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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Thorwaldsen

und 1793 die große goldene Medaille und gewann dadurch in dem Staatsminister Grafen Reventlow einen Beschützer. Im März 1797 kam er nach Rom, wo damals Canova und Carstens lebten; besonders die Arbeiten des letztern lenkten seinen Blick auf die ideale Schönheit der antiken Plastik. Am Ende seines auf drei Jahre festgesetzten röm. Studienaufenthalts hoffte T. noch vor seiner Rückkehr durch eine Figur des Jason einen Beweis seiner Fortschritte abzulegen; die in übernatürlicher Größe 1803 hergestellte Arbeit erregte allgemeine Bewunderung. (S. Tafel: Skandinavische Kunst III, Fig. 3.) Dennoch wäre T. ins Vaterland zurückgekehrt, wenn nicht vor der (zufällig um einen Tag verschobenen) Rückreise der Engländer Th. Hope den Jason in seiner Werkstatt gesehen und die Ausführung in Marmor bestellt hätte. Damit war T.s Glück gemacht; es wurden ihm nun mehr und mehr Bestellungen zu teil. Mit Canova, der seine Verdienste anerkannte, stand er fortwährend in freundschaftlichem Verhältnis. Zu seinen vorzüglichsten Schöpfungen auf dem Gebiete des klassischen Reliefstils, den er neu belebte, gehört das Gipsmodell zum Fries (17,5 m lang) des sog. Alexanderzugs (Siegeseinzug Alexanders d. Gr. in Babylon), welches T. in der kurzen Zeit von drei Monaten zum Zweck der Ausschmückung des Quirinals beim beabsichtigten, aber dann nicht erfolgten Besuche Napoleons I. in Rom (1812) ausführte (Stiche von Amsler mit Beschreibung von L. Schorn, Münch. 1835, und mit Text von Lücke, Lpz. 1870). Der König von Dänemark übertrug T. die Ausführung desselben in Marmor für das Schloß Kristiansborg in Kopenhagen. Ein zweites Marmorexemplar (1818-28) kam in den Besitz des Grafen Sommariva und befindet sich in der Villa Carlotta (s. Cadenabbia) am Comer See. (Die bedeutungsvollste Gruppe des Zuges veranschaulicht Fig. 4 der beigefügten Tafel.) Ferner sind von seinen Reliefs zu nennen: vier aus dem Leben des Achilleus, zwei Reliefs: Morgen und Nacht (s. ebd., Fig. 1 u. 3), vier Reliefs: die vier Jahreszeiten, eins: die Alter der Liebe. Unter seinen statuarischen Einzelwerken erlangten besondern Ruf: die Venus (drei Exemplare in Marmor für England ausgeführt), die drei Grazien, die Hebe, der sitzende Hirtenknabe und Merkur als Argustöter (1818). Für Luzern führte er einen an seinen Wunden sterbenden Löwen aus (von ihm 1819 in Gips, von einem andern Bildhauer 1821 in die natürliche Sandsteinwand gearbeitet), als Denkmal für die 10. Aug. 1792 bei Verteidigung der Tuilerien gefallenen Schweizergarden. 1819 trat er eine Reise durch Deutschland nach Dänemark an, die einem Triumphzuge glich. In Kopenhagen 3. Okt. 1819 angelangt, wurde er von der Kommission für den Wiederaufbau der Frauenkirche in Kopenhagen wegen des plastischen Schmucks in Anspruch genommen. T. lieferte hierfür den predigenden Johannes im Giebelfelde des Vorbaues, einen Fries am Eingänge (den Einzug Christi in Jerusalem darstellend), die Kolossalfiguren Christi und der 12 Apostel im Langhause und den Taufengel im Chorraum. Im Aug. 1820 kehrte T. von neuem nach Rom zurück über Berlin, Dresden, Breslau, Warschau, woselbst ihm das Reiterstandbild des Fürsten Joseph Poniatowski (im Schloß des Fürsten Paskewitsch in Homel bei Minsk) und das Bronzestandbild des Kopernikus (1822 errichtet) übertragen wurde und er auch den Kaiser Alexander I. porträtierte, Krakau, wo er unter anderm ein Marmorstandbild des Grafen Wladimir Potocti im Dom (s. Tafel: Skandinavische Kunst III, Fig. 1), und Troppau, wo er das Denkmal für den Fürsten Schwarzenberg übernahm, und endlich Wien. Auch das prächtige Grabmal für Papst Pius VII. in der Peterskirche zu Rom (linke Seitenfigur s. Fig. 2 der beigefügten Tafel) stammt von ihm. Ein Besuch des damaligen Kronprinzen, nachherigen Königs Ludwig I. von Bayern brachte ihn in noch engere Freundschaftsbeziehungen zu diesem. Infolgedessen besuchte T. München. Auch von hier nahm er mehrere Bestellungen mit nach Rom, bis er 1838 abermals eine Reise nach Kopenhagen unternahm, wozu ihn hauptsächlich die daselbst beabsichtigte Gründung eines Museums für seine Werke und Kunstschätze veranlaßte. Eine kurze Reise nach Rom ausgenommen, lebte er nun bis an sein Ende in Kopenhagen. Er starb plötzlich 24. März 1844 während einer Vorstellung im Theater.

Seine letzten großen Werke waren das Grabmal (Marmorstatue) des Herzogs von Leuchtenberg in der Michaels-Hofkirche zu München, die Statue Christians IV. im Hofe des Schlosses Rosenborg, die Statue Gutenbergs in Mainz (1837), Schillers in Stuttgart (1839), das Reiterbild Kurfürst Maximilians I. in München (1839), die sitzende Statue Lord Byrons in Cambridge und das Standbild Konradins von Schwaben in der Kirche Sta. Maria del Carmine zu Neapel (vollendet 1847 von Schöpf). Gegen 200 Basreliefs, gegen 100 Büsten, 15 Porträtstatuen, etwa 60 Statuen aus dem griech. Mythus und der christl. Offenbarung, etwa 10 Grabmäler hat er gefertigt. Als Künstler gebührt T. der Ruhm, den Geist der antiken Plastik wieder in die moderne Skulptur eingeführt zu haben. Auch zeichnet ihn ein gediegener Geschmack und hohe technische Meisterschaft aus. 1875 wurde ihm zu Reykjavik auf Island ein Denkmal gesetzt. T. war nicht verheiratet (von der Anna Maria Magnani hatte er eine Tochter, geb. 1813); zum Erben seines Nachlasses, namentlich seiner sämtlichen Kunstwerke und Kunstschütze setzte er den Staat mit der Bedingung ein, daß zu Kopenhagen ein eigenes Gebäude zur Aufbewahrung dieser Arbeiten gebaut werde. Dies geschah auch nach einem von Bindesböll entworfenen Plane: das Gebäude ist aus vier Flügeln gebildet, die einen freien Raum mit der Grabstätte des Meisters (seit 1848) umschließen. Nachdem schon vorher alle Kunstschätze T.s aus Italien nach Dänemark gebracht waren, erfolgte 1846 die Eröffnung des Thorwaldsen-Museums. Einen Katalog desselben verfaßte Müller (5 Sektionen, Kopenh. 1849-51); eine Sammlung von Lithographien (120) sämtlicher Werke T.s in der Ordnung, wie sie im Museum aufgestellt sind, gab Holst im "Musée Thorwaldsen" (Kopenh. 1852).

Von Publikationen seiner Werke sind zu nennen: J. M. Thieles Kupferwerk in vier Bänden mit Text (deutsche Ausg., 2 Bde., Lpz. 1832 u. 1834), S. Müller, T., Hans Liv og Hans Vœrker (Kopenh. 1893). - Vgl. Thiele, T.s Leben (dänisch, Kopenh. 1851-56; deutsch, 3 Bde., Lpz. 1852-56); ders., T.s Ungdomshistorie (Kopenh. 1851); T. i Rom (ebd. 1852); ferner E. Plon, T., sa vie et son œvre (Par. 1867; 2. Aufl. 1874; deutsch von Münster, Wien 1875); Wilckens, Troeck af T.s Konstner- og Omgangsliv (Kopenh. 1874; deutsch von Schorn, ebd. 1875); Hammerich, T. und seine Kunst (aus dem Dänischen, Gotha 1876); Lange, T.s Darstellung des Menschen (deutsch, Berl. 1894); Rosenberg, Thorwaldsen (Bielef. 1896).