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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Theater

Noch aber hatte die attische Bühne nicht aufgehört, die Grundformen der christlichen zu bestimmen. Die drei Zugänge hatten sich zu drei Durchsichten von prächtiger röm. Architektur erweitert, deren wandelbare Ferne, namentlich die der mittlern, fort und fort die dekorative Ortsbestimmung übernahm. Auch die Emporbühne der Galerien und Balkone war noch nicht verschwunden. Die großen Rollwände oder der teilbare Vorhang, welcher die Hinterbühne verhüllte oder plötzlich eröffnete, bot Gelegenheit zur Entfaltung glänzender dekorativer Effekte. In dem ital. Operntheater des 17. und 18. Jahrh. wurden außer dem Proscenium, der architektonischen Umrahmung des Bühnenraums, seitliche Coulissen (s. d.) aufgestellt, die nach hinten vorrückend durch einen Hintergrund abgeschlossen wurden. Der Bühnenraum erhielt dadurch eine außerordentliche Vertiefung, so daß sich sowohl für größere Schauspielermengen als für Maschinerie genügender Platz bot. Berühmt waren namentlich die venezianischen T.; in San Crisostomo war z. B. die Bühne gegen 20 m breit und 23 m tief. Die ital. Maler, namentlich der Bologneser Schule, verstanden es, durch Coulissen und Versetzstücke auf der Bühne großartige Raumwirkungen zu erzeugen, die an sich schon eine Sehenswürdigkeit boten. Durch ital. Meister ausgebildet, errichteten deutsche Architekten in den "Stadeln" die scenia di comedia zu Ulm, Augsburg, Nürnberg u. s. w. Aber dies deutsche T. des 17. Jahrh. benutzte eine "Scena oder Brucken", welches der modernen flachen Bühne gleicht. Sie hat Vorhänge, ein hinter 6 Fuß hoher Wand verstecktes Orchester, prismatische Seitencoulissen und hinter dem teilbaren "hintern Rahmen" (Rückwand) einen offenen "Graben" bekommen, von wo aus, wie bei den modernen mechanischen T., bewegliche Erscheinungen, Schiffe, Seeungeheuer u. s. w. von unten her auf Rollen fahrend bewegt werden. Ferner hat sie seitlich durch die Coulissen gedeckte Hebwerke, sowie noch heute das Flugwerk im Oberammergauer Spiel, auf dem der Engel auf und nieder schwebt, der Heiland gen Himmel fährt; sie hat Obermaschinerie ("Zwerchbalken") mit kunstreicher, durch wassergefüllte Glaskugeln verschärfter Ober-, Unter- und Seitenbeleuchtung u. s. w.

Die Ansprüche an die ergänzende Phantasie des Publikums wurden geringer; man suchte dem Beschauer die scenischen, meist phantastischen Vorgänge durch mechan. Bühneneinrichtungen vorzuführen. In den Opern und Jesuitenspielen hat sich die Erfindungskraft 100 Jahre lang an den reichsten architektonisch oft sehr bemerkenswerten Dekorationen sowie an den verwickeltsten Mechanismen versucht. So entstand im Laufe des 18. Jahrh. die Bühne mit darunterliegendem Keller, der sog. Untermaschinerie in 2-4 übereinanderliegenden Abteilungen, mit Freifahrten, Schlitzen, Versenkungen, Klappen im Bühnenpodium, welches meist schräg nach vorn abfallend ausgeführt wurde, mit einem hohen Aufbau und darüber befindlichen Schnürboden zum Emporziehen der Soffiten, d. h. derjenigen Dekorationsstücke, die den Bühnenraum nach oben abschließen und aus senkrecht hängenden, nach den Principien der Theaterperspektive (s. d.) bemalten Flächen bestehen, ferner mit Maschinengalerien längs der Seitenwände und vielen dieselben oberhalb verbindenden Brücken. Diese Räume waren angefüllt mit Vorrichtungen zur Bewegung der Dekorationen und Personen und mit Beleuchtungskörpern.

Die künstlerische Gestaltung des modernen T. wurde zuerst in Italien versucht, wo Palladio (s. d.) im Teatro Olimpico zu Vicenza äußerst geistvoll sich bemühte, die antike Einrichtung wieder aufzunehmen, indem er ein mit drei Thoren sich öffnendes prachtvolles Scenenhaus und von diesem aus fünf nach hinten sich verengende Gaffen in Reliefperspektive errichtete. Die Zuschauer saßen auf steil aufsteigenden, im Flachbogen gebildeten Stufen. Das Teatro Farnese in Parma (von Alcotti 1618) ist schon in einen oblongen Saal eingebaut, dessen eine Hälfte durch ein Proscenium abgeteilt wurde, während die andere hufeisenförmig drei Ränge umgeben. Das T. hinter den Uffizien zu Florenz von Buontalenti (geb. 1536, gest. 1608) und seinen Schülern Giulio Parigi und Migliori brachte die Bühneneinrichtung auf jene Höhe, die die zeitgenössische Oper zu fordern begann. Berühmt waren im 18. Jahrh. die T. zu Venedig, bei welchen die Versenkungen, plötzlichen Verwandlungen, Wechsel der Prospekte zuerst zu vollendeter Durchführung kamen. Giacomo Torelli (geb. 1608, gest. 1678), Francesco Guitti (baute 1638 das T. zu Ferrara), Micchetti glänzten als Baumeister sowohl wie als Maler von Dekorationen. In Bologna entwickelte sich darauf die Schule der Theaterbaumeister, welche im 18. Jahrh. fast alle Bühnen Europas beherrschte. So errichteten Tomaso Giusti 1686 das T. zu Hannover, Francesco Saturini das zu München; Alessandro und Girolamo Mauro, namentlich aber die gefeierte Familie Galli Bibiena (s. d.) brachten das System zur Blüte. Der Zuschauerraum war in den von den Italienern gebauten T. (Teatro reale zu Mantua von Galuzzi, zu Prag von Giuseppe G. Bibiena, Teatro Manzoni zu Pistoja, Communale zu Bologna [1756-63], Pergola zu Florenz von Antonio G. Bibiena und zahlreichen andern) meist hufeisenförmig im Grundriß behandelt. Der Hof saß im Parterre, die erste Reihe Logen war für die Hofdamen, die obern für die meist geladenen Zuschauer bestimmt. Das Proscenium war bereits in moderner Weise ausgestaltet, die Bühne sehr geräumig. Großartig und bisher nicht wieder erreicht war die scenische Einrichtung, in der phantastische Architekturen die Hauptrolle spielten. Auch nach Frankreich, England, Spanien, Rußland brachten Italiener die Bauart ihrer T.; die alte Comédie française im Faubourg St. Germain baute aber 1687 François Dorbay (gest. 1697). Auch hier waren schon die Logen in drei Ränge verteilt, der hintere stark erhöhte Teil des Parterre aber für Stehplätze eingerichtet. Das bescheidene Proscenium ragte weit in den Saal hinein, weil auf beiden Seiten der Bühne die bancs du théâtre standen, bevorzugte Sitzreihen, die für die Schauspieler selbst auf der Bühne nur 5 m frei ließen. Die Opernhäuser im Louvre, in Versailles waren dagegen ganz nach ital. Weise eingerichtet. In der Mitte des 18. Jahrh. begann das T. dem Klassicismus und mit diesem größerer Einfachheit und Strenge sich zuzuneigen. Francesco Scipione Maffei (s. d.) führte diesen Geschmack zuerst am Teatro Filarmonico zu Verona durch, Giovanni Nicolo Servandoni (geb. 1695, gest. 1766) und sein Lehrer Giovanni Paolo Panini (geb. 1691, gest. 1765) brachten ihn in Paris, Dresden, London und damit in der ganzen Welt zum Siege, namentlich in Hinsicht auf die scenische Einrichtung; das neue T. zu Versailles (1770 von Gabriel) zeigt ihn bereits vollkommen durchgeführt. (Vgl. Gurlitt, Geschichte