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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Strafrechtstheorien; Strafregister

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Strafrechtstheorien - Strafregister

Erlangen 1889-95); Schmidt, Aufgaben der Strafrechtspflege (Lpz. 1895).

Strafrechtstheorien. Die Untersuchung der Frage nach Ursprung und Zweck der Strafe hat zur Aufstellung verschiedener S. geführt. Man unterscheidet: 1) Absolute Theorien (Rechtfertigung der Strafe aus ihrem Grunde). 2) Relative Theorien (Rechtfertigung der Strafe aus ihrem Zwecke). 3) Vereinigungstheorien (Rechtfertigung der Strafe aus Grund und Zweck). 1) Absolute S. Ihre hervorragendsten Vertreter sind Kant, Hegel und Herbart. Nach Kant ist das Strafgesetz ein kategorischer Imperativ, das einzig richtige Strafmaß das Wiedervergeltungsrecht. Nach Hegel ist Verbrechen die Negation des Rechts, Strafe die Negation der Negation des Rechts, also Position des Rechts, Wiederherstellung des Rechts. Neuere Vertreter dieser S. sind Berner, Hälschner; auf viele andere und bedeutende Strafrechtslehrer ist sie von erheblichem Einfluß gewesen. Hierher gehört auch die Strafrechtstheorie, welche die Strafe unmittelbar von Gott ableitet, ihre Vollziehung als Vollziehung eines göttlichen Befehles auffaßt (Friedr. Jul. Stahl, s. d.). - 2) Relative S.: Abschreckung; die alte Theorie der Abschreckung oder Generalprävention rechtfertigt die Strafvollstreckung durch den Schrecken, welcher dadurch den andern vor Verübung von Verbrechen eingeflößt wird; während Feuerbach mit seiner Theorie des psychol. Zwangs und Bauer mit seiner Warnungstheorie das Strafgesetz mit seiner Androhung der Strafe, die natürlich dann auch vollstreckt werden muß, wenn die bloße Androhung nichts geholfen hat, abschreckend wirken läßt. Die Specialpräventionstheorie rechtfertigt den Strafvollzug damit, daß der Verbrecher entweder dadurch an weiterer Verübung von Verbrechen thatsächlich (durch die Todesstrafe, Einsperrung u. s. w.) verhindert oder von weiterer Begehung von Verbrechen abgeschreckt wird. Dasselbe Resultat will die Besserungstheorie durch die sittliche Erziehung des Verbrechers mittels der Strafvollstreckung erreichen. 3) Vereinigungstheorien. Sie haben unter den jüngern Kriminalisten viele Anhänger. Man geht davon aus, daß mit der Aufstellung einer bestimmten Strafrechtstheorie etwas Greifbares für die Lösung der fragwürdigen Probleme heutigen Rechtslebens nicht zu gewinnen ist (Mittelstadt). Die Strafe soll den Bedingungen, aus denen das Verbrechen entsprang, nach Möglichkeit angepaßt sein. Danach wird, je nach Lage des Einzelfalles, dieser oder jener Strafzweck (Abschreckung, Warnung, Besserung, Unschädlichmachen) in den Vordergrund treten. Insbesondere ist es die beabsichtigte Wirkung auf den Verbrecher (Gelegenheitsverbrecher, Gewohnheitsverbrecher), welche Inhalt und Umfang der Strafe bestimmt. (S. auch Kriminalanthropologie und Internationale kriminalistische Vereinigung.) - Litteratur s. Strafrecht.

Strafregister, Bezeichnung für ein nach bestimmten Formularen geführtes Verzeichnis, in welches alle richterlichen Strafbefehle, polizeilichen Strafverfügungen, Strafurteile der bürgerlichen Gerichte u. s. w. eingetragen werden. Es ist von großer Wichtigkeit unter andern für den Richter, um die Vorbestrafungen zu ermitteln, zur Kontrolle über Verlust der Wahlberechtigung und Wahlfähigkeit, der Fähigkeit, im Heere oder der Marine zu dienen, sowie über die Moralität anzustellender oder angestellter Personen. Die Anregung gab in Frankreich der berühmte Kriminalist Bonneville de Marsangy zu den seit Mitte des 19. Jahrh. eingeführten casiers judicaires, welche für Inländer bei dem Gerichte des Bezirks des Geburtsortes, für Fremde und in den transatlantischen Kolonien Geborene im Justiz- und Kultusministerium (bureau de la statistique) zu Paris geführt werden. Die franz. Einrichtung hat Nachahmung in andern Staaten gefunden.

Nach Vorgang einiger deutschen Staaten (Bayern, Baden, Württemberg, Sachsen), welche in ähnlicher Form eine gewisse Centralisation solcher Notizen durchführten, entschied sich der deutsche Bundesrat für diese Einrichtung und erließ eine Verordnung vom 16. Juni 1882, betreffend die Einrichtung von S. und die wechselseitige Mitteilung der Strafurteile. Dieselbe trat 1. Okt. 1882 in Kraft. Es sind danach S. zu führen: 1) bei den von den Landesregierungen zu bestimmenden Behörden (in Preußen und den meisten andern deutschen Staaten bei der Staatsanwaltschaft, in Elsaß-Lothringen jedoch bei den Gerichtsschreibereien der Landgerichte, in Sachsen und Baden bei den Amtsgerichten, in Bayern und Bremen bei den Amtsanwälten, in Württemberg bei den Ortsvorstehern) bezüglich aller Personen, deren Geburtsort im Bezirk derselben gelegen ist; die Leitung der Registerführung liegt in allen Fällen der Staatsanwaltschaft bei den Landgerichten ob; 2) bei dem Reichsjustizamt bezüglich derjenigen, deren Geburtsort außerhalb des Reichsgebietes belegen oder nicht zu ermitteln ist. Die an diese Stellen zu sendenden Strafnachrichten werden in den Registern in den übersandten Urschriften alphabetisch geordnet und verschlossen aufbewahrt. Sie sind nach dem Tode der betreffenden Personen oder nach Überschreitung ihres 70. Lebensjahrs aus dem Register zu entfernen, anderweit (in Preußen zehn Jahr) aufzubewahren und demnächst zu vernichten. Gerichtlichen und andern öffentlichen deutschen Behörden ist auf jedes, eine bestimmte Person betreffende Ersuchen über den Inhalt der Register kostenfrei amtliche Auskunft zu erteilen. Unberührt bleiben die Vorschriften, wonach einzelnen ausländischen Regierungen die Verurteilungen ihrer Staatsangehörigen vertragsmäßig mitzuteilen sind. Das Nähere ist in Ausführungsverfügungen zu ordnen; eine solche erging 12. Juli 1882 für Preußen, ergänzt namentlich auch behufs Benutzung der S. zur Ermittelung steckbrieflich verfolgter Personen vom 6. Okt. 1887 und behufs Ausscheidung Verstorbener durch Mitteilungen der Standesämter vom 3. Nov. 1890.

In den meisten neuern Auslieferungsverträgen ist die Übersendung von Straflisten, welche die Angehörigen des andern Kontrahenten betreffen, vereinbart. Auf dem dritten internationalen Gefängniskongreß (im Sept. 1885 zu Rom abgehalten) wurde die Notwendigkeit einer einheitlichen Regulierung dieser Materie zwischen den civilisierten Staaten anerkannt. Ehe eine solche sich auf einer diplomat. Konferenz, wenigstens für bestimmte Punkte, erzielen läßt, sind andere Maßregeln lebhaft zu begrüßen, wie namentlich die gegenseitige Mitteilung von Verbrecheralbums und die von Alphonse Bertillon zu bewundernswürdiger Exaktheit ausgebildete und seit 1882 in Paris eingeführte Methode, anthropometrische Messungen zur Wiedererkennung rückfälliger Verbrecher zu verwerten. Das wichtigste an dem Bertillonsystem ist die Ordnung der über die Messungen der einzelnen Körperteile aufgenommenen Zählkarten. Im Juni 1897 fand in Berlin eine Kon-[folgende Seite]