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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Strafgesetzgebung

tes Gesetz über die Strafen, welche die Friedensrichter verhängen können, also über geringere Delikte, von 1880 kommt. In Ägypten gilt für die Eingeborenen ein Strafgesetzbuch von 1883, für die gemischten internationalen Gerichtshöfe ein solches von 1875, von dem übrigens das für die Eingeborenen nur wenig abweicht. 2) Das spanische Rechtsgebiet: Spanien und die span. Kolonien (Código penal 1848, revidiert 1871, neuer Entwurf von 1884), Portugal (Gesetz von 1852, in den Bearbeitungen von 1884 und 1886), die südamerik. Staaten. 3) Italien mit dem seit 1. Jan. 1890 in Kraft getretenen Strafgesetzbuch vom 30. Mai 1889 (Codice penale per il regno d'Italia), welches einerseits die Grundsätze der neuesten Strafrechtswissenschaft praktisch macht (Strafmittel mit erziehlicher Tendenz, Verweis mit Friedensbürgschaft, Hausarrest, Straf-, Ackerbau- und Industrieanstalten, Kriminal-Verwahrungshäuser), andererseits hohe Freiheits- und Geldstrafen, strenge Strafbestimmungen bei Amtsvergehen, Erhöhung der Strafe bei Rückfall, zweckmäßige Behandlung der Trunkenheit als Strafzumessungsgrund mit Scheidung der Gewohnheitstrinker u. s. w. einführt. San Marino besitzt ein Strafgesetzbuch von 1865.

III. Zur dritten Gruppe gehören: 1) Rußland. In Geltung ist das Strafgesetzbuch von 1845 in der Fassung von 1885 (voraus geht eine Revision von 1866), wozu ein besonderes Gesetzbuch über Strafen, die von den Friedensrichtern verhängt werden (in jetzt gültiger Fassung von 1885, früher 1865), kommt. Dazu kommen eine Reihe abändernder Gesetze und Specialgesetze neuester Zeit. In Bearbeitung ist ein Entwurf, welcher sich wesentlich an deutsche, jedenfalls westeurop. Gesetzgebung anschließt und an welchem Tüchtigkeit der wissenschaftlichen Grundlage, Kürze, Genauigkeit und Deutlichkeit der Sprache gerühmt wird. Die Todesstrafe wird für entbehrlich gehalten, ist aber event. für schwere Staatsverbrechen in Aussicht genommen; die Deportation auf unbeschränkte Zeit ist beibehalten für solche Handlungen, "welche keine sittliche Verkommenheit bekunden, sondern ihren Grund in Verirrungen, Sichhinreißenlassen, in gesellschaftlichen Vorurteilen oder Fanatismus haben, welche Gewohnheit zum Müßiggang und lasterhaften Lebenswandel nicht verraten". (Die Verschickung polit. Verbrecher auf administrativem Wege bleibt unberührt.) 2) Montenegro. Gesetzbuch Daniels I. vom 23. April 1855, besonders bemüht, die Blutrache (s. d.), welche sich dort bis auf die Gegenwart erhalten hat, zurückzudrängen, ist fast ganz durch Gewohnheitsrecht abgeändert oder beseitigt. Gewohnheitsrecht beherrscht die Rechtsbildung und hat die Blutrache erhalten, begreiflich bei einem äußerst konservativen Gebirgsvolke, das erst seit einem Menschenalter in europ. Kultur getreten ist. Dem montenegrin. Bluträcher erscheint die Blutrache als religiöse und heilige Pflicht; deshalb genügt ihm eine etwaige staatliche Bestrafung nicht. 3) Japan hat seit 1881 ein wesentlich der westeuropäischen S. sich anschließendes Gesetzbuch (engl. Übersetzung 1882); bereits liegen Revisionsentwürfe vor. 4) China. Die älteste S. datiert aus dem Zeitalter Yüs, des Stifters der Hiadynastie (2207 v. Chr.). Er statuierte die 5 Strafen: Brandmarkung im Gesicht, Abhauen der Nase, die Palaststrafe (Kastrieren der Männer, Einsperrung der Frauen), Abschneiden der Füße, Tod. Elf Jahrhunderte später der Tscheuli, Strafgesetzbuch für die einzelnen Beamtenklassen und Ordnung der Gesetzesübereinstimmung und -Publikation. Das heutige Strafensystem findet sich bereits in der Gesetzgebung der Suidynastie (6. Jahrh. v. Chr.), und das heute maßgebende Strafgesetzbuch ist der Tatsinglüli, das Gesetzbuch der mandschurischen Tsingdynastie (seit 1644). Strafen sind: Züchtigung mit dem Bambus (groß und klein), Verbannung (zeitige und immerwährende), Tod (Enthauptung und Erdrosselung). Spuren des Blutracherechts finden sich in der Bestimmung, daß Sohn und Enkel den Mörder des Ascendenten unmittelbar nach der That straffrei töten dürfen, und daß dem Ehemann gegenüber der ehebrecherischen Frau und dem Ehebrecher ein Tötungsrecht in flagranti zusteht. Ferner sind festgesetzt: Todesstrafe für das Kind, das Vater, Mutter oder die väterlichen Großeltern schlägt, für den Incest innerhalb gewisser Verwandtschaftsgrade, für Grabschändung durch Leichenenthüllung, für erheblichere Beamtenbestechung, Erpressung und Pflichtverletzung. Bambusstrafe für Verletzung der Verwandtschaftspflicht durch Unterlassung der gebotenen Familientrauer (3 Monate bis 3 Jahre), für Verlassen von gebrechlichen Ascendenten und für Verletzung der Vorschriften über Beerdigung. Strafbar ist auch, und das erinnert an die neueste deutsche Socialgesetzgebung, der Beamte, welcher für einen krank gewordenen Arbeiter bei öffentlichen Werken nicht sorgt, und überhaupt muß für Witwen, Waisen und Gebrechliche Fürsorge getroffen werden, sobald sie keine Verwandte haben, welche sie unterstützen können.

Die internationale kriminalistische Vereinigung hat eine rechtsvergleichende Darstellung der S. der Gegenwart in Angriff genommen, wovon der erste Band: "Das Strafrecht der Staaten Europas", hg. von von Liszt (Berl. 1894), bereits erschienen ist. Er zeigt, daß trotz aller lokalen, polit., religiösen, sittlichen und histor. Unterschiede in der Hauptsache alle europ. Strafrechte von denselben Grundgedanken beherrscht sind. Im kleinen sind diesem Werke ähnlich die von Stooß verfaßten "Grundzüge des (bisherigen kantonalen) schweiz. Strafrechts" (2 Bde., Basel und Genf 1892 u. 1895).

Vgl. von Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts (8. Aufl., Berl. 1897), und die dort citierte Litteratur; Wachenfeld, Die Begriffe von Mord und Totschlag in der Gesetzgebung (Marb. 1890): Geyer und Merkel in von Holtzendorffs "Encyklopädie der Richtswissenschaft" ^[richtig: Rechtswissenschaft] (5. Aufl., Lpz. 1890): Stephen, Über den gegenwärtigen Stand des engl. Strafrechts (in der "Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft", Bd. 1; in dieser Zeitschrift auch über andere neue ausländische Entwürfe, z. B. über den Rußlands, Bd. 3, 4, 6); S.Mayer, Entwurf eines Strafgesetzbuchs für England, Separatabdruck aus der Gerichtshalle (Wien 1878); Aschrott, Strafensystem und Gefängniswesen in England (Berl. und Lpz. 1887): Wesnitsch, Die Blutrache bei den Südslawen (in der "Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft", Bd. 8 u. 9, Stuttg. 1888 u. 1889); Kohler, Das chines. Strafrecht (Würzb. 1886); Post, Grundriß der ethnolog. Jurisprudenz (2 Tle., Oldenb. und Lpz. 1894 u. 1895); Stenglein, Appelius und Kleinfeller, Die strafrechtlichen Nebengesetze des Deutschen Reichs (2. Aufl., Berl. 1895); Abhandlungen in der "Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft" und im "Jahrbuch der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre".