bei Abschluß von Rechtsgeschäften; der Anwaltsprozeß (s. d.) wird nur durch S., die Rechtsanwälte, geführt. Im Staatsrecht ist S. des Monarchen teils der Regent (s. d.), teils kann der Monarch bei eigener Behinderung in Führung der Regierung einen S. ernennen, wie dies in Preußen durch Friedrich Wilhelm IV. 1857 und 1858, durch Wilhelm I. 1878 und 1888 geschah. Einzelne Verfassungen, wie die bayrische und die oldenburgische, haben darüber besondere Bestimmung getroffen. S. von Landtagsabgeordneten kommen nur noch ganz vereinzelt vor. S. von Beamten werden im Fall der Beurlaubung oder der Verhinderung eines Beamten berufen. Bei dem Deutschen Reichsgericht ist eine Stellvertretung durch Zuziehung von Hilfsrichtern unzulässig. Über den S. des deutschen Reichskanzlers s. d.

Stellvertretung, die in manchen Staaten, besonders vor 1870, dem Militärpflichtigen gesetzlich erlaubte Beschaffung eines für ihn die Dienstpflicht erfüllenden Ersatzmanns. Entweder hat ersterer sich mit letzterm selbst mit Geld abzufinden, oder der Staat übernimmt gegen Zahlung einer bestimmten Summe das Beschaffen der Stellvertreter, wobei vorzugsweise ausgediente tüchtige Soldaten, die weiter dienen wollen, gewählt werden. In denjenigen Staaten, welche die allgemeine Dienstpflicht eingeführt haben, besteht S. nicht.

Über S. im jurist. Sinne s. Stellvertreter.

Stellvertretungskosten, Kosten, welche für eine Stellvertretung irgend welcher Art erwachsen. Eine allgemeine Bedeutung hat die Frage der S. für Beamte, welche durch parlamentarische Thätigkeit ihrem Amt entzogen werden und demgemäß einer Stellvertretung bedürfen. In der Konfliktszeit stellte die preuß. Regierung das Princip auf, daß die als Abgeordnete gewählten Beamten die S. selbst zu tragen hätten; auch das preuß. Obertribunal erkannte das an. Die Reichsbeamten bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag (Art. 21); deshalb fallen nach dem Beamtengesetz vom 31. März 1873, §. 14, hier die S. der Reichskasse zur Last. Dieselbe Ansicht wird von angesehenen Staatsrechtslehrern für die Wahl von Staatsbeamten in den Landtag vertreten, auch wenn das Landesgesetz solche Bestimmung nicht enthält, sofern es nach dem Gesetz zum Eintritt des Urlaubs nicht bedarf, oder wenn der Urlaub vorbehaltlos erteilt wird. Die Gesetze von Württemberg und Reuß ä. L. legen die S. dem Beamten, die von Sachsen, Baden, Braunschweig, Reuß j. L., Lippe-Schaumburg dem Staate zur Last. Thatsächlich werden sie vom Staate getragen in Bayern und jetzt auch in Preußen. Die jurist. Folgerung von den Staats- auf die Kommunalbeamten ist keine unbedingt zwingende. Specielle Vorschriften hat das Reichsrecht für Beschaffung der S. bei längerer Vertretung von gesandtschaftlichen und Konsularbeamten.

Stellwege, s. Holztransportwesen.

Stellwerke, s. Central-Weichen- und Signal-Stellvorrichtungen.

Stellwinkel, s. Schmiege.

Stelvio, Giogo dello, s. Stilfser Joch.

Stelzen (Motacillidae), eine in 9 Gattungen und einigen 40 Arten fast über die ganze Erde verbreitete Familie der Singvögel mit verhältnismäßig hohen Beinen und meist verlängertem Schwänze. Hierher gehören die Bachstelzen (s. d.) und die Pieper (s. d.).

Stelzengeier, s. Sekretär (Vogel).

Stelzenpalme, s. Iriartea.

Stelzfuß, s. Glied (künstliches). Beim Pferde heißt S. eine gerade Stellung des Fessels mit höchst unvollkommenem Durchtreten in dem Fesselgelenk infolge einer Verkürzung der Beugesehnen nach vorausgegangener Entzündung. Behandlung: Sehnenschnitt oder Beschlag mit einem Eisen, das hohe Stollen oder an der Zehe einen schnabelförmigen Fortsatz trägt (Schnabeleisen).

Stelzhamer, Franz, österr. Dialektdichter, geb. 29. Nov. 1802 zu Großpiesenham bei Ried, studierte in Graz und Wien Jura, war dann längere Zeit Erzieher, schloß sich aber später einer wandernden Schauspielertruppe an. Nach deren Auflösung lebte er ganz dem dichterischen Beruf und