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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Universitäten

man sie auch clerici. Es fehlte auch nicht an Laien, aber auch in Bologna waren die Geistlichen so zahlreich, daß mit Rücksicht darauf bestimmt wurde, der Rektor müsse ein Geistlicher sein. Das Leben der Scholaren war vielfach sehr wüst; das prägt sich aus in zahlreichen Klagen der Behörden und Bestimmungen der Statuten und endlich in der Scholarenpoesie. Voll derselben ist uns ein großer Schatz erhalten, namentlich in den nach der Fundstätte des Codex benannten Carmina burana (s. d.).

2) Neuere Zeit. Im 15. Jahrh. war das wissenschaftliche Leben der U. wie ihre Verfassung in vieler Beziehung erstarrt und die akademischen Grade wurden oft auch ohne Rücksicht auf die wissenschaftlichen Leistungen verliehen. Der Doktor war zu einer neuen Art von Adel geworden und wurde auf Empfehlung großer Herren und der Päpste verliehen (doctores bullati). Der Humanismus richtete hiergegen seine Angriffe, eine Reform erfolgte jedoch erst nach dem durch die Reformation energisch vollzogenen Bruche mit dem Mittelalter in Deutschland. In Frankreich erfolgten bereits im 16. Jahrh. die Anfänge der Centralisation des Universitätswesens (Edikt von Blois 1579), aber eine tiefer gehende Umgestaltung der U. fand doch erst durch die Revolution und die Einrichtungen Napoleons I. statt. Université bezeichnet in Frankreich jetzt nicht mehr eine Hochschule, sondern die Gesamtheit der Erziehungs- und Unterrichtsanstalten. Bezeichnend ist der starke Einfluß der Staatsbehörden und die Entstehung mehrerer von den Klerikalen gegründeter "katholischer U." (S. Frankreich, Bildungs- und Unterrichtswesen.) Vgl. Cournot, L’instruction publique en France (Par. 1884). - In England traten bereits im Mittelalter neben die beiden U. Oxford und Cambridge eigene Rechtsschulen, die Inns of Court (s. d.), die sich aber nicht zu wissenschaftlichen Lehranstalten in höherm Sinne entwickelten und von denen keine Reform des Universitätslebens ausging. Oxford und Cambridge bestehen noch heute aus einer Reihe auf mittelalterliche Schenkungen und Privilegien gegründeter und mit kirchlichen Einrichtungen und Pflichten verbundener Kollegien, den alten studia dotata, die Gelehrten bedeutende Pfründen und zahlreichen Scholaren Aufenthalt, Kost und Unterricht gewähren. (S. Englisches Schul- und Universitätswesen.) Dublin in Irland ist im 16. Jahrh. nach ihrem Muster gegründet worden. (S. Großbritannien und Irland, Unterrichtswesen). Neuerdings herrschen lebhafte Reformbestrebungen. Vgl. V. A. Huber, Die englischen U. (2 Bde., Cass. 1839-40); Fuller, History of the University of Cambridge (1840); Laing, Some dreams on University and College reforms (Oxf. 1876); Pattison, Suggestions on academical organisation (Edinb. 1868); Lorinser, The universities of Scotland (ebd. 1854). (S. University extension movement.) - In Italien entstanden in der Zeit der Renaissance zahlreiche mehr oder weniger organisierte Vereinigungen zur Pflege der Wissenschaft, welche sich von den U. durch die Freiheit von den veralteten Formen unterschieden. Aus ihnen gingen die Akademien und andere nur der Forschung, nicht dem Unterricht gewidmete gelehrte Gesellschaften hervor, aber zu einer Reform der U. kam es nicht. Ebensowenig in Spanien, dessen U. im 17. Jahrh. hervorragende Mittelpunkte der Bestrebungen waren, welche die mittelalterliche Scholastik zu erneuern suchten. Gegenwärtig hat Italien zahlreiche kleine U., die wohl Träger des kräftig erwachten wissenschaftlichen Lebens sind, aber tiefgreifender Reformen bedürfen (s. Italien, Unterrichts- und Bildungswesen). Vgl. Coppi, Le università italiane nel medio evo (3. Aufl., Flor. 1886); La Fuente, Historia de las universidades en España (2 Bde., 1885); Alejandro Vidal y Diaz, Memoria historica de la universidad do Salamanca (1869).

Die deutschen U. seit der Reformation sind Fortbildungen ans den U. des Mittelalters, aber sie haben sich im Laufe der Zeit so vollständig umgestaltet, daß der Zusammenhang, abgesehen von einigen Äußerlichkeiten und Namen, fast nur noch in einem idealen Moment besteht. Eine wichtige Veränderung erfolgte namentlich im 16. Jahrh. durch Einrichtung von Schulen, auf denen die Knaben zum Studium auf den U. vorbereitet wurden, während im Mittelalter die U. und ihre Bursen Scholaren mit dem 15. und 12., ja mit dem 10. Jahre annahmen. Ein anderer Unterschied ergab sich aus den Veränderungen der Wissenschaft. Die prot. Theologie trat neu auf, die Philologie löste sich aus der alten facultas artium, das kanonische Recht trat zurück, das röm. Recht befreite sich von der Scholastik, doch später als die andern Wissenschaften, wie es auch später unter die Herrschaft dieser Richtung gefallen war. Manche Formen und Einrichtungen des Universitätslebens, die bereits im 14. und 15. Jahrh. erstarrten und verfielen, erhielten sich noch im 16. und 17. Jahrh. und wurden zu Zerrbildern ihres ursprünglichen Wesens. Das Übergewicht der theol. Interessen war der Entwicklung ungünstig. Manche U. verbrauchten ihre ganze Kraft in dogmatischen Kämpfen, und der Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholicismus drohte einigen U., wie Prag, den Untergang zu bringen. Man bezeichnete die U. nach Konfessionen, indessen wurde diese Unterscheidung doch nicht allgemein verbindlich. Das Haupthindernis für die Blüte der U. Deutschlands im 16. und 17. Jahrh. lag in den allgemeinen Verhältnissen, der Kriegsnot, der Armut und vor allem in der Kleinheit und Unfertigkeit der Staaten des Deutschen Reichs. Die hervorragendsten Gelehrten waren nicht oder nur vorübergehend Mitglieder der U. Weit größere Bedeutung hatte die rasch aufblühende Universität Leiden.

Die U. der Gegenwart beginnen strenggenommen erst im 18. Jahrh. mit der Gründung von Halle 1694 (vgl. Schrader, Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle, 2 Bde., Berl. 1894) und Göttingen 1737. Eine weitere Epoche bildete dann die Gründung von Berlin und Bonn im Anfang des 19. Jahrh. Das charakteristische Merkmal dieser Periode ist die Beseitigung der überlebten mittelalterlichen Einrichtungen (z. B. lat. Sprache der Vorlesungen) und die kräftige Hilfe des Staates, welcher einmal den U. die Mittel gewährte, um die Institute, Laboratorien, Bibliotheken und Lehrmittel aller Art in der vollkommenen Weise herzustellen, wie sie der gegenwärtige Stand der Wissenschaften fordert, und andererseits den Professoren auskömmliche Einnahmen gewährte, und damit die Mittel, um eine der Wissenschaft würdige Stellung in der Gesellschaft einzunehmen. Infolge der Ausbildung einzelner Zweige zu selbständigen Wissenschaften ist die philos. Fakultät übermäßig zahlreich geworden. In Tübingen, Würzburg, Marburg, Straßburg, Dorpat und an den Schweizer U. hat man sie deshalb in zwei (philos. und naturwissenschaftliche) Fakultäten