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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vereinigte Staaten von Amerika (Geschichte seit 1885)

bedeutung für die nahende Präsidentenwahl, bei der in der That der Republikaner Blaine seinem demokratischen Mitbewerber Grover Cleveland unterlag. Mit knapper Mehrheit gelang die Wahl Clevelands und damit der Sturz der Republikanischen Partei nach einer Herrschaft von 24 Jahren. Der Sieg der Demokratischen Partei bewies, daß die Nachwirkungen des Krieges denn doch endlich überwunden waren, und daß es wiederum möglich war, die ganze Union zur Führung der Bundesgeschäfte zuzulassen.

VII. Geschichte seit 4. März 1885. In seiner versöhnlichen Antrittsrede hob der neue Präsident Cleveland namentlich die Notwendigkeit einer Reform des Civildienstes hervor, und in der That suchte er der Beamtenkorruption möglichst zu steuern und eine tüchtige Verwaltung herzustellen. Ein 1886 von Cleveland bestätigtes Gesetz, wodurch die Nachfolge zur Präsidentschaft im Falle des Ablebens des Präsidenten und des Vicepräsidenten geregelt werden sollte, bestimmte, daß, falls die beiden obersten Beamten sterben oder aus andern Gründen an der Fortführung ihres Amtes verhindert sein sollten, die Kabinettsminister in einer bestimmten Reihenfolge zum Präsidentenamt berufen werden sollten, und daß derjenige Minister, der das Präsidentenamt übernähme, es bis zum Schluß des Termins bekleiden sollte. Die Indianerstämme, denen durch Verträge besondere Gebiete (Reservationen) angewiesen waren, wurden gegen die Viehzüchter geschützt, die sich um keine Grenzen kümmerten und in die Indianergebiete eindrangen. Wo aber von den Indianern die Waffen zum Aufstand ergriffen wurden, wie im Juli 1885 in Neumexiko, da wurde durch rasche Absendung von Truppen die Ruhe wiederhergestellt.

Die Arbeiterfrage wurde auch in den Vereinigten Staaten immer schwieriger, und der Notstand in der Arbeiterbevölkerung nahm nie gekannte Dimensionen an. In der Stadt Neuyork wurde in den ersten Wintermonaten 1885-86 die Zahl der Arbeitslosen auf etwa 75000 geschätzt, während sie sich in den Vereinigten Staaten insgesamt auf etwa 500000 belaufen mochte. Nachdem man durch das Antichinesengesetz die Konkurrenz der mongol. Rasse auszuschließen gesucht und zur Erreichung dieses Zwecks 1884 noch ein strenges Zusatzgesetz erlassen hatte (s. Chinesenfrage), führte der Notstand so weit, daß man durch strenge Handhabung der sog. Paupergesetze und durch das Verbot der Einführung kontraktlich angeworbener Arbeiter auch dem weitern Zufluß europ. Arbeitskräfte entgegen zu treten suchte, und daß man bereits von der Notwendigkeit einer allgemeinen gesetzlichen Suspension der Einwanderung sprach. In Chicago kam es 4. und 5. Mai 1886 zum blutigen Aufstand. Mehrere Anarchisten, die Dynamitbomben geschleudert hatten, wurden verhaftet und sieben von ihnen 20. Aug. 1886 von den Geschworenen des Mordes für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt. Zwei wurden begnadigt, einer tötete sich selbst im Gefängnis, die andern vier wurden 11. Nov. 1887 gehängt, trotzdem zahlreiche Petitionen um Begnadigung für sie eingegangen waren, darunter auch von den deutschen socialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Bebel, Singer, Liebknecht u. a.

Bei den 3. Nov. 1886 erfolgten Wahlen für die Staatslegislaturen siegte in den meisten Staaten die Republikanische Partei, dagegen bestand das neu gewählte Repräsentantenhaus noch aus 167 Demokraten, 154 Republikanern und 3 Vertretern der Arbeiterpartei. Der Gesetzentwurf, der die Unterdrückung der in Utah herrschenden Vielweiberei zum Zweck hatte, wurde im Febr. 1887 von beiden Häusern des Kongresses angenommen. Danach wurde Vielweiberei als Verbrechen behandelt, Polygamisten des Stimmrechts beraubt, das Frauenwahlrecht in Utah abgeschafft und allen dortigen Wählern ein Eid auferlegt, daß sie den die Vielweiberei betreffenden Gesetzen Gehorsam leisten würden. Der Senat verwarf 26. Jan. den Antrag einer Verfassungsänderung in der Richtung, daß den Frauen das Wahlrecht erteilt werden solle, mit 34 gegen 16 Stimmen, während die Gesetzgebung von Kansas den Frauen das Stimmrecht bei Gemeindewahlen einräumte und der dortige Gouverneur diesen Beschluß bestätigte. Die vom Kongreß angenommene Pensionsbill, deren Ausführung eine jährliche Mehrausgabe von vielen Millionen Dollars erforderte, belegte der Präsident mit seinem Veto. Das wichtigste Gesetz dieser Sitzungsperiode war jedoch die sog. Interstate Commerce Act (s. d.) über Frachtsätze, Rückfrachtvergütungen u. s. w., die allerdings nur für solche Eisenbahnen Geltung hat, die durch das Gebiet von zwei oder mehrern Staaten führen. Seine Hauptaufmerksamkeit wandte Cleveland der Zollgesetzgebung zu, indem er die hohen Schutzzölle, die alljährlich einen sehr bedeutenden Überschuß ergaben, in seiner Botschaft an den Kongreß als eine "fehlerhafte, unbillige und unlogische Quelle unnötiger Besteuerung" kennzeichnete und eine Herabsetzung der Einfuhrzölle namentlich für Rohmaterialien in Vorschlag brachte. Ein dahingehender Gesetzentwurf wurde vom Repräsentantenhaus 1888 angenommen, kam aber im Senat nicht mehr zur Erledigung. Ebenso scheiterte im Senat ein Vertragsentwurf, der endlich die Streitigkeiten über die Fischereifrage (s. d.) mit Canada beendigen sollte. Dagegen wurde 1. Okt. 1888 ein Gesetz erlassen, das im Widerspruch zu den mit China geschlossenen Verträgen die Einwanderung von Chinesen völlig verbot. (S. Chinesenfrage.) Die dagegen erhobenen Vorstellungen Chinas blieben ohne Erfolg.

Am 6. Nov. 1888 fand die neue Präsidentenwahl statt, zu der die Demokratische Partei Cleveland wieder als ihren Kandidaten nominiert hatte, während die Republikaner Benjamin Harrison (s. d.) aufstellten. Die strenge Durchführung der Civildienstreform und mehr noch seine Haltung in der Zolltariffrage hatte Cleveland manche Gegnerschaft zugezogen, und so kam es, daß er seinem Gegner mit 168 gegen 233 Elektorenstimmen unterlag.

Am 4. März 1889 trat der neue Präsident Harrison sein Amt an und erklärte in seiner ersten Botschaft an den Kongreß, daß er das Schutzzollsystem aufrecht zu erhalten gedenke. Die hervorragendste Persönlichkeit in Harrisons Kabinett war der Staatssekretär (Minister des Auswärtigen) Blaine (s. d.). Seinem Einfluß besonders war daher auch im Okt. 1889 der Zusammentritt eines Panamerikanischen Kongresses (s. d.) zuzuschreiben, der jedoch ohne große Resultate wieder auseinander ging. Eine andere internationale Frage, bei der außer den Vereinigten Staaten noch Deutschland und Großbritannien beteiligt waren, betraf die Ordnung der Verhältnisse auf den Samoa-Inseln (s. d.). Eine im April bis Juni 1889 in Berlin tagende Konferenz von Vertretern der beteiligten drei Staaten erklärte die Inseln für unabhängig und neutral und sprach den Angehörigen der drei Mächte gleiche Rechte zu. Eine ähnliche Tendenz wie der Panamerikanische Kongreß zeigte