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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ungarn (Geschichte)

Instanz das königl. ungar. Ministerium des Innern in Budapest, dem die 63 Komitate (s. obige Tabelle) und 25 mit Municipalrecht bekleideten königl. Freistädte unterstehen. Unter den Komitaten stehen (1895) 106 Städte mit geordnetem Magistrat und 410 Stuhlbezirke (Stuhlrichterämter) als Verwaltungsbehörden erster Instanz, dann 1876 Groß- und 10661 Kleingemeinden. Die Zahl der Kreisnotariate beträgt 2537, der Pußten und Ansiedelungen 18403.

Über Verfassung, Finanzwesen, Gerichtswesen, Kirchenwesen, Zeitungswesen s. die betr. Abschnitte beim Artikel Österreichisch-Ungarische Monarchie.

Über das Heerwesen, s. Österreichisch-Ungarisches Heerwesen.

Das Gesamtwappen der Länder der ungar. Krone ist ein gevierterter Hauptschild mit einem gespaltenen Mittelschild. Der gespaltene Mittelschild enthält das Wappen des Königreichs U., nämlich rechts ein Feld achtmal in Rot und Silber quergeteilt, links in Rot auf einem dreifachen grünen Hügel, dessen mittlere höhere Spitze mit einer goldenen offenen Krone bedeckt ist, ein silbernes Doppel-(Patriarchen-)Kreuz. Der Hauptschild ist vierfach geteilt und enthält die Wappen der übrigen Länder der ungar. Krone. Das obere rechte Feld (Kroatien) ist 25mal von Silber und Rot geschacht; das obere linke Feld (Dalmatien) zeigt in Blau drei goldene gekrönte Leopardenköpfe, zwei über einen gestellt: das untere rechte Feld (Slawonien) ist durch zwei silberne, wellenförmig gezogene Binden (die Flüsse Save und Drave) geteilt, im mittlern roten Teil ein naturfarbener Marder nach rechts laufend, im obern blauen Teil ein goldener sechseckiger Stern (Mars), der untere blaue Teil ist leer: das untere linke Feld (Siebenbürgen) ist durch einen roten Querbalken geteilt, oben in Blau ein wachsender schwarzer Adler mit goldenem Schnabel und roter Zunge (ungar. Nation), begleitet rechts von einer (jetzt durch den Mittelschild verdeckten) goldenen Sonne und links von einem nach links gewendeten silbernen Halbmond (Szekler Nation), unten in Gold sieben rote Kastelle mit je zwei schwarzen Fenstern und einem schwarzen Thor, vier über drei gestellt. Den Schild deckt die St. Stephanskrone; als Schildhalter dienen zwei Engel mit silbernen wallenden Gewändern. Das Schild ist von der Kette des Stephansordens umhangen. (S. Tafel: Wappen der wichtigsten Kulturstaaten, Fig. 3, beim Artikel Wappen.) Über die Wappen der Kronländer s. die Tafel: Wappen der Österreichisch-Ungarischen Kronländer, Fig. 18, beim Artikel Österreichisch-Ungarische Monarchie.

Die ungar. Nationalfarben sind Rot-Weiß-Grün. Ein ungar. Orden ist der Stephansorden (s. d.).

Litteratur. Fényes, Magyarország stastikája (3 Bde., Pest 1840-43); ders. Magyarország leirása (2 Bde., ebd. 1847); Joh. Hunfalvy, A magyar birodalom természeti viszonyainak leirása (Beschreibung der Naturverhältnisse U.s, 3 Bde., ebd. 1863-65); K. Keleti, Hazánk es népe (Unser Vaterland und sein Volk, ebd. 1871); J. H.^[Johann Heinrich] Schwicker, Das Königreich U. (Wien 1886); Heksch, Illustrierter Führer durch U. und seine Nebenländer (ebd. 1882); Baedeker, Österreich-Ungarn (24. Aufl., Lpz. 1895). Für die ethnogr. Verhältnisse vgl. Czoernig, Ethnographie der österr. Monarchie (2 Bde., Wien 1855-57); Rösler, Dacier und Romänen, eine geschichtliche Studie (ebd. 1866); H. I.^[Hermann Ignaz] Bidermann, Die ungar. Ruthenen (Innsbr. 1862); Löher, Die Magyaren und andere Ungarn (Lpz. 1874); Hunfalvy, Magyarország ethnographiája (Ethnographie U.s, Budapest 1876; deutsch von Schwicker, ebd. 1877); Hunfalvy, Die Ungarn oder Magyaren (Wien und Teschen 1881); Schwicker, Die Deutschen in U. und Siebenbürgen (ebd. 1881); ders., Die Zigeuner in U. und Siebenbürgen (ebd. 1883); Vámbéry, Ursprung der Magyaren (Lpz. 1883); Statist. Handbuch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (Neue Folge; deutsch und ungarisch, Wien 1888 fg.); Jekelfalussy, A magyar korona országainak helységnévtára (d. i. Ortslexikon der Länder der ungar. Krone, 5. Aufl., Budapest 1893); Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Ungarn, Bd. 1 u. fg. (Wien 1888 fg.); Veröffentlichungen des königl. Statistischen Bureaus in Budapest, insbesondere die Mitteilungen und das Ungarische Statistische Jahrbuch, Neue Folge. - Chavanne, Physik.-statist. Atlas von Österreich-Ungarn (Wien 1886); Le Monnier, Sprachenkarte von Österreich-Ungarn (ebd. 1888); Geolog. Karte von U. (1:1000000, Budapest 1896).

Geschichte. Die Geschichte U.s beginnt um das J. 895 mit der Einwanderung und Festsetzung der Magyaren in Pannonien. (S. Arpád.) Von hier aus unternahmen sie kriegerische Züge bis an die Nordsee, in den Süden Frankreichs und Italiens und bis an das Ägäische Meer. Aber die Niederlagen, die sie in Deutschland schon unter König Heinrich I. 933 bei Keuschberg und endlich von Kaiser Otto I., zuletzt auf dem Lechfelde 955 erlitten, machten diesen Kriegszügen ein Ende. Durch die vielen christl. Sklaven, die Verbindung mit dem byzant. Hofe, besonders aber durch die Bemühungen Herzog Geisas (972-995) und seiner christl. Gemahlin, Sarolta, wurde allmählich die Einführung des Christentums in U. vorbereitet, die Geisas Sohn Stephan (995-1038) endlich durchsetzte. Dafür erhielt er vom Papst Sylvester II. eine Krone (die Stephanskrone) nebst einem Patriarchenkreuz und den Titel eines apostolischen Königs. Sein Land wurde zum Königreich erhoben. Indessen standen noch lange nach Stephans Tode dem Aufblühen des Staates und der Entwicklung seiner Kräfte große Hindernisse entgegen. Dahin gehörten die Reaktion der Eingeborenen gegen die vom König Peter (1038-46), Stephans Nachfolger, zu sehr begünstigten Ausländer und der fortwährende geheime Kampf des Heidentums mit dem Christentum. Ein gewaltiger Ausbruch dieses Kampfes erfolgte nach Peters Sturze und der Erhebung Andreas’ I. (s. d.) 1046. Unter den ungar. Königen der nächsten Zeit treten hervor Ladislaus I., der Heilige (1077-95), und Koloman (1095-1114). Beide erweiterten die Grenzen des Reichs, jener durch Kroatiens (1091), dieser durch Dalmatiens Eroberung (1102). Beide behaupteten die Selbständigkeit der Nation gegen äußere Angriffe; beide stellten durch treffliche Gesetze im Innern Ordnung her. Wichtig für die Kultur des Landes war die Einführung deutscher Kolonisten vom Niederrhein (daher "Flandrer") und aus andern Gegenden Deutschlands nach der Zips und Siebenbürgen durch Geisa II. (1141-61) und die engere Verbindung U.s mit Byzanz unter Bela III. (1173-96), der daselbst erzogen war. Die Regierung seines ältesten Sohnes Emerich (1196-1204) wurde durch dessen ehrgeizigen Bruder Andreas beunruhigt, der Emerichs unmündigen Sohn Ladislaus III. stürzte und als Andreas II. (1205-35) den Thron bestieg. Unter ihm erzwang der Adel